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Tinker Tailer Soldier Spy

Tinker Tailor Soldier Spy ist ein Ausnahmefilm, weil er ganz ernsthaft von menschlichen Verstrickungen zu Zeiten des Kalten Krieges erzählt und weil er dies auf eine filmische Art und Weise tut, die ihn zugleich fern und gegenwärtig erscheinen lässt.

Text: Frank Arnold / 11. Jan. 2012

James Bond ist schuld. Dank der ungebrochenen Leinwandpopularität dieses Geheimagenten verkürzt sich der Spionagefilm im Bewusstsein des Kinogängers auf den Agentenfilm, dessen tragende Elemente Action, schöne Frauen und exotische Schauplätze sind. Vertrauen und Verrat, Loyalität und Lügen, die grosse Desillusionierung sind keine Themen mehr, statt mit der Konfrontation zweier Gesellschaftssysteme zu Zeiten des Kalten Krieges haben wir es heute mit verrückten Individuen zu tun, die in letzter Sekunde durch den Einsatz mutiger und erfahrener Agenten gestoppt werden – das reicht bis hin zu Cars 2, dem jüngsten Animationsfilm aus dem Hause Pixar, und Mission Impossible: Ghost Protocol. Die höchst erfolgreiche Reihe um den Agenten Jason Bourne mag mit ihren Intrigen und Verschwörungen in den eigenen Reihen der Gattung etwas vom grösseren politischen Kontext und der Ambivalenz zurückgegeben haben, definiert sich aber in erster Linie über ihren semidokumentarischen Stil, der den Zuschauer mitten hinein ins Geschehen stürzt. Ansonsten betonen Parodien, schon seit Casino Royale und den augenzwinkernden Auftritten einiger von Bonds Zeitgenossen wie Derek Flint oder Matt Helm bis hin zu den in Serie gegangenen Filmen mit Mike Myers (Austin Powers) und Jean Dujardin (OSS 117), den Charakter der Gattung als grosse Nostalgie-Wunscherfüllungsmaschinerie.

Vor diesem Hintergrund ist Tinker Tailor Soldier Spy ein Ausnahmefilm, weil er ganz ernsthaft von menschlichen Verstrickungen zu Zeiten des Kalten Krieges erzählt und weil er dies auf eine filmische Art und Weise tut, die ihn zugleich fern und gegenwärtig erscheinen lässt. Das verdankt er zum einen seiner literarischen Vorlage, dem gleichnamigen Roman von John le Carré von 1974, zum anderen der filmischen Intelligenz von Drehbuch und Regie.

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«The truth is, if old Major Dover hadn’t dropped dead at Taunton races, Jim would never have come to Thursgood’s at all.» Der Anfang von John le Carrés Roman hat Methode, zumal in den ersten drei Worten (die deutsche Übersetzung ist da nicht so präzise, zum Filmstart soll im Januar eine Neuübersetzung vorliegen). Was die Wahrheit ist, wird sich dem Protagonisten des Films (und damit dem Leser / Zuschauer) erst im Verlauf der Geschichte erschliessen, aber selbst dann werden am Ende einige Fragen offen bleiben. Le Carrés Schreibweise hat etwas vom Habitus seines Protagonisten George Smiley, der zuerst einmal ein geduldiger Beobachter ist. Er nähert sich gewissermassen vom Rand her dem Zentrum und schweift (scheinbar) immer wieder ab zu den Erzählungen anderer, die oft in die Vergangenheit zurückführen.

Jim, der im ersten Satz des Buches Eingeführte, ist eine Schlüsselfigur: Jim Prideaux ist einer der «Skalpjäger», einer der Agenten, die für die Schmutzarbeit zuständig sind. In diesem Fall soll er unter falscher Identität hinter den Eisernen Vorhang reisen und einem General, der überlaufen will, den Namen eines Verräters entlocken – eines Verräters an höchster Stelle im britischen Geheimdienst. Den Auftrag dazu erteilt «Control» höchstpersönlich, der Mann an der Spitze des MI6, dessen wirklichen Namen niemand kennt. Und zwar unter höchst konspirativen Umständen, schliesslich ist der Verräter einer der fünf ihm unterstellten Abteilungsleiter: Alleline, Haydon, Bland, Esterhase – und Smiley, sein engster Vertrauter.

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Die Mission geht schief, Prideaux wird niedergeschossen. Daraufhin wird Control entlassen, sein Stellvertreter Smiley ebenfalls. Einige Monate später jedoch wird Smiley von Staatssekretär Lacon gebeten, die Sache weiterzuverfolgen, neue Indizien weisen darauf hin, dass der – inzwischen verstorbene – Control doch recht hatte: Es gibt einen Maulwurf an höchster Stelle. Aber welcher der Vier ist es?

Mit Hilfe von Peter Guillam, dem neuen Chef der Skalpjäger, beginnt Smiley zu ermitteln. Er befragt ehemalige Mitarbeiter, während Guillam im Hauptquartier des «Circus» (wie der britische Auslandsgeheimdienst MI6 intern genannt wird) in geheimen Akten schnüffelt. Ein Puzzle wird zusammengesetzt, nicht zuletzt aus Rückblenden in die Vergangenheit. Die Arbeit ist Polizeiarbeit, Detektivarbeit, aber unter Massgabe höchster Geheimhaltung. Action-Szenen reduziert der Film extrem: Bei der fehlschlagenden Mission zu Beginn richtet sich das Augenmerk auf Blicke – wer von den Leuten, die sich in der Nähe des Treffpunkts befinden, könnte ein feindlicher Agent sein? Ein Auftrag in Ankara endet damit, dass die Informantin gewaltsam nach Russland zurückgebracht wird. Bei der Schilderung, die Prideaux von den Verhören und Folterungen nach seiner Festnahme gibt, wird vor seinen Augen eine Frau erschossen – der schockierendste Moment des Films.

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Die erzählerische Verdichtung des Films ist enorm, das wird deutlich, wenn man dessen Länge von 127 Minuten mit den 315 Minuten vergleicht, die die gleichnamige Erstverfilmung des Romans, eine siebenteilige TV-Serie aus dem Jahr 1979, dauerte. In ihr wurden diese Szenen viel ausführlicher geschildert, anderes wurde in Dialogen erzählt, das visualisiert der Film nun in Rückblenden. Ein schönes Beispiel ist etwa das Foto, das Bill Haydon und Jim Prideaux zu einer früheren Zeit Arm in Arm zeigt und das Haydon heimlich einsteckt, als er und ein Mitarbeiter nach dem missglückten Einsatz hinter dem Eisernen Vorhang Prideaux’ Wohnung nach belastendem Material durchsuchen: Waren sie nur beste Freunde oder doch mehr? «Die Unzertrennlichen» nannte man sie, erfahren wir. Wir können das in Verbindung setzen mit Prideaux’ heutiger Freundschaft mit einem Schüler (Prideaux gilt offiziell als tot und hat als Lehrer in der Provinz ein neues Leben begonnen) und seinem Gefühl, dass dies vielleicht nicht gut ist für den Schüler, an dem er einmal lobt, dass er eine gute Beobachtungsgabe habe. Das verweist zwar auf die Einschätzung, mit der Haydon einst Prideaux für eine Tätigkeit beim Geheimdienst empfahl, aber unterschwellig schwingt eine sexuelle Note mit. Die Homosexualität britischer (Doppel-)Agenten wird angedeutet, aber eher beiläufig ausgesprochen. In der Fernsehversion war es eine Art running gag, dass jederman Smiley fragte, wie es seiner Frau Ann ginge, deren notorische Untreue unter den Mitarbeitern des Circus offensichtlich allgemein bekannt war. Der Film setzt auch dies ins Bildhafte um: Bei einer Weihnachtsfeier im Circus sieht Smiley die Untreue seiner Frau mit eigenen Augen. Dieses Wissen produziert bei ihm aber keine wortreiche Verteidigung, sondern nur einen traurigen Blick.

Das passt zum Minimalismus, mit dem Gary Oldman diese Figur verkörpert – nur ein einziges Mal erhebt er seine Stimme. Ansonsten ist er der wortkarge Beobachter, dessen Bedächtigkeit den ganzen Film prägt (man schaue sich nur an, wie er ein Pfefferminzbonbon auspackt und in seinen Mund schiebt). Verständlich, dass man so jemanden leicht unterschätzen kann. Oldman ist das moralische Zentrum des Films, so wie es, bei aller Verschiedenheit, auch Alec Guinness in der Fernsehserie war. Und gleichzeitig ist der Film ein bemerkenswertes Ensemblestück und skizziert die vier Verdächtigen bedeutend klarer als die längere Fernsehversion.

Tinker Tailor Soldier Spy ist ein Film, der den Zuschauer als Mitdenkenden ernst nimmt. Kein kleines Kompliment, das man einem Film dieser Grössenordnung im heutigen Kino machen kann.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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