In Lukas Moodyssons Filmen sind die Jugendlichen meist mit verständnisvoll wohlwollenden Eltern gesegnet. Doch welche fast Dreizehnjährige will schon an Mutters Geburtstagsfest vor den Augen aller Anwesenden liebkost werden wie ein kleines Kind? Für die introvertierte Bobo jedenfalls ist diese Anmassung Grund genug, sich ins Zimmer zu verkriechen und am Telefon mit ihrer Freundin Klara zu diskutieren, wer von beiden denn die unerträglicheren Eltern habe. Und spätestens beim wiederholten Blick in den Badezimmerspiegel wird klar, dass Bobo wohl mehr mit sich und ihren neuerdings kurz geschnittenen Haaren beschäftigt ist als mit der emotional labilen Mutter.
So weckt der Anfang von Vi är bäst! die Erwartung, Moodysson habe zur erzählerischen Stringenz seiner ersten Filme zurückgefunden. Allen Parallelen zum Trotz ist die auf der autobiografischen Graphic Novel «Aldrig Godnatt» seiner Frau Coco basierende, im Stockholm von 1982 angesiedelte Geschichte jedoch keine Grossstadtvariante seines starken Debüts Fucking Åmål (1998).
Zwar unterscheiden sich die mal warm, mal ungesund wirkenden Gelbtöne der unterbeleuchteten Nacht- und Innenaufnahmen in Ulf Brantås’ eng gefassten Handkamerabildern kaum von jenen des Provinznests Åmål. Weil aber die Protagonistinnen des neuen Films ein paar wenige Jahre jünger sind als damals Agnes und Elin, stehen bei Bobos zaghaftem Selbstfindungsprozess nicht adoleszente Liebesverwicklungen, sondern die Freundschaft zur entscheidungsfreudigen Klara im Zentrum. Dem Kinderzimmer sind die Mädchen nämlich definitiv noch nicht entwachsen.
Und da sie gerade erst ins Rebellenalter kommen, als der Punk bereits für tot erklärt ist, schlagen Klaras Irokesenschnitt und speckige Kleider im kleinbürgerlichen Umfeld der Hauptstadt deutlich weniger hohe Wellen als Agnes’ Homosexualität in Åmål. Die Göre mit den grossen, schalkhaften Augen erntet von den blonden Klassenkameradinnen denn auch lediglich abschätziges Mitleid, wenn sie mit geröteten Backen von den drängenden Problemen ihres erst kürzlich politisierten Lebens predigt, zu denen momentan Atomkraftwerke und die nukleare Bedrohung im Allgemeinen gehören.
Während sich die übrigen Kinder im Jugendtreff eine Teigschlacht liefern, stellen Bobo und Klara mit viel roter Farbe und Feuer einen Reaktorunfall nach. Die existenzielle Dimension ihrer Weltanschauung bleibt jedoch Pose, können die Mädchen doch darauf vertrauen, in der elterlichen Wohnung jederzeit Raum zum Herumtollen und einen vollen Kühlschrank vorzufinden. Die entscheidenderen Fragen betreffen – wenig erstaunlich – den Musikgeschmack. Schliesslich ist gegenseitige Sympathie auch davon abhängig, ob jemand noch «Ebba Grön» hört oder bereits an «Joy Division» verloren gegangen ist.
So grenzen sich die beiden Freundinnen nicht nur gegen die kommerzielle Discomusik der stets pastellfarben angezogenen Blondinen ab, sondern fühlen sich auch physisch belästigt vom Hardrock der Schülerband «Iron Fist». Aus Rache für deren pubertäre Beleidigungen gründet Klara mit Bobo – ohne jede Ahnung von Musikinstrumenten – spontan eine Punkband mit dem einzigen Ziel, die Rocker aus dem kuschelpädagogisch betriebenen Bandraum der Jugendeinrichtung zu vertreiben.
Wie schon bald deutlich wird, stellt Moodysson die Figuren mittlerweile noch radikaler über die Handlung als etwa in der Kommunenkomödie Tillsammans (Together, 2000). Er scheut sich nicht, Klaras Sprunghaftigkeit zum Konzept zu erheben und so die übergeordnete Dramaturgie einer episodischeren Erzählweise zu opfern. Auch jenes Bandprojekt wäre wohl schnell wieder vergessen, wäre da nicht die visuell betont farblose Hedvig, deren Standhaftigkeit Klara und Bobo ebenso beeindruckt wie ihre Gitarrenkünste, sodass sie sie trotz Vorbehalten in die Band aufnehmen.
Wenn der erfrischend unsentimentale Film so etwas wie ein emotionales Zentrum hat, dann ist es diese anfangs verschlossene Hedvig, die im Verlauf der Handlung immer wieder mit bewundernswerten Fähigkeiten und Eigenschaften überrascht, ohne sich im Öffnungsprozess selbst zu verleugnen. Mit ihrer intimen Coverversion des – ursprünglich ironisch gemeinten – KSMB-Hits «Sex Noll Två» bewegt sie nicht nur die vorurteilsbeladenen Freundinnen, sondern singt sich auch ins Herz des Publikums.
Trotz Hedvigs zunehmender Attraktivität und der starken Präsenz von Mira Grosin in der Rolle der lange Zeit unwidersprochenen Anführerin Klara verliert der Film den Selbstfindungsprozess der Hauptfigur nicht aus den Augen. Im Kampf um die Gunst eines Jungen gesteht er Bobo schliesslich doch noch ein Erfolgserlebnis zu, das aber zu peripher ist, um wirklich zu berühren.
Weil sich Moodysson dramatischen Emotionalisierungsstrategien konsequent verweigert und die Erlebnisse der drei Mädchen liebevoll als Sturm im Wasserglas inszeniert, entwickelt Vi är bäst! nie den Sog und die Kraft von Fucking Åmål.
Dank Moodyssons untrüglichem Gespür für den Blick der Kinder und seiner Sensibilität in der Schauspielerführung wirken die Darstellerinnen und Darsteller aber in jedem Moment authentisch. Auch wenn die realitätsnahe, nostalgiefreie Unmittelbarkeit der Inszenierung aus altersmässiger Distanz möglicherweise packender wirkt als aus der Sicht eines heute Dreizehnjährigen, ist es dem Drehbuchautor und Regisseur auf jeden Fall gelungen, mit einer Serie von oft elliptisch geschnittenen Vignetten den Geist des Punk mit ungewöhnlich grosser Heiterkeit einzufangen.