Der Blick gen Himmel verheisst nichts Gutes: es ist ein gewaltiger Sturm, den ein Mann heraufziehen sieht, gleich in der ersten Szene. Das mag sich gleich darauf als Albtraum erweisen, aus dem der Mann schweissgebadet aufwacht, aber das Bild bleibt beim Zuschauer hängen – zu Recht, es ist das zentrale Bild von Take Shelter.
Curtis, der mit seiner Frau Samantha und der sechsjährigen Tochter Hannah, die taub ist, in einer Kleinstadt in Ohio lebt, verdient sein Geld als Vorarbeiter im Baugewerbe. Nicht nur in Zeiten der ökonomischen Krise ist das Überleben nicht einfach, die Rechnungen für die Medikamente für die Tochter häufen sich, Samantha muss etwas dazu verdienen. Dewart ist Curtis’ Arbeitskollege und zugleich Freund, die beiden Ehepaare sitzen nach Feierabend schon mal zusammen oder unternehmen etwas gemeinsam. Er sei ein glücklicher Mann, attestiert ihm Dewart. Das wirkt im Nachhinein wie Hohn, denn Curtis wird zunehmend von Albträumen heimgesucht, die mehr und mehr ihre Spuren in der Wirklichkeit hinterlassen. Als Curtis im Traum einmal von seinem Hund attackiert wird, baut er am nächsten Tag für diesen sogleich einen Zwinger im Garten. Schemenhafte Gestalten vor der Tür und auf der Landstrasse, ein Vogelschwarm am Himmel, einmal beginnen sogar die Möbel im Wohnzimmer in der Luft zu schweben und immer wieder der Traum von einem gewaltigen Sturm – in einer Gegend, die schon mal von Tornados heimgesucht wird, hat das für Curtis etwas höchst Reales. Also handelt er: den in dieser Gegend nicht unüblichen Unterschlupf im Garten baut er aus, mit einem Kredit von der Bank und mit dem Bagger von der Arbeit, den er sich (samt seinem Kollegen Dewart) an einem freien Samstag ausleiht. Das bleibt nicht ohne Folgen: sein Chef feuert ihn. Auch Curtis’ Freundschaft mit Dewart zerbricht, bei einer Veranstaltung geraten die beiden handgreiflich aneinander, und Curtis stösst lauthals seine Warnungen aus. Ist er also doch der Prophet der Apokalypse?
Curtis wird von Michael Shannon verkörpert. Der hat sich in den letzten Jahren geradezu als Spezialist für Leinwandfiguren erwiesen, die einen Knacks haben, angefangen von seiner Oscar-nominierten Nebenrolle in Sam Mendes’ Revolutionary Road bis hin zur Kulmination in Werner Herzogs My Son, My Son, What Have Ye Done. Das lässt die Erwartungshaltung des Zuschauers in eine bestimmte Richtung tendieren. Das mag durchaus Teil des Konzepts von Jeff Nichols sein. Aber die Kunst von <Take Shelter besteht gerade darin, dies in der Schwebe zu lassen. Curtis nimmt seine Albträume ernst – er handelt und baut den Schutzraum im Garten aus –, aber zugleich zweifelt er auch an seinem Verstand. Er sucht seine Mutter, bei der schon im Alter von dreissig Jahren Schizophrenie diagnostiziert wurde, im Pflegeheim auf: ob sie auch solche Albträume hatte? Er besorgt sich medizinische Fachbücher aus der Bibliothek, er sucht schliesslich professionellen Rat bei einem Arzt und Familienberater. Das heisst, er stellt sich selber die Frage, ob er vielleicht krank ist. Und der Zuschauer fragt sich, ob diese Krankheit im schlimmsten Fall nicht dazu führen könnte, dass für Curtis die einzige Rettung vor der Apokalypse die Tötung der eigenen Familie ist. Darauf hat Michael Haneke ja keinen Alleinvertretungsanspruch.
Take Shelter erzählt aber nicht nur von Curtis, sondern auch von einer Familie: Wenn sich Curtis in Zeichensprache mit seiner Tochter verständigt, wenn Samantha alltägliche Verrichtungen erledigt, dann muss man tatsächlich der Äusserung von Dewart zustimmen, Curtis sei ein glücklicher Mann. Was auch unterstrichen wird durch das Spiel von Jessica Chastain als Samantha. Die rothaarige Schauspielerin, die im vergangenen Jahr in so unterschiedlichen Filmen wie Terrence Malicks Tree of Life, Tate Taylors The Help und John Maddens The Debt brillierte, lässt ihre unbestreitbare Schönheit nie im Glamour aufgehen, sondern verkörpert glaubhaft eine Frau aus der arbeitenden Bevölkerung.
Das ist überhaupt eine erfreuliche Tendenz im amerikanischen Indie-Film: dass es nicht mehr immer nur um junge Erwachsene geht, die ihren Platz im Leben suchen, jenseits der bürgerlichen Standards, die ihnen ihre Eltern vorleben. Schon Jeff Nichols’ Regiedebüt Shotgun Stories (2007, in dem Michael Shannon auch mitspielte) war in der amerikanischen Provinz angesiedelt und erzählte von einer Familienfehde, die zur Eskalation führte. Es ging um Männer aus der Arbeiterklasse, die sich und anderen ihre Männlichkeit beweisen wollten und dabei zwangsläufig auf die Muster zurückgriffen, die ihnen die Tradition (und das Hollywood-Kino) vermittelt hatte. Dass der Konflikt dann anders ausging, als man es aus dem traditionellen Hollywood-Kino gewöhnt ist, war die grosse Leistung des Films. Die Erzählmuster Hollywoods wusste Nichols sich gleichwohl zu eigen zu machen – und er tut dies auch in <Take Shelter, wenn er die Erwartungshaltung des Zuschauers in seine Erzählung mit einbaut.
Am Ende kommt dann tatsächlich der grosse Sturm, die Sirenen heulen. Ist dies das Ende der Welt, so wie es sich Curtis vielleicht schon die ganze Zeit ausgemalt hat? Jedenfalls ist es nicht das Ende der Geschichte. Das tatsächliche Ende des Films ist eines jener Filmenden, denen in früheren Zeiten vielleicht das Wort «Ende» gefolgt wäre, um dann mit einem Fragezeichen relativiert zu werden. Hier sorgt die letzte Szene einfach dafür, dass das Leinwandgeschehen weiterwirkt, noch lange, nachdem der Film vorüber ist.