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Dogman 2 marcello fonte

Dogman

Matteo Garrone verlässt sich ganz auf die visuelle Kraft seiner Bilder, die derart deutungsoffen oszillieren, dass sie nie zu Klischees erstarren. Das Kino also, es lebt noch.

Text: Stefan Volk / 27. Sep. 2018

Die Saison ist vorbei im kleinen, verlotterten Seebad irgendwo in Süditalien, in dem Matteo Garrones Dogman spielt. Nebel hat sich über die verlassene Strandpromenade gelegt. Regen verrührt den Sand zwischen den leeren Buden zu einer dreckigen Brühe. Von den Häuserfassaden ist die Farbe abgebröckelt. Über weite Strecken gleicht der Strand einem Schrottplatz. Man kann sich angesichts der farbentsättigten, braungrau matschigen Bilder, in die Kameramann Nicolai Brüel das Viertel taucht, nur mit Mühe vorstellen, dass es in diesem tristen, heruntergekommenen Vorort einmal nach Eis und Sonnencreme gerochen haben könnte. Die letzte richtige Saison ist höchstens noch eine geisterhafte Erinnerung. Trotzdem halten sich ein paar Relikte aus besseren Tagen. Es gibt da die obligatorische Spielhölle, eine Rotlichtbar, ein Cash-für-Gold-Shop und eben jenen Hundefriseurladen, nach dem der Film benannt ist.

Das wirkt alles so schäbig, heruntergekommen, und Matteo Garrone inszeniert es derart unglamourös, dass man beim schnellen Hinsehen versucht sein könnte, den Film für eine naturalistische Sozialstudie zu halten, mit der Garrone an sein preisgekröntes Mafiadrama Gomorra anknüpfen möchte. Je länger man aber mit Marcello, dem Betreiber des Hundesalons, in dem abgehalfterten Viertel verweilt, umso unwirklicher fühlt es sich an. Das Verbrechen etwa breitet sich nicht über mafiöse Strukturen aus, sondern steckt wie ein hartnäckiger Parasit in der bulligen Gestalt eines ehemaligen Boxers fest. Simoncino taumelt durch die Nachbarschaft, als wäre er ein egoistisches, trotziges Kind im Körper eines Riesen, und terrorisiert die Bewohner_innen so lange, bis diese planen, einen Killer anzuheuern, um sich des Problems ein für alle Mal zu entledigen. Eine Vorstellung, bei der sich Marcello sichtlich unwohl fühlt. Der kleine, dürre Mann mit den vorstehenden Zähnen und dem melancholischen Blick gibt sich alle Mühe, ein Teil der Gemeinschaft zu sein, die sich abends unter Flutlicht auf dem Hartplatz zum Kicken trifft. Um sich ein wenig Geld dazuzuverdienen, vertickt er aber auch Koks an Simoncino, zu dem es ihn wie zu einem Bruder hinzieht oder, vielleicht könnte man auch sagen, wie ein Hund zu seinem Herrchen. Egal wie mies Simoncino ihn behandelt, wie dreist er ihn für seine Raubzüge ausnützt, Marcello ist stets doch wieder zur Stelle, wenn dieser seine Hilfe braucht.

Dogman 3 marcello fonte alida baldari calabria

So unterschiedlich die beiden auf den ersten Blick auch sind – wie David und Goliath, wie Asterix und Obelix – verbindet sie ein vages Aussenseitergefühl. Der dumpfe Tyrann, der mit heulendem Motor auf dem Motorrad durch die Nacht jagt, und der gutherzige Vater, der sich um seine Tochter, die er nur alle paar Tage sehen darf, ebenso rührend kümmert wie um seine Hunde, sie gehören beide nicht wirklich dazu. Wortkarg und in sich gekehrt leben sie in ihrer eigenen Welt. Doch während Simone seine Fäuste sprechen lässt, schweigt Marcello freundlich lächelnd in sich hinein. Ein widersprüchliches, ganz und gar gegensätzliches und doch irgendwie seelenverwandtes Paar, das nicht nur die Dynamik der Dramaturgie vorgibt, indem es nahezu unausweichlich auf eine finale Kollision zusteuert, sondern den Film auch atmosphärisch trägt.

Das Zusammenspiel von Marcello Fonte und Edoardo Pesce in den Hauptrollen ist eine darstellerische Sternstunde. Pesce bringt in der Rolle von Simoncino eine körperliche Präsenz auf die Leinwand, die an den jungen Robert De Niro erinnert. Es ist, als würde unter seiner inneren Zerrissenheit, seiner zur Wut unterdrückten Energie der gesamte Kinosaal pulsieren. Dieser schauspielerischen Wucht begegnet Marcello Fonte mit kleinen Gesten und einer fragilen, vielsagenden Mimik. Auch er redet ja kaum etwas, schneidet keinesfalls expressionistische Stummfilmgrimassen, und doch kann man ihm die Gedanken im Gesicht ablesen: die Kränkungen, die Schmach, sein Zaudern, seine Zweifel, die Verzweiflung, den Abscheu.

Dog

Im Takt der Hassliebe dieser beiden ungleichen Doppelgänger schlägt das Herz eines skurrilen, surrealen Films, der mit seiner kafkaesken Stimmung nicht nur zu Gomorra, sondern auch zu Garrones bild­gewaltigem Märchenfilm Il racconto dei racconti in krassem Gegensatz steht. Mit Dogman kreiert er einen dunkelpoetischen Parallelkosmos, der an die allegorischen Universen aus Léolo oder Delicatessen anschliesst. Glück leuchtet in dieser traurig-schönen Tristesse stets nur dann in bunten Farben von der Leinwand, wenn Marcello für ein paar Tage mit seiner Tochter im Urlaub am Meer buchstäblich abtaucht. Inmitten eines zähen, endlosen Albtraums entsteht so ein flüchtiger, gleissender Glücksmoment. Worte braucht es auch dafür nicht; Garrone verlässt sich ganz auf die visuelle Kraft seiner Bilder.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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