Vor vier Jahren debütierte Benedikt Erlingsson mit Of Horses and Men, einer burlesken Parabel über das Mensch- und Pferdsein, für die er mehrere Preise gewann. Nun hat sich der Isländer an einen skurrilen Ökothriller gewagt, der es prompt in die Semaine de la Critique in Cannes geschafft hat.
Halla, die Heldin des Films, ist um die fünfzig, arbeitet als Chorleiterin und sabotiert in ihrer Freizeit heimlich die lokale Aluminiumindustrie. Sie hat das Herz am rechten Fleck und Sprengstoff in der Garage –
ein bisschen wie MacGyver, nur mit Strickjacke. Aluminiumhütten legt sie mit Pfeil und Bogen lahm, der Polizei entkommt sie mit Raffinesse und Geschick: Mal wuchtet sie sich unter einen Erdvorsprung, mal versteckt sie sich in einem Tierkadaver oder taucht in den eisigen Fluss. Sie kämpft für mehr Menschlichkeit, für die Natur, das Leben.
Erst läuft alles nach Plan: Mit der Hilfe von zwei Komplizen – einem Mann aus dem Chor, der in Regierungskreisen arbeitet, und einem Bauern, der sich für einen entfernten Verwandten hält – gelingt es Halla, ein Flugblatt in Umlauf zu bringen, das ihre Taten erklärt (was ist ein bisschen Industriesabotage gegen die Sabotage unserer Umwelt?); die Investoren sind verunsichert, die Regierung wird nervös. Bloss die Medien reagieren anders als erwartet. Sie vergleichen die «Berg-Frau» mit Anders Breivik und islamistischen Terroristen. Und dann platzt in diese Hetzjagd auch noch ein Brief der Adoptionsbehörde, der Halla zu einem Waisenkind aus der Ukraine gratuliert.
Die Story ist verrückt, hat aber einen realen Hintergrund. Tatsächlich ist die isländische Aluminiumindustrie in den letzten Jahren stark gewachsen. Im Hochland wurden immer mehr Kraftwerke gebaut und Stromleitungen gelegt, um mit günstiger Wasserkraft und Erdwärme ausländische Aluminiumproduzenten ins Land zu locken. Protest gegen die Bauvorhaben gab es von Anfang an, auch viele Kunst- und Kulturschaffende engagierten sich.
Mit Woman at War ergreift nun also auch Erlingsson Partei. Um sein «ernstes Märchen» mit einem Lächeln zu erzählen, hat er sich einiges einfallen lassen. Amüsant ist der regelmässige Auftritt der Musiker, die – egal, ob im Heidekraut oder im ukrainischen Waisenhaus – immer schon darauf warten, das Abenteuer der Heldin mit Akkordeon, Schlagzeug und Sousafon zu dramatisieren. Auch manche Running Gags funktionieren, zum Beispiel der südamerikanische Tourist auf dem Fahrrad, der schon in Erlingssons Of Horses and Men durch Islands Pampa strampelte; und bestimmt gibt es noch andere geistreiche Anspielungen, die mir mangels Islandkenntnissen entgangen sind. Eher abgeschmackt hingegen sind die Genderwitze, die den Film durchziehen. Island rangiert im Global Gender Gap Index auf dem vorbildlichen ersten Platz. Vielleicht muss uns Erlingsson deswegen gleich in einer der ersten Szenen an die «neue» Rollenverteilung erinnern. Da kommandiert ein Bauer seine «Frau» herum, doch es ist bloss sein Hund, der so heisst. Die Männer im Film sind entweder feige (ihr Komplize in der Regierung) oder von gestern (der Bauer), die weibliche Hauptfigur wird dagegen mythisch überhöht. Im Presseheft erklärt der Regisseur, Halla sei für ihn «eine Art Artemis», Göttin der Jagd, des Waldes und des Mondes, Hüterin der Frauen und Kinder. Doch warum zum Teufel muss sie deshalb gleich ein Kind adoptieren? Und das auch noch aus einem ukrainischen Waisenhaus, während eines Hochwassers, das (natürlich) eine Folge der Klimaerwärmung ist? Ob es am deutlich schlechteren Rang der Schweiz im Global Gender Gap Index liegt (nämlich 21), dass mich das nervt?
Dabei verleiht Hauptdarstellerin Halldóra Geirharðsdóttir dieser Göttin eine würdevolle Bodenständigkeit, die gut zu den abenteuerlich rauen Bildern von Kameramann Bergsteinn Björgúlfsson passt. Auf bizarre Weise stimmig ist auch die vom oben erwähnten Trio gespielte Musik (komponiert von Davíð Þór Jónsson). Und doch lässt einen Woman at War etwas ratlos zurück. Der Kniefall vor Mutter Erde und ihren Töchtern mag man akzeptieren. Doch was ist mit dem kauzigen Bauern, der Menschen nach ihrem Stammbaum beurteilt? Wieso wirkt er so niedlich und harmlos? Und was soll die ganze Folklore? Warum immer diese Wollpullover, diese Skurrilität? Wem dient all das urtümlich, volkstümlich, irrtümlich Isländische, in dem der Film sich so gefällt?