… Vorbei ist jene Selbstprovinzialisierung, die seit dem Ende der Achtzigerjahre das italienische Kino erfasst hatte. Zwischen all den stumpfen Komödien, schlecht konzipierten Dramen und den Filmen, die man nur mit einem fast schon tagesaktuellen Wissen um die Wirren italienischer Politskandale verstehen konnte, ragen zu diesem Zeitpunkt einzig die Filme von Nanni Moretti hervor. Er konnte ein internationales Publikum erreichen, zog sich jedoch mit Introspektion ganz ins Persönliche zurück.
In den aktuellen Filmen hingegen ist der Blick wieder weiter. Die Gesellschaft ist zurückgekehrt: Alice Rohrwacher erzählt in [art:1456] die Geschichte eines Bauernjungen inmitten einer Gruppe Landarbeiter, der sich von diesen in erhabener Einfalt absetzt. Rohrwachers «Naturalismus mit [...] magischen Momenten», wie dies Hannah Pilarczyk nannte, greift dabei die grosse sozialrealistische Tradition des italienischen Nachkriegskinos auf und haucht ihr auf unerwartete Weise neues Leben ein. Jonas Carpignano realisierte nach Mediterranea mit [art:1232] einen bemerkenswerten zweiten Langfilm. Dieser kreist um den vierzehnjährigen Pio, der gemeinsam mit seinem Bruder Cosimo in einer Roma-Gemeinschaft lebt. Auch in der Geschichte der Beziehung zwischen den beiden jungen Männern in Luca Guadagninos [art:1259] ist die Gesellschaft präsent – nicht zuletzt in Form von Erwartungen, denen man entsprechen muss oder sich ihnen widersetzt.
Das italienische Kino der letzten zehn Jahre hat damit die Fähigkeit wiederentdeckt, Geschichten zu erzählen, die auch für das Ausland von Interesse sind. Folgerichtig entstanden viele der oben genannten Filme in Koproduktion mit anderen europäischen Ländern, was wiederum die Vermarktung erleichterte. Zugleich haben sich nicht nur im Fall von Gianfranco Rosi (der in den USA Film studierte), Jonas Carpignano (der in New York geboren ist) und Luca Guadagnino (der bei [art:1259] für den ursprünglich vorgesehenen James Ivory einsprang) die Verbindungen zwischen der italienischen und der US-amerikanischen Filmindustrie wieder intensiviert. Fast wundert es, dass gerade das italienische Kino nach seinem allmählichen Abgang von der internationalen Bühne so lange gebraucht hat, um die Erfolgsformel der europäischen und – wann immer möglich – transatlantischen Koproduktionen wiederzuentdecken, die ihm bereits in den Fünfziger- und Sechzigerjahren ein goldenes Zeitalter beschert hatte…
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