Sind wir bereit für einen Besuch von Ausserirdischen? Wie soll die Menschheit den intelligenten Wesen aus dem All am besten begegnen? Kommen sie mit guten Absichten zu uns? In Science-Fiction-Spielfilmen hat man sie sich x-fach ausgemalt, ihnen meist eher abstossende Körper zugedacht und sie oft zu Feinden des Planeten Erde gemacht. In Michael Madsens dokumentarischer Simulation sind die ausserterrestrischen Besucher gelandet und sitzen nun hinter der Kamera, bleiben für uns damit unsichtbar. Statt uns mit ihrem Anblick zu konfrontieren, werden wir als Zuschauer eingeladen, ihre Position einzunehmen. Und so blicken die Expertinnen und Experten in die Kamera und führen mit den Ausserirdischen Gespräche. Ohne zu lachen, wohlgemerkt.
Es ist erstaunlich, wie viele Organisationen und Experten sich mit der Möglichkeit von anderen Lebensformen im All professionell befassen und nun vor der Kamera darüber spekulieren, wie eine Begegnung verlaufen könnte. Madsen hat sich an die Nasa, die internationale Space University, das UN Office for Outer Space Affairs gewandt und militärische und politische Berater, eine Professorin für Sozialpsychologie, einen Astrobiologen und eine Astrophysikerin, den Spezialisten für AllRechtskunde, einen Theologen und andere versammelt und lässt sie auf die imaginären Aliens reagieren. Die Frage, die dabei in The Visit im Zentrum steht, ist nicht die der grundsätzlichen Existenz von extraterrestrischem Leben als vielmehr die der angemessenen Art der Kommunikation. Und so versuchen die Fachleute mit ernsten Mienen zu erfahren, ob die Menschheit in Gefahr sei. Wie solle man denn die Menschen beruhigen, wenn das Wissen fehle? Informationen sind dringend notwendig, denn der Mensch reagiert mit Ängsten, Panik und Aggression auf Unbekanntes.
Im Falle des Falles benötigt die Menschheit eine geeignete Sprecherin, einen Sprecher. Aber wer könnte diese schwierige Aufgabe übernehmen? Die Engländer haben einen einleuchtenden Vorschlag: Sir Richard Attenborough. Schliesslich ist er ein angesehener Wissenschaftler und kennt sich mit wilden Tieren aus. Die Szene ist unfreiwillig komisch. In welcher Sprache man mit den Besuchern sprechen würde, fragt sich hier niemand. Da im Film alle selbstverständlich Englisch sprechen, kann man dies wohl auch von den Ausserirdischen erwarten.
Die Sprachenfrage wird hier nur implizit zum Thema, ist aber vor dem Hintergrund nicht uninteressant, als der hier ausgebreitete Fragenkatalog nichts über mögliches ausserirdisches Leben enthüllt, dafür vieles über die menschliche Zivilisation. Wie erklärt man, was die Menschheit und ihre Kultur sind? 1977 produzierte die Nasa für eine mögliche intelligente Lebensform im All den «Voyager Golden Record», den die Raumsonde auf ihrer Erkundungsmission mitführte und auf dem Bild- und Audioinformationen über die Menschheit gespeichert waren. Allerdings nur die positiven Leistungen, die Kehrseiten der Zivilisation verschwiegen die Amerikaner. Dass es eigentlich nie eine Zeit ohne Kriege gab, dass wir mit nuklearen, biologischen und chemischen Waffen hochgerüstet haben und diese auch gegen feindliche Ausserirdischen einsetzten würden, gibt man nun in den imaginären Gesprächen zu. Madsen mischt die Talking Heads auffällig häufig mit Szenen, in denen das Militär wegen eines biochemischen Unfalls ausrückt. Es kämpft gegen einen unsichtbaren Feind.
Ob diese oder alltägliche Strassenszenen, alles ist durch Zeitlupe und den Matrix-Effekt einem menschlichen Zeitgefühl entrückt. Die Kamera scheint durch die Welt zu schweben, und dieser imaginierte Blick von Ausserirdischen beschönigt dabei mehr, als dass er das irdische Leben genau unter die Lupe nehmen würde. Madsen löst die Bilder immer wieder aus dem konkreten Raum heraus und inszeniert in der Dunkelheit (des Alls) ein poetisches Slow-Motion-Ballett menschlicher Körper und Gesichter. Wenn dazu «An der schönen blauen Donau» ertönt, klingt auch mit voller Wucht die kulturphilosophische Dimension von 2001: A Space Odyssey an.
Dem dänischen Konzeptkünstler und Dokumentarfilmer geht es in seinem Werk darum, Wirklichkeit und Erfahrung auszuweiten. In Into Eternity (2010) beschäftigte ihn die Aufbewahrung von radioaktiven Abfällen, die im finnischen Onkalo für 100 000 Jahre endgelagert werden. Dabei versucht er, sich in die Generationen in der fernen Zukunft, in eine undenkbare Zeitdimension, zu versetzen. Mit The Average of the Average (2011) hat er Dänemarks ersten Dokumentarfilm in 3D realisiert: über Mittelmässigkeit! In The Visit macht Madsen das Unbekannte zum Zentrum der Spekulationen und provoziert damit die Vorstellungskraft und die Auseinandersetzung mit blinden Flecken. Insofern hat der Film eine Botschaft: Unbekanntes für möglich zu halten, heisst, die eigene beschränkte Sicht der Welt auszuweiten. Nicht umsonst sind wir Zuschauer durch die direkte Ansprache mit Fragen konfrontiert, die über unser Vorstellungsvermögen hinausgehen.
Das im Konstruktivismus gründende Gedankenexperiment zeigt aber vor allem eines: Wir drehen uns immer noch nur um uns selbst und sehen nur, was wir schon kennen. Der Nasa-Astrobiologe, der die unvorstellbare Annahme von ganz anderen biochemischen Zusammensetzungen ausserirdischer Lebensformen wagt, die deshalb für uns unsichtbar sind, zieht doch die radikale Trennung und Abgrenzung zwischen den «Rassen» vor. «Nothing personal!» Denkt man dies jedoch weiter, wird seine Vorsicht persönlich und zwischenmenschlich bedenklich. Auf Englisch bezeichnet alien nicht nur das Wesen aus dem All, sondern auch irdische Ausländer und Fremde. Immer wieder fühlt man sich bei den Gedankenspielen zur optimalen Kommunikation an die Fehlleistungen zwischen den Kulturen auf der Erde erinnert – wahrscheinlich ein Beweis für das beschränkte Vorstellungsvermögen der Autorin.