Paula ist anstrengend. Fast zu anstrengend, könnte man noch am Anfang von Jeune femme befürchten, dessen Zentrum und raison d’être sie unzweifelhaft darstellt. Es beginnt damit, dass sie wütend an die Haustür ihres Exfreunds Joachim hämmert, erst mit den Fäusten, dann mit der Stirn. Eine Platzwunde und eine psychologische Befragung sind die unmittelbaren Folgen. Sie sei vielleicht nicht sonderlich intelligent, doch dafür ehrlich, teilt sie dem leicht überforderten Spitalpfleger mit, der die Untersuchung durchführen muss, bevor sie beginnt, mit Sachen herumzuwerfen, und mit Beruhigungsmitteln ruhiggestellt werden muss, so, wie man eine instabile chemische Mischung neutralisiert. All dies geschieht in den ersten fünf Minuten des Films. Paulas Energie entspricht der Energie von Jeune femme, und es ist ziemlich beeindruckend, wie beide – Film und Figur – diese Energie während der gesamten Spieldauer aufrechterhalten, ohne je monoton zu werden. Denn Monotonie ist nun wirklich nicht Paulas Sache. «La stabilité, c’est l’ennui!»
Von ihrem Exfreund, dem Fotografen, dem sie als Muse zu Berühmtheit verhalf und mit dem sie die letzten Jahre in Mexiko gelebt hatte, wird sie vor die Tür gesetzt. Doch auch ohne Wohnung, Einkommen oder nennenswertes soziales Netz denkt Paula gar nicht erst daran, sich irgendwie zu verstellen, um leichter an Lebensnotwendigkeiten wie einen Schlafplatz oder Geld zu kommen. Irgendwie, so ihr unausgesprochenes Motto, klappt es immer, und wenn nicht: tant pis. Sich nicht verstellen bedeutet in diesem Fall nicht dasselbe wie nicht schummeln, und wenn sie sich beim Vorstellungsgespräch für einen Job im einem Dessousladen als manisch ordnungsliebend bezeichnet, ist das zwar lachhaft weit weg vom Eindruck, den sie bisher vermittelt hat, doch sie sagt dies mit einer Aufrichtigkeit, die man irgendwie ernst nehmen muss. Vielleicht lässt sich Paula am treffendsten als Mischung zwischen Poppy aus Mike Leighs Happy-Go-Lucky und Llewyn Davis der Coen-Brüder beschreiben, angereichert mit der Rede- und Streitfreudigkeit einer Cassavetes-Figur. Wenn sie mit Poppy jene unbekümmerte Aufdringlichkeit im Umgang mit ihren Mitmenschen gemeinsam hat, die davon ausgeht, dass alle, die ein Problem mit ihr haben, selbst daran schuld sind, so teilt sie mit dem Coen-Protagonisten den Charme des Verlierers, der sich durch nichts wirklich aus der inneren (Un-)Ruhe bringen lässt. Und da ist natürlich auch die dem Exfreund entwendete Katze, die sie stets zu den unpassendsten Orten mitbringt und die wohl der heimliche Star des Films wäre, wenn sich nicht Paula auch hier sogleich selbst in den Vordergrund stellte: «Ne vous inquiétez pas, j’arrête bientôt», versichert sie dem Hotelbesitzer, der sich über das laute Miauen aus ihrem Zimmer beklagt.
Lætitia Dosch schafft es mit grosser Hingabe und empathischer Intelligenz, diese schwierige Figur so zu verkörpern, dass man sie ernst nimmt, auch wenn sie mehr als einmal unsere Nerven strapaziert. Die subtile Wandlung, die sie während des Films durchmacht, ist emotional nachvollziehbar und vermag zu berühren: von der aus Wohnung und Beziehung geworfenen Frau, die sich auch in der prekärsten Situation weigert, sich dem Frieden zuliebe anzupassen (und etwa einer schwangeren Gastgeberin die Mutterqualitäten abspricht), zu einer, die ihre selbstdestruktiven Impulse zurückzunehmen lernt, einen Job oder zwei findet und allgemein beginnt, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Paula verfügt über eine solch intensive Art, die Welt und ihre Gegenüber wahrzunehmen – eine Wahrnehmung, die sich in der Inszenierung gespiegelt findet – von der vielleicht nicht wenige überfordert sind, die aber gleichzeitig poetisch-berührende Momente ermöglicht, insbesondere dann, wenn auf diese Überforderung einmal nicht mit Ablehnung reagiert wird. So finden sich unter den zahlreichen Nebenfiguren, denen Paula auf ihrer kleinen Odyssee durchs Pariser Quartier Montparnasse begegnet, nicht wenige, die in der aggressiv vor sich her getragenen Verletzlichkeit der Protagonistin etwas erblicken, das ihre eigenen emotionalen Schutzmauern kurzzeitig durchbricht und Offenheit für Neues schafft. Etwas anderes als die vollständige Kapitulation vor solcher Energie scheint einem auch gar nicht übrig zu bleiben. Insbesondere dann auch, wenn sich diese am Anfang und am Schluss des Films, mit jenem eindringlich-traurigen Blick aus zwei verschiedenfarbigen Augen, direkt an die Kamera, direkt an uns richtet.