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Fuocoammare / L'avenir

Berlinale 2016: Mit Fuocoammare von Gianfranco Rosi und L’avenir von Mia Hansen-Løve brachte der zweite Tag zwei Highlights.

Text: Tereza Fischer / 14. Feb. 2016

Fuocoammare von Gianfranco Rosi

Es ist nicht der erste Dokumentarfilm, der die Felseninsel unweit der afrikanischen Küste Lampedusa porträtiert. Meist handelt es sich um kritische Berichte und Analysen der Flüchtlingsströme, die auf der nur gerade 20 Quadratkilometer grossen Insel Italiens aus Afrika ankommen – viele von ihnen haben die Reise in überfüllten Booten nicht überlebt. Erst kürzlich hat Jakob Brossmann in Winter auf Lampedusa das Versagen der Medien vorgeführt und drängende Fragen gestellt, wie Europa mit dieser menschlichen Tragödie umgehen sollte. Gianfranco Rosi, der für seinen Dokumentarfilm Santo GRA über Rom Umfahrungsstrasse in Venedig den Goldenen Löwen gewann, evoziert ein anderes Lampedusa: eine kleine Welt, deren Alltag meist unberührt von den Schicksalen der Flüchtlinge bleibt.

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Wenn sich Zia Maria, die wir immer wieder bei Haushaltsarbeiten beobachten, einen Song im Radio wünscht, ruft sie ihren Neffen, den Radio-DJ, an. Die Musik, unter anderem der titelgebende Song «Fuocoammare» über die Gefährlichkeit der Meere für die Fischer, ertönt dann nicht nur im Studio, sondern auch in ihrer Küche. Die Welt auf Lampedusa schrumpft auf einen von aussen unberührten Mikrokosmos. Der Alltag geht trotz des Elends, das das Meer bringt, weiter. Eine Beschäftigung damit findet nicht statt. Nur ganz am Anfang ist eine Nachricht über ertrunkene Flüchtlinge zu hören, mehr nicht. Als wäre diese Küche tausende von Kilometern entfernt.

Im Mittelpunkt des Films steht der zwölfjährige Samuele. Er ist Experte für Schleudern, hat so seine Mühe mit dem Englisch in der Schule und schlürft mit kindlicher Unschuld laut seine Spaghetti. Wenn er beim Arzt sitzt, diesem seine Mühe mit dem Atmen mit erwachsener, süditalienischer Gestikulation schildert, wirkt er abgeklärt, unschuldig und fragil zugleich. Genauso wie die anderen wenigen Protagonisten kommt Samuele nie mit den Flüchtlingen in Berührung. Sinnigerweise sieht er mit einem Auge fast nichts, es ist träge und muss zum Sehen gezwungen werden. Damit steht er auch für die Gesellschaft, die träge das Problem vor ihrer Haustüre ausblendet.

Das einzige Bindeglied zwischen den getrennten Welten ist der Arzt der Samueles Ängstlichkeit behandelt. Er ist aber auch mit den schrecklichen Seiten dessen konfrontiert, was auf Lampedusa nicht erst seit der Syrienkrise in Europa geschieht. Seine Sorge um diese Menschen ist gross. Rosi spart das Schicksal der Flüchtlinge nicht aus, behält jedoch Distanz. Die Bilder sprechen Bände, wenn erschöpfe, dehydrierte Menschen aus den Schiffen geholt werden, von Rettern, die in ihren Schutzanzügen ein Stück weit an Menschlichkeit verlieren. Allzu oft wiederholt sich das Gleiche, ohne dass Aussicht auf eine Änderung ins Bild geriete. Der Film kommt da genauso nicht weiter, wie die Politik.

Die Welten stossen ohne Kommentar aufeinander. Rosi provoziert mit dieser Fokussierung auf den Alltag Fragen, Fragen, die nicht beantwortet werden und wohl auch nicht können. Die beiden Welten sind und bleiben sich fremd, Europa ist überfordert und das Elend bleibt.

L’avenir von Mia Hansen-Løve

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Eigentlich bedeutet die deutsche Übersetzung von L’avenir schlicht «Zukunft». Mit der dem deutschen Titel «Was kommt», einer etymologischen Annäherung, schwächt sich die Diskrepanz zwischen den unzähligen Möglichkeiten, die jenseits der Gegenwart liegen, und der sich verengten Perspektiven der alternden Protagonistin etwas ab. Mia Hansen-Løve hat in Isabelle Huppert die ideale Verkörperung der Lehrerin Nathalie gefunden, dieser vergeistigten, immer noch sehr schönen Frau, die durch plötzliche Umbrüche in ihrem perfekten Leben ins Straucheln gerät und sich mit dem Altern auseinandersetzen muss. Huppert spielt die Intellektuelle mit voller Energie und gleichzeitig mit emotionaler Zurückhaltung. Ihre Statur ist zudem passenderweise die eines Mädchens, verrät aber eine gewisse Alterssteife, auch weiss man um Hupperts Sorge um Falten, die sich bei allzu starken Emotionen ins Gesicht eingravieren könnten.

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Nathalie ist engagierte Philosophielehrerin, Ehefrau eines Lehrers, mit dem sie die Liebe für intellektuelle Nahrung teilt, Mutter zweier fast erwachsener Kinder und Buchautorin. Ein ehemaliger Schüler, der sich nun selbst philosophisch austobt, bestätigt ihr, wie einflussreich sie ist. Nur die eigene Mutter wirkt wie eine Bremse, denn sie liegt tagelang depressiv im Bett und weigert sich, ein aktives Leben zu führen, weil sie, das ehemalige Model, eben nicht mehr jung und schön ist.

Als ihr eines Tages ihr Mann eröffnet, er liebe eine andere und wolle ausziehen, reagiert Nathalie zwar leicht wütend, aber insgesamt vernünftig unterkühlt. Schliesslich ist man erwachsen. Die subkutanen Verletzungen ihrer Protagonistin lässt Hansen-Løve in scheinbar nebensächlichen Szenen und Bildern hervorbrechen: Die Wut etwa, verlassen worden zu sein, lässt Nathalie an einem frischen Blumenstrauss aus, und versucht mühsam, diesen noch sehr schönen und für den Abfalleimer viel zu grossen Strauss zu entsorgen.

Nathalie verliert nach und nach alles: Der Mann ist schon gegangen, die Kinder sind ausgezogen, die Mutter stirbt und zu guter Letzt verliert sie auch noch ihren Verlegervertrag. Abgeklärt wie sie ist, nimmt es Nathalie auch als Befreiung und wendet sich ihm ehemaligen Schüler zu, der ausgestiegen ist und auf dem Land in einer Art Intellektuellen-WC lebt. Doch bald muss sie merken, dass sie die jungen Leute nicht versteht.

Hansen-Løve inszeniert diese Entwicklung mit Ironie und ohne grosses Drama. Sie findet für die seismischen Erschütterungen, die die Protagonistin nicht wahrhaben will, subtile, aber auch witzige Bilder, schliesslich ist die Verweigerung, sich dem eigenen Alter zu stellen, verständlich, aber durchaus auch lächerlich.

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