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Un beau soleil intérieur

Das Begehren ist ein Reigen von Körpern, die sich treffen, halten und wieder lösen. Erst allmählich wird Isabelle klar, dass es bei der Liebe um mehr gehen könnte, als nur um den Wechsel von einem Partner zum nächsten.

Text: Philipp Stadelmaier / 19. Dez. 2017

Claire Denis’ Un beau soleil intérieur dreht sich um Isabelle, eine in Paris lebende Künstlerin, gespielt von Juliette Binoche, in deren Leben sich die Männer die Klinke in die Hand geben. Zunächst ist da ein Bankier, der das grosse Geld hat und gern mit Isabelle schläft, aber keineswegs bereit ist, für sie seine Frau zu verlassen. Gefolgt wird er von einem Schauspieler, mit dem es auch nichts wird: Sie schlafen miteinander, danach verliert er das Interesse. Daraufhin taucht Isabelles einstiger Lebensgefährte auf, mit dem es ja ohnehin längst vorbei ist. Und eine neue Bekanntschaft lässt sie schnell wieder fallen, da sie sich einbildet, dass ihre sozialen Milieus zu weit auseinander liegen. Und so weiter.

 

Auf den ersten Blick erscheint Denis’ Film wie einer jener Liebesfilme, in denen eine Frau auf der Suche nach der grossen Liebe ist. Aber allein die Anzahl der Männer macht klar, dass es weniger um die einzelnen Typen geht als um ihre Abfolge, ihren Wechsel, ihren Reigen. Dabei pflegt Isabelle serielle Monogamie. Ihr Liebesleben besteht in dieser Aneinanderreihung von (einzelnen) Männern, mit ihr als Bindeglied.

Die Suche nach der grossen Liebe filmt Claire Denis also als endlose Verkettung, die etwas Mechanisches hat – aber nicht im Sinn von Kälte (es wird viel geweint und geklagt), sondern in Bezug auf die Mechanik der Körper. Die Verkettung des Verliebtseins, bei der Isabelle nach dem einen greift und den anderen wieder loslässt, erinnert an einen Tanz. Gerade Tanzszenen gehören im Werk von Denis zu den schönsten Momenten. Das Tanzen ist dieser Zustand der Körper, in dem sie sich in einer Bewegung befinden, in der sie ebenso allein sind, wie sie sich mit anderen verbinden können. In U. S. Go Home (1994) tanzt Alain zuerst allein in seinem Zimmer und später auf einer Party, auf der er und seine Schwester sich entjungfern lassen wollen, mit verschiedenen Mädchen. In Beau Travail (1999), einem der schönsten Filme der neunziger Jahre überhaupt, tanzt irgendwann der von Denis Lavant gespielte Fremden­legionär zu «Rhythm of the Night» allein in einem Raum, nachdem er aus dem Verbund der anderen Legionäre herausgefallen und ein Glied ohne Kette geworden ist. Und dann gibt es die Tanzszene in 35 Rhums (2008), in der die Figuren von einem Song zum anderen, von einer Konstellation in eine andere gleiten, jede für sich und in ständiger Passage.

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Auch in Un beau soleil intérieur gibt es eine sehr schöne Tanzszene. Als in einer Bar «At Last» von Etta James gespielt wird, steht Isabelle auf, bewegt sich zur Musik. Dann schmiegt sich ein Mann an sie, mit dem sie tanzen und der in der Folge ihr nächster Liebhaber werden wird. «At last, my love has come along»: Man glaubt zunächst, Isabelle habe im Tanz die Liebe und damit das letzte Glied ihrer Kette gefunden, aber natürlich nicht. Am Ende lässt er sie los, und sie sinkt wieder auf ihren Sitzplatz zurück – ein Vorzeichen dafür, dass auch diese Verbindung auf eine Trennung hinauslaufen wird. Die Verkettung wird weitergehen. Ansonsten ist es die Kamera, die tanzt, ver- und entkettet. Wenn Isabelle und ihr Bankier sich an einem Bartresen unterhalten, gleitet die Kamera in einer wunderbaren Bewegung auf sie zu, fasst erst die eine, dann den anderen ein, dann beide zusammen.

Ob nun bei Tanzszenen oder selbst tanzend – Denis’ Kamera erforscht, wie Körper sich verbinden und trennen, sich artikulieren, sich verketten. Ihre Konzentration gilt dem fundamentalen «Zustand» dieser Körper, der darin besteht, dass sie allein oder mit einem anderen sind. Daher die beinahe meditative Sanftheit der Barszene und dieser Kamerabewegung, die bei aller möglichen Dramatik niemals ihre Auf­merksamkeit von diesem tiefen, ungerichteten, wesentlichen Zustand abwendet.

Und wenn auch die Liebe bei Denis ein solcher «Zustand» wäre? Man muss dazu unterscheiden zwischen Verliebtheit einerseits, von der hier ständig die Rede ist, und Liebe andererseits, die Isabelle sucht. Die Verliebtheit ist ans Begehren gekoppelt (Isabelle deutet an, dass sie nur Sex haben kann, wenn sie verliebt ist), sie richtet sich immer auf einen (einzigen) bestimmten Mann. Nun ist das Begehren in Denis’ Kino immer hochgefährlich gewesen. In ihrem Debütfilm Chocolat (1988) ging es um die erotische Spannung zwischen einer Weissen und einem Schwarzen im französischen Kolonialafrika, in Beau Travail führten die erotischen Gefühle eines Fremdenlegionärs für einen anderen Soldaten zu einer Katastrophe, Trouble Every Day (2001) erzählt die Geschichte einer (tödlich endenden) erotischen Obsession. Un beau soleil ­intérieur handelt vom Begehren als Serie. Isabelle klagt, dass ihr Liebesleben längst hinter ihr liege, dabei kommt ständig etwas Neues, was nur eine weitere Variation des Vergangenen ist. Isabelle liegt in dieser seriell reproduzierten Monogamie in Ketten.

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Das Begehren ist nicht nur monogam, sondern auch auf soziale Art monoton, da es nur innerhalb der eigenen sozialen Gruppe bleibt – der Geliebte muss «sein, wie man selbst». Darin liegt der politische Charakter des Films. In Anbetracht eines neuen Liebhabers weist ein Freund Isabelle zurecht, sie könne doch nicht mit jemandem zusammen sein, der nicht aus «ihrem Milieu» stamme. Daraufhin beendet sie ihre Liaison. Nachdem Denis in White Material (2009) und Les Sa­lauds (2013) den Niedergang weisser, rei­cher, selbstsüchtiger Milieus geschildert hat, ist das Pariser Kunstmilieu ein weiterer geschlossener Kosmos, in dem das Begehren nur auf die zielen kann, die sind, wie man selbst – womit das Unglück programmiert ist.

Im Gegensatz dazu wäre «Liebe» etwas, als das sie der amerikanische Philosoph Michael Hardt beschrieben hat – weniger ein gerichtetes Begehren als ein politisches und globales Gefühl, das sich nicht nur auf einen bestimmten Einzelnen und jene der eigenen Gruppe, sondern auf die anderen, Fremden beziehen kann. Die Figuren im Kino von Claire Denis, die als Tochter eines Kolonialbeamten in Afrika aufwuchs, kommen aus Benin, Litauen, Tahiti, den Antillen und den USA. Deswegen war ihr Kino für diese Art der «globalen Liebe» immer schon empfänglich. In ihrem neuen Film wäre die unendliche Verkettung von Einzelnen dann zweierlei: die Verkettung der Körper im monotonen Spiel des jeweiligen konkreten Begehrens, aber auch die Möglichkeit ihrer Entkoppelung aus diesem Spiel, ihrer Öffnung auf einen ungerichteten «Zustand», auf eine globale Allgemeinheit. Am Ende rät ein Zukunftsleser (Gérard Depardieu) Isabelle, «offen» zu bleiben, um auf diese Weise in den Zustand der Liebe einzutreten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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