Da ist sie wieder, diese charakteristische Mischung aus Reduktion und Verdichtung, gepaart mit dem Mut zu Szenen, in denen manchmal so gut wie nichts geschieht, und zu Figuren, die längst nicht alles preisgeben, sondern sich stets einen Rest von Geheimnis bewahren.
Auch stilistisch fügt sich Transit nahtlos in das bisherige Werk von Christian Petzold ein: entschlackte Bilder, ein massvoller Montagerhythmus, der auf jegliche Mätzchen verzichtet, und eine Ausstattung, die von Präzision und Konzentration lebt. Das alles ist das Ergebnis eines eingeschworenen Teams, das seit Petzolds Kinoerstling Die innere Sicherheit immer wieder zusammenfindet und eine überaus konsistente Arbeit vorlegt. Und doch geschieht diesmal etwas Neues und Gewagtes.
Die Geschichte von Transit ist rasch erzählt: Georg ist ohne Papiere aus Deutschland geflohen. Auf dem Weg von Paris nach Marseille hilft ihm das Glück: Er gelangt an Ausweise und Reisedokumente eines anderen und nimmt dessen Identität an. Damit scheint seine Zukunft gesichert, der Weg nach Südamerika frei. Dennoch bleibt er in der Hafenstadt zunächst hängen: wegen Begegnungen – mit dem Jungen Driss, vor allem aber mit Marie –, die alles infrage stellen.
Transit basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers, in den die Schriftstellerin bereits während des Zweiten Weltkriegs eigene Erfahrungen von Flucht und Exil einfliessen liess. Das erste Treatment des Drehbuchs stammte noch von Harun Farocki, Petzolds langjährigem, 2014 verstorbenem Koautor. Die Wahl des Stoffs leuchtet in besonderer Weise ein, denn der Bezug zur heutigen Flüchtlingskrise liegt auf der Hand. Dennoch legt Petzold keine realistische Darstellung im herkömmlichen Sinn vor. Bereits die Ausgangslage des Films deutet in eine andere Richtung. Den Seghers-Roman verlegt er in die Gegenwart, sodass Georgs Flucht aus Paris, sein Stranden in Marseille und die Begegnung mit Driss und Marie im Hier und Jetzt spielen.
Trotzdem handelt es sich nicht um eine simple Aktualisierung des Romans. Ausstattung und Kostüme evozieren zum Teil dann doch wieder die Vierzigerjahre, sodass der Gegenwartsbezug in einer Art Rückbewegung scheinbar aufgehoben wird. Das ist durchaus irritierend, und man könnte dem Film vorwerfen, er wisse sich nicht zu entscheiden, sei weder Fisch noch Vogel. Tatsächlich aber heben sich die beiden Bewegungen – Versetzung in die Gegenwart, Rückverlagerung in die Vergangenheit – nicht auf, sondern schaffen einen Resonanzraum, in dem beide Zeiten widerhallen und in einen Dialog miteinander treten.
So macht Petzolds absichtsvoller Verzicht auf vorschnellen Realismus, der ihn auch in seinen früheren Filmen nie interessierte, Platz für ein sehr viel grundsätzlicheres Nachdenken über die emotionalen und psychischen Implikationen von Emigration und Flucht. Letztere stellt man sich ja gerne als etwas Dramatisches und Zielgerichtetes vor – nicht zuletzt, weil sie in zahllosen Filmen so dargestellt wird.
Transit jedoch legt den Fokus auf Aspekte, die unbequemer, aber auch stiller und ungleich schwieriger zu ertragen sind: die demütigende Warterei auf Ämtern und Konsulaten; die himmelschreienden Absurditäten (in Marseille darf nur bleiben, wer beweisen kann, dass er gehen wird); das Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein; die tiefe Skepsis anderen Flüchtlingen gegenüber (Welchem politischen Lager gehören sie an? Wem ist zu trauen?); die zermürbende Gleichzeitigkeit von ätzender Ereignislosigkeit und dauerhafter Anspannung; der Hunger und die permanente Geldnot; die ständige Furcht vor Entdeckung, Inhaftierung und Rückschaffung; die bodenlose Erschöpfung; das Abhandenkommen eines Ziels.
Um eine solche Gemengelage auszudrücken, braucht es Schauspieler_innen, die dieser Aufgabe gewachsen sind. In der Tat erweist sich Franz Rogowski als Idealbesetzung für Georg. Wie der Schauspieler, Tänzer und Choreograf seine Figur mit der Offenheit eines stillen Kindes und der physischen Präsenz eines Erwachsenen ausstattet, ist ein Ereignis, dem man stundenlang zuschauen möchte. Und von der gerade mal 22-jährigen Paula Beer als Marie sagt Petzold, er wisse nicht, woher sie diese Erwachsenheit nehme: «Sie hat eine Lebenserfahrung und gleichzeitig eine jugendliche Anmutung, wie ich das vorher noch nicht gesehen habe.» Barbara Auer, Godehard Giese und Justus von Dohnáhnyi wiederum verkörpern mit höchster Präzision Nebenfiguren, deren erschütternde Verzweiflung manchmal mit Händen zu greifen ist.
Sie alle bewegen sich in diesem Transitraum mit jener Mischung aus Schwerelosigkeit und Mühsal, die man sonst aus Träumen kennt, sind Akteure in einer Geschichte über Flucht und Liebe, Schuld und Loyalität und die Widersprüchlichkeiten, die daraus erwachsen.
Petzolds Kino, und Transit bildet darin keine Ausnahme, stand nie für einen Realismus im herkömmlichen Sinn, weit eher aber für die Plausibilität von Figuren in einem Ausnahmezustand, dessen Ende nicht absehbar ist und der zur zerstörerischen Regel zu werden droht. Um das zu erreichen, schreckt der Erzähler Petzold nicht vor Wendungen zurück, die auf den ersten Blick abenteuerlich, wenn nicht sogar unwahrscheinlich anmuten. Man denke nur an das Konstrukt, das Phoenix zugrunde lag: Eine Überlebende des Konzentrationslagers trifft ihren Ehemann wieder. Der aber erkennt sie nicht und verlangt von ihr, dass sie vorgibt, seine Frau zu sein, weil er mit dieser Finte an das Erbe der vermeintlich Toten zu kommen hofft.
Auch Transit lebt von solchen Elementen, und es ist verführerisch, sie erst einmal ungläubig zurückzuweisen und Petzold mangelnden Realitätssinn vorzuwerfen. Viel lohnenswerter ist jedoch, sich auf dieses fein austarierte Konstrukt einzulassen und sich der Erkenntnis hinzugeben, dass es nur dazu dient, emotionale und psychische Wahrheiten zu ermöglichen.
Dass Transit ausgerechnet auf diese Weise und ausgerechnet zu Zeiten der Flüchtlingskrise eine Geschiche von Flucht und Vertreibung erzählt, ist natürlich ein Wagnis. Manch einer wünschte sich wohl einen expliziteren, vordergründig politischeren Kommentar über eine Gegenwart, in der die EU nicht müde wird, die sogenannten europäischen Werte immer lauter zu behaupten, während sie angesichts nicht versiegender Flüchtlingsströme immer hilfloser agiert. Dabei verrät dies vor allem, welch kurzes Gedächtnis Europa hat: Verliessen doch zwischen 1840 und 1940 nicht weniger als 55 Millionen Menschen Europa Richtung Westen, manche aus Überlebens-, andere aus wirtschaftlichen Gründen. Kaum einer tat es leichtfertig, und Hunderttausende scheiterten.
Den Menschen in Transit geht es wie ihnen: Sie hängen fest. Und warten. Auf Schiffe, Visa, Transits. «Es wird für sie kein Zurück mehr geben», sag Petzold, «und kein Vorwärts. Niemand will sie aufnehmen, niemand will sich kümmern um sie, niemand nimmt sie wahr – nur die Polizisten, die Kollaborateure und die Überwachungskameras. Sie sind im Begriff, Gespenster zu werden, zwischen Leben und Tod, zwischen dem Gestern und dem Heute. Die Gegenwart zieht vorbei an ihnen und nimmt keine Notiz von ihnen.»
Transit gibt ihnen ein Gesicht. Und eine Würde. Ohne in falsches Pathos oder Gefühlsduselei abzugleiten. Und da sich im Resonanzraum des Films sowohl jene von gestern als auch jene von heute begegnen, erlaubt uns der Film, über Flucht als gleichermassen menschliches wie schreckliches Phänomen nachzudenken. Jenseits offizieller Verlautbarungen über Grenzzäune und Kontingente. So gesehen, hat Transit sehr wohl eine politische Dimension.