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Der freund 05

Der Freund

Text: Stefan Volk / 16. Jan. 2008

Nein, sie wären wohl im Leben nie ein Paar geworden: Emil, der schüchterne Student, der noch zu Hause bei seiner Mutter wohnt, und die coole Sängerin Larissa, der bei ihren Auftritten im Zürcher «Helsinki Klub» (wo auch die entsprechenden Filmaufnahmen entstanden) das Publikum zujubelt. Drehbuchautor Micha Lewinsky (Sternenberg) führt die beiden in seinem Regiedebüt Der Freund dennoch zusammen. Allerdings erst, nachdem Larissa sich das Leben genommen hat. Emil gibt sich bei Larissas Eltern als deren Freund aus und wird bereitwillig in die Trauerfamilie aufgenommen. Vor allem die Mutter ist so froh darüber, dass das Leben ihrer Tochter scheinbar doch nicht so einsam verlief, wie sie befürchtet hatte, dass sie über manche Ungereimtheiten in Emils Verhalten gerne hinwegsieht. Larissa muss das geahnt haben. Kurz vor ihrem Tod sprach sie Emil an, der ihr einmal mehr in ein Café gefolgt war und sich wieder nicht traute, auf sie zuzugehen. Doch so sehr er sich anfangs darüber freute, dass sein Schwarm nun plötzlich den ersten Schritt tat, so irritiert war er, als Larissa ihn bat, sich bei ihren Eltern als ihr Freund auszugeben. Lange hörte er danach nichts mehr von ihr. Als er schliesslich besorgt bei ihr anrief, erfuhr er von ihrer Schwester Nora, dass sie gestorben war.

Der freund 08

Was folgt ist eine Tragikomödie der leisen Töne. Lewinsky erliegt nicht der Versuchung, die makabre Fallhöhe, die sich aus der Grundidee des Films ergibt, bis ins Letzte auszureizen. Stattdessen gelingt es ihm, zwischen nachdenklichen, melancholischen Momenten und komischen Situationen die Balance zu wahren, ohne auf der einen Seite ins Rührselige oder auf der anderen ins Alberne abzugleiten. Über ein Jahr hat der Sohn des Zürcher Schriftstellers («Hitler auf dem Rütli», «Melnitz») und Drehbuchautors (Ein ganz gewöhnlicher Jude) Charles Lewinsky an dem Stoff herumgefeilt, ehe Charaktere und Plot entsprechend austariert waren. Angefangen hatte alles mit einer persönlichen Erinnerung Micha Lewinskys: «An meinem ersten Schultag im Gymnasium stand der Name von einem Mädchen auf der Klassenliste. Sie ist nie gekommen. Später haben wir erfahren, dass sie gestorben war. Und ich habe mich lange gefragt, wer sie wohl war?» Es folgten zahlreiche unterschiedliche Drehbuchversionen. Während der Teilnahme am Stoffentwicklungsprogramm «Step by Step» wurde ein Antagonist eingeführt, der später wieder gestrichen wurde. Nach einem Jahr zähen Ringens entschloss sich der Autor zu einem radikalen Schnitt. Er verwarf alles bislang Geschriebene und begann mit dem Script noch einmal bei Null. Das neue Drehbuch, das dann auch die Basis für den Film legte, sei letztlich in nur zehn intensiven Tagen entstanden, berichtet Lewinsky heute. Von der Ausgangsidee war da nicht mehr viel übriggeblieben.

Für die tote Larissa interessiert sich der Autorenregisseur in Der Freund am allerwenigsten. Gespielt wird sie mit gleichförmig grimmigem, verhärmtem Gesichtsausdruck von der Zürcher Sängerin Emilie Welti alias Sophie Hunger, die selbst regelmässig im «Helsinki Klub» auftritt und auch etliche Lieder zum Soundtrack des Films beisteuerte. Ihre Filmfigur ist für Emil anfangs zwar das, was die verstorbene Klassenkameradin für den Schüler Lewinsky war: eine «perfekte Projektionsfläche für die romantischen Ideen eines Teenagers». Dem Drehbuchautor und Regisseur dient sie jedoch vor allem als dramaturgischer Katalysator, der die Handlung in Gang bringt und damit das menschenscheue Muttersöhnchen Emil in eine fremde Familie hineinkatapultiert. Dabei gerät Emil immer wieder in heikle Situationen, sorgt für etliche lustig-peinliche Momente und tritt in so manches Fettnäpfchen – wenn er sich etwa am Tag, an dem er von Larissas Tod erfährt, mit der Begründung davonzustehlen versucht, dass er ja noch auf Prüfungen lernen müsse. Alles in allem aber fühlt er sich in der bizarren Situation erstaunlich wohl. Er beteiligt sich an den Bestattungsvorbereitungen, zeigt sich einfühlsam, erzählt vom Tod seines Vaters. Und dort, wo ihm zu Larissa nichts Reales einfällt, lässt er seiner Phantasie freien Lauf und erfindet gemeinsame Erlebnisse.

Der freund 03

Philippe Graber erweist sich in seiner ersten Kinohauptrolle als eine echte Entdeckung. Sein liebenswert neurotisches Spiel verleiht dem verklemmten Romantiker ebenso komische wie charmante Züge und kondensiert damit die traurigschöne Handlung auf ihre Essenz. der freund ist eine Liebeserklärung an die kleinen Unzulänglichkeiten des Lebens, an kontaktscheue, unsichere Menschen und ihre Schwächen, an all das, was nicht auf den ersten Blick angesagt und cool wirkt. Insofern verkörpert Nora eine Art Gegenmodell zu ihrer Schwester Larissa. In der Familie übernahm sie die Rolle des Mauerblümchens: klug, vernünftig, einfühlsam. Und eben weil sie so ist, erobert sie Emils Herz. Seine Liebe bleibt nicht unerwidert, wodurch nur alles noch komplizierter und, das heisst auch, lustiger und romantischer wird. Als makabren Höhepunkt kann es sich Lewinsky dann nicht verkneifen, das ungewöhnliche Liebespaar ausgerechnet im Bett der Verstorbenen zusammenzuführen. Ein eher geschmackloser Kinoscherz.

Lewinskys Film startet mit einer verwegenen Idee und spielt sie bis zum Ende durch, allerdings dringt er nie wirklich zur Realität vor. Seine Figuren durchleben Tod und Trauer wie eine hypothetische Versuchsanordnung, kaum glaubhaft. Doch das schadet wenig, wenn man den Film nicht als psychologische Studie missversteht, sondern als das humorvoll sensible Gedankenspiel akzeptiert, das Der Freund (meistens) ist.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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