Black Screen. Die Kamera bewegt sich langsam aus der Dunkelheit, legt den Blick frei auf die in gelbliches Licht getauchte Krypta. Close-up auf eine Bodenfliese mit einem gemalten Menschen: Im Bild Gottes ist nach dieser Schöpfungsgeschichte der Mensch erschaffen. Nach dem Bild des Menschen ist dann die KI, die Protagonistin dieses Films, gemodelt. Durch Kunst und Poesie wird der Mensch zum Menschen, und durch sie soll die KI ein selbstbewusstes Wesen werden. Im Anfang war das Wort. Oder doch das Bild?
Wider Than the Sky, der neue Essayfilm von Valerio Jalongo, wird aus Sicht einer weiblich gelesenen fiktional-realen KI erzählt, die sich in verschiedenen Körpern (Roboter, selbstfahrendes Auto, Lieferservice, Drohne) manifestiert. Eine der Verkörperungen dieser KI ist ein realer Android namens Ameca, der im Austausch mit einem Entwickler seine Gefühlsfähigkeit reflektiert. Diese Gespräche dienen dem Film als dramaturgische Klammer. Wider Than the Sky zeigt uns die Welt mit den Augen der KI als animierte Bilder im Spektrum elektromagnetischer Strahlung, mit Gelb als vorherrschende Farbe.

© Visions du Réel/Aura Film Sagl
Die Montage des Films funktioniert nach dem Prinzip, dass mit jeder Erkenntnis der KI ein neuer Faden geknüpft oder ein alter wieder aufgenommen wird. So werden Wissenschafter:innen, Künstler:innen, Entwickler:innen interviewt und in den Stoff miteinbezogen. Von Sasha Waltz’ Tanzkollektiv soll unsere KI die Rolle der Körperlichkeit beim Prozess der Bewusstseinsbildung lernen. KI als neuer Tanzschritt für die Menschheit? So heisst es zumindest an einer Stelle des Films.
Der Film ist dicht gewoben, vollgepackt mit Wissen, Kunst, visuellen Abstraktionen und theoretischen Überlegungen. Die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation ist fliessend, Reales dazu da, Ideen zu tragen, Realitäten zu transzendieren. Das grösste Problem dabei ist, dass die philosophischen Ideen nicht durch die Bilder selbst entwickelt, sondern als Anschauungsmaterial den Gedanken sozusagen aufgepfropft werden. Grundfragen der Neurobiologie und Robotik sind als solche schwer in Filmbilder zu übersetzen.

© Visions du Réel/Aura Film Sagl
Wider Than The Sky ist ein spektakulärer Reigen von Schauplätzen und Themen, visuellen und musikalischen Assoziationen, die allerdings am Ende ohne wirkliche Synthese im Raum stehen. Valerio Jalongo, studierter Philosoph und Filmemacher mit einer verschiedene Genres umfassenden Filmografie, nimmt in seinem Film eine technologieoffene Haltung ein. Einige der auftretenden Expert:innen weisen auf die mit KI und ihren Potenzialen verbundene Verantwortung hin. Die ökonomischen Interessen von KI-Grossprojekten, etwa im Silicon Valley, werden thematisiert. Dem gegenüber steht die politische Theologie des Films, sein Idealismus und sein messianisches Versprechen: In der schöpferischen Vollendung der KI kann die Menschheit zu sich selbst und die Individuen zueinander finden. Der Entwicklungsprozess künstlicher Intelligenz muss demokratisiert, transparent und allen zugänglich gemacht werden, um dieses Versprechen auch einlösen zu können.
Junge Kritik
Diese Kritik entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am Dokumentarfilmfestival Visions du Réel 2025 in Nyon.