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Womit haben wir das verdient?

Der grösste Albtraum einer atheistischen Feministin wird wahr. Und mit treffsicheren Pointen werden Selbstgewissheiten auf den Kopf gestellt. Oder vom Kopf auf die Füsse.

Text: Thomas Binotto / 03. Feb. 2019

Eva Spreitzhofer sass in einer Runde von Eltern. Es herrschte Elterndämmerung, denn die Kinder schickten sich gerade an, in die Pubertät einzutreten. Was hatte man alles zu befürchten, wenn selbst die liberalste elterliche Autorität endgültig flöten ging?

«Mein schlimmster Albtraum war, dass meine Tochter ein islamisches Kopftuch tragen könnte. Die Vorstellung, dass ausgerechnet meine Tochter mich, die atheistische Feministin, mit dem Tragen eines islamischen Kopftuchs provozieren konnte, war damals ein grosser Lacherfolg in der Runde.» Damit war die Idee für das Regiedebüt der Autorin Eva Spreitzhofer geboren. Und viel mehr sollte man eigentlich über die Handlung von Womit haben wir das verdient? nicht verraten.

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Wanda und Harald sind längst geschieden und nun ganz relaxed als Ehekriegsveteran_innen unterwegs, weil sie sämtliche Kämpfe hinter sich haben. So viel Harmonie war zwischen den beiden wohl noch nie. Wenn sie sich bei Familienfesten treffen, fühlt sich das an wie Urlaub von der Arbeit an ihren neuen Beziehungen. Die Patchworkharmonie könnte vollkommen sein, wäre da nicht ihre gemeinsame Tochter Nina, die sich in den Kopf gesetzt hat, aus Wandas Albtraum eine verstörende Realität zu machen. Plötzlich sehnt sich die liberalste aller Mütter nach elterlicher Gewalt. Plötzlich wäre sie schon glücklich, wenn ihre Tochter wenigstens nur katholisch geworden wäre. Plötzlich ist tolerantes Loslassen mit verstörenden Verletzungen verbunden.

In der Anlage erinnert das an den Publikumshit Monsieur Claude und seine Töchter. Dessen ist sich Spreitzhofer bewusst. Und auch sie beherrscht die Regeln der Komödie souverän. Als Dialogautorin zielt sie treffsicher auf die Punchline. Sie nutzt stilsicher Boulevard und Slapstick und hat den Rhythmus im Griff. Auch ihr Casting erfüllt sämtliche Komödienwünsche. Caroline Peters, Chantal Zitzenbacher und Simon Schwarz sind in ihren Hauptrollen schlicht umwerfend. Und der gesamte Rest der Besetzung fügt sich nahtlos dazu. Ihre Figuren sind komisch, bleiben aber glaubwürdig. Ihre besten Pointen findet Spreitzhofer in einer genau beobachteten Realität, die sie ins Absurde steigert – gerade so weit, dass die Pointe gleichzeitig Lachen und Selbsterkenntnis auslöst.

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Ebenso gekonnt wie überzeugend entgeht Spreitzhofer damit dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit, weil sie systemisch und nicht ideologisch argumentiert, weil sie auf uns und nicht auf andere abzielt. Sie stellt Sexismus, Intoleranz, Fanatismus und Borniertheit nicht als «Sonderrechte» der salafistischen Prediger dar. Patriarchale Unterdrückung droht in ihrem Film von all jenen Autoritäten, die sämtliche Antworten auf ihrer Seite wähnen. Sei das nun der routiniert selbstgefällige Sozialberater, der munter sexistische Chefarzt, der jovial abgehobene Priester oder der verlogen abgeklärte Schuldirektor.

Schlüsselszene dafür, wie Spreitzhofers Komödie funktioniert, ist der Showdown zwischen Wanda und einer muslimischen Mutter auf dem Schulhof. Diese Szene ist nicht nur äusserst witzig und überraschend inszeniert, sie vollzieht auch genau jenen Kopfstand, der manchmal nötig ist, um unsere Weltsicht wieder auf die Beine zu stellen.

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Womit haben wir das verdient? reizt mit hoher Pointendichte zum Lachen. Wichtiger ist aber: Dieses Lachen ist ein Lachen über unsere eigene naive Selbstgewissheit und unsere eigenen blinden Flecken. Spreitzhofer lässt zwar keine Zweifel aufkommen, was sie von Fundamentalismus hält, aber sie kämpft dagegen nicht mit dogmatischer Verbissenheit an, weil sie damit selbst in die fundamentalistische Falle tappen würde. Ihre Waffe ist reflektierte Komik. Und während wir über die absurde Tragik unserer Existenz lachen, löst sich in uns eine Erstarrung, befreit sich unser Blick.

Uns wird klar, dass es etwas gibt, was noch wichtiger ist als das Unverständnis für Fanatismus und Unterdrückung. Wichtiger ist, dass Wanda allmählich wieder lernt, ihre Tochter Nina zu verstehen. Im Kern und im Herzen ist diese Komödie eine Liebesgeschichte. Und deshalb zeigt sich der Ausweg aus dem Albtraum erst, als Wanda endlich entdeckt, was der eigentliche Grund für Ninas Kopftuch ist. Selbst eine atheistische Feministin braucht manchmal einen Kopfstand, um wieder auf die Beine zu kommen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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