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Wilde Maus

Als Kabarettist und Schauspieler ist Josef Hader ein alter Hase, als Regisseur zählt er zum Nachwuchs. Seine melancholische Komödie um die Krise des Mittelstands hat auch gesellschaftskritisches Potenzial.

Text: Philipp Stadelmaier / 08. März 2017

Wilde Maus ist die erste Regiearbeit des österreichischen Kabarettisten Josef Hader. Seinen Durchbruch hatte Hader zu Beginn der neunziger Jahre mit einem Programm, in dem er (vertraut man Wikipedia) die politische Nummernrevue hinter sich liess und begann, seine Nummern in längere Monologe auszubauen, in denen die Grenze zwischen Kabarett und Theater zunehmend verschwamm. Der Kabarettist wurde zur Kunstfigur, die aus ihrem Leben erzählt oder in andere Rollen schlüpft. In «Hader muss weg» spielte er insgesamt sieben Figuren, seine letzte Show hiess passenderweise «Hader spielt Hader». Kabarett heisst bei ihm nicht einfach, ein paar Witzchen zu erzählen, sondern eine Figur zu schaffen und zu präsentieren, das heisst: sich selbst.

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Selbstpräsentation. Kein Wunder, denn ihre Protagonisten sind allesamt Kinder des amerikanischen Kabaretts, der Stand-up-Szene: Ben Stiller, Adam Sandler, Will Ferrell, Louis C.K. Stand-up heisst, seine Intimität vor einem Publikum zu exponieren und damit alle Peinlichkeiten zu riskieren, inklusive der grössten: nicht lustig zu sein. Dadurch konnte die amerikanische Komödie aber auch noch etwas anderes zeigen: dass im digitalen Zeitalter der allgegenwärtigen Kameras, Bildschirme und Facebook-Profile jeder zum Performer seiner eigenen Person wird und sich möglichst perfekt in Szene setzen muss. Was besonders für die neoliberale Arbeitswelt gilt. Zuletzt hatte eine deutsche Komödie, Maren Ades [art:toni-erdmann:Toni Erdmann], das auf den Punkt gebracht und die Welt der Unternehmensberatung als eine Welt der absurden Selbstpräsentation entlarvt.

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In unserer Welt ist die Komödie also mittlerweile auf der Seite der Macht: Wer nicht gut spielt, fliegt raus. Genau das ist auch das Problem von Haders Alter-Ego-Figur in Wilde Maus, dem Musikkritiker Georg. Eine Figur, die als Kritiker ein wenig einem Stand-up-Comedian vergleichbar ist, lebt doch auch der Kritiker (jedenfalls dieser) von der öffentlichen Ausstellung seines Geschmacks. Nun ist der Geschmack von Georg für heutige Zeiten recht konservativ und streng, berüchtigt ist er für seine harschen Verrisse. Eine jüngere Kollegin wagt es, Anton Bruckners fünfte Symphonie mit Jack White zu vergleichen? Unverschämtheit! Man merkt relativ schnell, was Georgs Problem ist: Er kennt keinen Spass. Er ist nicht lustig. Das rächt sich: Er wird entlassen. Hader muss weg.

Was darauf folgt, ist das Durcharbeiten seines Scheiterns und der damit verbundenen Frage: Wie kann Georg (also Hader) witziger werden, wie kann er Freude und Vergnügen verbreiten? Ausgerechnet in einem Vergnügungspark wird Georg mit einem alten Schulfreund eine Achterbahn neueröffnen, die «Wilde Maus». Als wollte Georg mit dieser heruntergekommenen Spassmaschine versuchen, doch irgendwie komisch zu sein. Aber im Grunde bleibt Wilde Maus eine Geschichte über die Impotenz eines Komikers, oder zumindest über seine Unfruchtbarkeit – nicht zuletzt, weil Georg mit seiner Frau, die sich ein Kind wünscht, keines zeugen kann.

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Nun ist Georg auch ein Widerstandskämpfer. Er startet gegen seinen früheren Chef einen Kleinkrieg, zerkratzt seine Porschekarosserie, besprüht die Fassade seiner Villa. Das alles ist natürlich nach wie vor ziemlich komisch. Und dennoch wird hieran deutlich, dass das Hauptanliegen von Wilde Maus nicht ist, zum Lachen zu bringen – im Gegenteil. Wenn die Komödie mittlerweile auf der Seite der Macht steht und Georg gerade aus ihr verbannt wurde, dann ist der Komiker ein Agent des Widerstands. Dann besteht seine primäre Aufgabe darin, das Lachen zum Problem werden zu lassen. Um auf diese Weise der Komödie der Macht zu widerstehen. Dann ist gerade die «Unfruchtbarkeit» Georgs in Sachen Komik ein Zeichen dieses Widerstands. Das Lachen muss sich gegen das Lachen wenden.

Schon seit einiger Zeit hat die amerikanische Komödie sich zum politischen Schlachtfeld erklärt. Sie fällt in Kriegs- und Krisengebiete ein (Zohan von Dennis Dugan wagte sich in den Konflikt zwischen Israel und Palästina, The Interview von Seth Rogen und Evan Goldberg bis nach Nordkorea vor) oder geht den Verantwortlichen der Finanzkrise an den Kragen: Man muss bei Wilde Maus oft an Fun with Dick and Jane von Dean Parisot denken, wo Jim Carrey nach seiner Entlassung sich bewaffnet und beginnt, Raubzüge zu unternehmen, um schliesslich die kriminellen Machenschaften seiner Chefs aufzudecken. Ein wenig wie Hader, dessen Georg sich mit Vandalismus für die Sparmassnahmen rächt, die ihn den Job gekostet haben. Die Komödie bewaffnet sich also. Sie flirtet mit der Macht und verschwimmt mit ihr – um sie ins Leere laufen zu lassen. In einer Welt, in der die Komödie zunehmend in Einklang mit Macht und Stärke operiert, in der TV-Reality-Stars US-Präsidenten werden und alternative Fakten präsentieren können, kommt der Komödie heute diese politische Bedeutung zu: Die passgenauen und kaum mehr übertrieben zu nennenden Darstellungen von Trump und Co. in Saturday Night Live sind dafür das beste aktuelle Beispiel. Alec Baldwin – der übrigens schon den Boss von Jim Carrey in Fun with Dick and Jane spielte – spielt Trump; Melissa McCarthy spielt Trumps Pressesprecher Sean Spicer. Vor allem letzterer Geschlechtertausch ist vielleicht die beste Beschreibung der Aufgabe der Komödie in unseren Zeiten: selbst zur Komödie der Macht zu werden, um sie besser entmannen zu können.

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Dennoch wird nun durch Haders eher melancholischem Film auch eine Grenze der Komödie und ihres kritischen Potenzials deutlich. Den Porsche vom Ex-Boss zerkratzen ist, wie ihm der Polizeiwachtmeister versichert, «Kindergarten». Der Polizist bewundert Georg im Übrigen als Kritiker. Nur ist Musikkritik halt nicht gleich Systemkritik. Dennoch beharrt der Film auf einer politischen Ebene. Denn im Radio wird immer wieder vom Terror berichtet, von den Geflüchteten und den Zäunen, mit denen die österreichische Regierung letztes Jahr sich ihrer erwehren wollte. Dieser Diskurs bleibt unkommentiert im Hintergrund, ist aber dennoch dauerpräsent. Er bildet das «Aussen» des Films, einen Zusatz, den heute jede Komödie hat und braucht: Die Erinnerung daran, dass sie immer, selbst wenn sie inhaltlich nichts mit «all dem» zu tun hat (oder, wie hier, zu harmlos bleibt), dennoch mit «all dem» zu tun hat: mit Herrschaft, Ökonomie, Geopolitik, Flucht. Umgekehrt erinnert dieser Diskurs auch an die Grenze der Komödie – daran, dass die Komödie (egal, wie politisch, aggressiv, satirisch sie ist) die Welt nicht in einen besseren Ort verwandeln kann, weil sie letztlich eben Komödie bleibt. Trotzdem muss sie alles geben. Und Hader gibt alles. Am Ende sitzt Georg nackt mit einer Flasche Whisky im Schnee und ist auf Selbstmord aus. Es ist dies nicht nur eine ultimative Exposition des Privaten bis zur Nacktheit (und zur äussersten Peinlichkeit, einen Selbstmordversuch zu vermasseln), sondern auch das Sinnbild einer gegen sich selbst gerichteten Komödie. Georg / Hader überlebt. Zum Glück. Er wird noch gebraucht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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