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Panorama nacht

Bourbaki Panorama, Luzern

Im Zentrum des auffälligen Gebäudes am Löwenplatz in Luzern steht eine Wendeltreppe. Sie verbindet den Eingangsbereich mit dem grossen Rundgemälde im Obergeschoss. Und sie führt ins Souterrain, wo sich fünf Kinosäle befinden.

Text: Gregor Imhof / 01. Dez. 2016

Im Zentrum des auffälligen Gebäudes am Löwenplatz in Luzern steht eine Wendeltreppe. Sie verbindet den Eingangsbereich mit dem grossen Rundgemälde im Obergeschoss. Und sie führt ins Souterrain, wo sich fünf Kinosäle befinden. Die Wendeltreppe war Bestandteil eines jeden Panoramas und dient in Luzern nicht bloss der Erschliessung, sondern bildet gleichsam eine imaginäre Achse, auf der ein Jahrhundert Mediengeschichte abgeschritten werden kann. Denn das Panorama war ein Publikumsrenner im 19. Jahrhundert, und als Leitmedium wird es im 20. Jahrhundert vom Kino abgelöst. Beide Ausdrucksformen wecken die Sehlust der Menschen, lösen geradezu eine Bildersucht aus, und die Entwicklung in ein visuelles Zeitalter nimmt ihren Lauf.

Der städtische Raum um das Bourbaki Panorama ist ein Knotenpunkt für Einheimische und Gäste. Zurzeit treffen die Luzerner vor allem auf chinesische Touristen, die in forschem Tempo ihr Besuchsprogramm abspulen. Denn in unmittelbarer Nähe befinden sich auch das Löwendenkmal, der Gletschergarten und unzählige Uhren- und Souvenirläden. In seiner heutigen Erscheinung wurde das Gebäude im Jahre 2000 eröffnet. Es umfasst zwei Teile, die man von aussen gut ablesen kann. Im Kern befindet sich die originale Panorama-Rotunde von 1889, die von einem viereckigen Neubau aus Stahl, Glas und Beton ummantelt wird.

Kurz vor der Eröffnung des neuen Gebäudes findet in Luzern eine einschneidende Veränderung der Kinolandschaft statt. Kleinere Kinobetreiber sehen sich mit einer zunehmenden Marktkonzentration konfrontiert. An der Peripherie der Stadt entsteht zudem ein Maxx-Komplex, der mit Mainstreamfilmen, Popcorn und vielen Parkplätzen Zuschauer anlockt. Einige Betreiber müssen aufgeben oder an die Grösseren verkaufen. Die einen sprechen von Kahlschlag, andere sehen es als Gesundschrumpfung. Glücklicherweise ist für das Bourbaki Panorama ein Art Gegenprogramm geplant. Im Zuge des Umbaus soll im Untergeschoss Platz für Kinos geschaffen werden. Kinos mit anspruchsvoller Programmierung.

So können Besucherinnen und Besucher heute zwischen zwei grossen und drei kleineren Sälen wählen, mit insgesamt 600 Plätzen. Vier Kinos betreibt die Neugass Kino AG, der in Zürich auch die Kinos Riffraff und Houdini gehören. Das fünfte im Bunde ist das Stattkino, das keine kommerzielle Ausrichtung kennt, sondern sich dem filmischen Erbe verschrieben hat. Es wurde von verschiedenen Interessengruppen gegründet und hat heute noch eine Vereinsstruktur. Nebst den Kinos sind auch die Kunsthalle und die Stadtbibliothek im Gebäude untergebracht und diverse Geschäfte. Diese ausgewogene Mischung aus Kunst und Kommerz sorgt für einen lebendigen Betrieb und hohe Besucherfrequenzen.

Der ruhende Pol in diesem urbanen Treiben ist das Rundgemälde im Herzen des Gebäudes. Es zeigt ein Ereignis aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871: Ein Teil der französischen Armee – eben die Bourbaki-Armee – ist von deutschen Einheiten eingekesselt und bittet die Schweiz um Asyl. Dieser Übertritt der Soldaten im winterlichen Neuenburger Jura wird im Bild festgehalten. Panoramen waren im 19. Jahrhundert sehr verbreitet. Jede grössere Stadt in Europa und auch in der Schweiz konnte mit so einem Rundgemälde aufwarten.

Wie der Film ist das Panorama eine Illusionsmaschine: Es will einen möglichst hohen Realitätseindruck erzeugen. Das schafft es zunächst allein durch die riesige Bildfläche, die ein völliges Eintauchen erlaubt. Sie hat ­einen Umfang von 110 und eine Höhe von 10 Metern. Sequenziell und in epischer Breite wird das Geschehen erzählt. Eine Art gemaltes Cinemascope-Erlebnis. Und ähnlich wie in den Monumentalfilmen der 1950er-Jahre sind beim Panorama biblische Motive und Schlachtenszenen sehr beliebt. Diese Schauwerte sollen noch durch eine besondere Plastizität verstärkt werden. Deshalb wird der Bildinhalt durch kulissenartige Bauten und Objekte unmittelbar vor der Leinwand ergänzt. Der Übergang vom Gemalten zum Realen verschwimmt, das Bild scheint wie beim 3D-Film dreidimensional in den Zuschauerraum zu ragen.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Wendeltreppe, die zum Bildraum führt. Sie sorgt dafür, dass Gäste die Eindrücke der Aussenwelt zurückdrängen können, leicht schwindlig im Panorama ankommen und sich im virtuellen Raum neu orientieren müssen. Und wenn sie nach dem Betrachten des Bildes nicht genug haben, können sie die Treppe wieder ganz hinunter steigen und sich ins nächste visuelle Abenteuer stürzen. Dieses Mal im Kino.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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