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Wir waren Kumpel Catpics 4
© Catpics

Christian Johannes Koch: «Filmemachen verstehen wir als geteilte Zeit»

Die Regisseure von Wir waren Kumpel sprechen über den beklemmenden Dreh in der Kohlemine und wie sich die Beziehung zu ihren Protagonist:innen entwickelt hat. 

Text: Nino Büchi / 04. Apr. 2024

FB Wir waren Kumpel beginnt mit beeindruckenden, auch beengenden Aufnahmen in den Steinkohleminen. Wie muss man sich einen Dreh da vorstellen?

Christian Johannes Koch Wie man sich dabei fühlt, wenn man zum ersten Mal Untertage fährt, kommt darauf an, wie klaustrophobisch man veranlagt ist. Für uns war es beide das erste Mal und verlief unterschiedlich. Wenn man in diese Welt eintaucht, ist es beeindruckend und neu. Ich war aber vor allem erstaunt, wie schnell man sich daran gewöhnt, 1600 Meter unter Tage zu sein. Nur schon wenn man daran denkt, wie weit man von der Erdoberfläche ist, kommt ein Gefühl von Beklemmung auf.

Jonas Matauscheck Für mich war es schwieriger, denn ich habe Platzangst. Deswegen war ich sehr aufgeregt, als wir das erste Mal angefahren sind. Ich war überrascht, dass man sicher eine Viertelstunde nach unten fährt. Man hat kein Gefühl für Tiefe. Die Schächte sind alle relativ gross mit Decken von mehreren Metern Höhe. Der einzige Moment, indem es wirklich brenzlig wurde, war an der Stelle, an der die Kohle gefördert wird, am sogenannten Streb selbst. Wir kletterten 15 Meter auf den Knien an dem niedrigen Ort. Man wusste weder vor noch zurück. Da stellt sich schon ein sehr mulmiges Gefühl ein.

CJK Drehen war aufgrund der Bedingungen eine Herausforderung: Es gibt in Deutschland nur eine Kamera, die zugelassen ist, um in Steinkohlebergwerken Untertage zu filmen. Damit sich die Methangase in den Schächten nicht entzünden, muss diese explosionsgeschützt sein. Ungesicherte Elektronik ist nicht erlaubt.

FB Sie wurden in Begleitung in die Tiefe geführt. Hatten Sie im Vorfeld schon mit den portraitierten Personen Kontakt, oder geschah dies erst vor Ort?

CJK: Weil der Film mit so einer grossen Firma zu tun hat, brauchte es fast zwei Jahre Vorbereitungszeit. Viele unserer Protagonist:innen lernten wir dabei kennen. Letztendlich haben wir uns durch unzählige Besuche vor Ort und Ausflüge unter Tage in diese für uns neue Materie eingearbeitet. Man sieht es im Film nicht so sehr, aber lange Zeit wurden wir von einem ganzen Tross an Personen begleitet und stark beobachtet (lacht).

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Bilder: Catpics

FB Die Möglichkeit, zu Drehen hing also auch mit der Selbstdarstellung der Firma selbst zusammen?

CJK Wir haben Material, über das man sagen könnte, dass es klar der Selbstdarstellung der Firma dient. Aber wir haben äusserst lange da gedreht, konnten uns mit der Zeit freier bewegen und waren nicht mehr so stark diesem Sicherheitsdispositiv ausgeliefert.

JM Wir standen erst mal unter Beobachtung. Kriegen die das hin? Wer sind die überhaupt? Mit der Zeit wurde uns immer mehr Vertrauen geschenkt. Insgesamt verbrachten wir aber deutlich mehr Zeit Übertage als Untertage.

FB Wie hat sich für Sie ergeben, wer im Film porträtiert wird?

JM Wir sind da reingestolpert. Auch, dass es um die Menschen gehen wird, hat eine Zeit gedauert. Aber viele sind uns schon früh begegnet. Thomas zum Beispiel gibt allen Besucher:innen die Wäsche raus. Er ist die erste Person, die mit einem Kontakt aufnimmt. Locke und Lange hatten unser Kamerateam bei einer ersten Recherche-Anfahrt getroffen. Also aus Zufall. Sie hatten sich etwas aufgedrängt und meinten, wenn wir doch mal einen Film machen würden, sollten wir an sie denken.

CJK Als ich zum zweiten Mal auf der Zeche war, habe ich eine Frau gesehen und rumgefragt. Es hiess aber, hier würden keine Frauen arbeiten. Es hat sich dann herausgestellt, dass es Martina war und wie ihre Geschichte als trans Frau ist.

Letztendlich ist unsere Auswahl durch die lange Zeit entstanden, die wir vor Ort verbracht haben. Wir haben immer tiefer in dieses Habitat geschaut und gesehen, wie sich die einzelnen Biografien darin zusammensetzen. Uns war wichtig, dass wir dieses klassische, stereotypische Bild des Bergmanns, dieses Bergmann-sein, schon in der Auswahl der Personen etwas auffächern.

FB Veränderungen stehen im Film im Mittelpunkt. Auch die individuellen Veränderungen in den Privatleben der Portraitierten. Wie haben Sie die Nähe zu den einzelnen Personen dafür geschaffen?

CJK Filmemachen verstehen wir als geteilte Zeit. Es ist ein Nehmen und Geben. Wir lernen Leute kennen aber sie auch uns. Die Zeit ohne Kamera war sicher entscheidend dafür, dass im Verlauf dieser vier Jahre Drehzeit eine Offenheit vor der Kamera entstanden ist.

JM Gewisse hatten bereits ein wenig Kameraerfahrung, zumindest Kiri. Er wurde schon öfter für die Lokalzeitschrift portraitiert, auch in der Rolle eines «Vorzeigemigranten». Bei Thomas hat es hingegen sehr lange gedauert. Wir begannen bei der Arbeit und gingen dann mehr ins Privatleben der Menschen über. Ich glaube, bis ankam, was wir überhaupt für einen Film drehen, hat es bei einigen bis zur Leinwand gedauert. Es war ein sich Öffnen in Schritten.

CJK Durchs gemeinsame Filmemachen ist sowohl bei ihnen als auch bei uns ein Reflexionsprozess in Gang getreten worden. Das konnte noch viel stärker geschehen, da durch die Stilllegung der Mine der Beruf für die meisten nun vorbei war. Ich habe das Gefühl, bei allen ist durchs Filmemachen etwas passiert. Im Kleinen und im Grossen.

FB In den Portraits spürt man die Veränderungen durch das Nachdenken. Was nehmen sie von diesem langen Projekt mit?

JM Dass die Leute den Film mochten, war am Schluss wie ein Geschenk. Sie haben uns in ihr Leben gelassen. Das ist ein Vertrauensbeweis. Gerade Locke und Lange waren bis am Ende noch skeptisch. Und nun verteidigen sie den Film, wenn mal Kritik kommt. Sie machen ihn sich zu eigen gemacht. Was mich dabei antreibt ist, dass ich ein Verständnis für Lebenswege, für Biografien entwickeln kann, die mir fremd sind. Ich oder meine Familie hatten ja nichts mit Bergbau zu tun. Ich merke gleichzeitig, dass wir im Raum von so einem Film uns gegenseitig begegnen können, was etwas total Schönes ist.

CJK Ich meine auch behaupten zu dürfen, dass ich wahrscheinlich der Schweizer bin, der in den letzten Jahren am meisten vom Steinkohlenbergbau gesehen hat. (lacht)

Das mal beiseite... Was ich zudem mitnehme und was mich auch sonst immer wieder umtreibt, ist diese klare Trennung unserer Bubbles. Ich bin sehr kritisch gegenüber dem Arbeiterbild, das in einem gewissen Kreis herrscht und zum Teil romantisierend hochgehalten wird. Mit Leuten, die ihr Leben lang einen «Arbeiter» verkörpert haben, einen Film zu machen, der dieses Bild ein bisschen aufbricht, umdreht, dem etwas entgegenstellt, ist ein grosser Schatz.

 

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