Chicago, 1915. Während einer ziemlich bizarren Pressekonferenz, die in einer durch weiches Licht, asiatische Statuen, Schädel und ausgestopfte Schlangen exotisch aufgeladenen Atmosphäre stattfand, wurde der nordamerikanischen Presse eine Schauspielerin vorgestellt: une artiste, die direkt von den Pariser Bühnen kam, kaum Englisch sprach und in gewisser Hinsicht der göttlichen Sarah Bernhardt glich. Die exotische Erscheinung in vielen Schleiern und einem provokanten Kleid soll im Schatten der Pyramiden neben der Sphinx auf die Welt gekommen sein. Ihr Name: Theda Bara, ein Anagramm von «Arab Death». Sollen wir diese Geschichte glauben? Natürlich nicht, aber im Hollywood der zehner Jahre hatten die Werbeverantwortlichen keine Skrupel, ihre blühende Phantasie einzusetzen.
Hinter der Diva Theda Bara steckt in Wahrheit die 27-jährige Theodosia Burr Goodman aus Cincinnati, Tochter eines russischen Juden und seiner Schweizer Ehefrau. Die jüdische Herkunft wurde dem Publikum zwar verborgen, aber die Publicity-Verantwortlichen gaben ihr Bestes, Baras Aura mit östlichem Exotismus zu konturieren. Die Studios schufen ein mysteriöses Bild vom privaten Leben einer unbekannten Schauspielerin. Damit daraus «Stardom» entstehen konnte, fehlte nur der grosse Ruhm. Und den erlangte Theda Bara mit ihrer ersten Hauptrolle, der Rolle einer Femme fatale in A Fool There Was.
Die vermeintlich fremdländische Herkunft, ihre betont weiblichen Körperformen, der aussergewöhnliche Look – komplett anders als die White Anglo-Saxon Protestants – und besonders die erste Filmrolle machten sie zum ersten und vielleicht berühmtesten Vamp der Stummfilmzeit. Vamp ist die Abkürzung von vampire. Die Idee für das Drehbuch von A Fool There Was stammt von einem Gedicht Rudyard Kiplings, der sich seinerseits von der gleichnamigen Malerei von Philip Byrne Jones mit dem Titel «The Vampire» inspirieren liess. Die von Theda Bara gespielte Figur heisst zwar «The Vampire», ist aber nichts anderes ist als die verzerrte Projektion des viktorianischen Mannes, der sich vor der urbanen Frau des beginnenden 20. Jahrhunderts fürchtet, vor ihrem neuartigen Bedürfnis nach Freiheit, ihrer Emanzipation und ihrem erotischen Selbstbewusstsein. Es gibt nichts Übernatürliches an diesem Vampir, vielmehr entwickelt die sehr lebendige Frau eine hypnotische und sexuelle Macht, die den Mann zerstören kann.
In A Fool There Was ist der Dummkopf der reiche Anwalt John Schuyler, der vom US-Präsidenten in einer diplomatischen Mission nach England geschickt wird. Frau und Tochter muss er zu Hause zurücklassen, und so fährt er mit einem Transatlantikdampfer allein in Richtung Europa. An Bord trifft er «die Vampirin», die ihn verführt. Ihr vollkommen verfallen, beginnt er zu trinken, verliert er seinen Job, seine Ehre und die Liebe seiner Familie. Die Frau des Anwalts tut zwar alles, um ihren Mann zurückzugewinnen, gegen die sich zeitweise irrsinnig gebärdende Rivalin ist sie machtlos. Der Mann ist dem Vamp bis zum völligen moralischen und körperlichen Verfall ausgeliefert. Neben Schuyler verfallen ihr zwei andere «Fools». Das weibliche Publikum konnte Theda Bara dafür verabscheuen, während die männlichen Zuschauer ihren geheimen sexuellen Phantasien frönen konnten.
Theda Bara spielte ihre männlichen Kollegen im doppelten Sinn an die Wand. In A Fool There Was ist dieser Kontrast ein echtes Leitmotiv. Die Szene, in der sie vom letzten Liebhaber mit einer Pistole bedroht wird, weil sie ihn verlassen hat, ist emblematisch. Auch bewaffnet kann er sich nicht gegen die Macht des Vamps wehren. Er wirkt unsicher und körperlich schwach. Die Pistole ist ohnehin sehr klein, ein Symbol seiner mangelnden Virilität. Sie unterwirft ihn, indem sie ihn animalisch aus ihren schwarz umrandeten Augen anstarrt. Mit einem Wink mit einer Rose lässt sie den Liebhaber die Pistole senken und bringt ihn schliesslich dazu, Selbstmord zu begehen. Es handelt sich in dieser und in ähnlichen Szenen um ein Aufeinanderprallen von Energien, wobei nicht nur die weibliche Figur dominant wirkt, sondern in diesem Fall auch die Schauspielerin selbst.
Das Spiel Baras wird durch die Konflikte mit den männlichen Körpern, durch den Kontrast zwischen ihrer hypnotischen Kraft und der Liederlichkeit des Partners hervorgehoben. Die Beziehung zwischen dem Vamp und den Männern ist um diese asymmetrische Dynamik herum konstruiert. In der letzten Szene erreicht der Gegensatz zwischen dem körperlichen und moralischen Zerfall des Mannes und dem Sadismus, der Grausamkeit der Frau ihren Höhepunkt. Sie endet mit Schuylers Tod und dem Sieg des Vamps. Triumphierend streut Bara Rosenblütenblätter auf die Leiche des Liebhabers.
Der Film wie auch das Spiel Theda Baras zeichnen sich nicht gerade durch dramaturgische Feinheiten aus, sind aber emotional effektvoll und packend. Das merkt man insbesondere dann, wenn die Schauspielerin einen der wichtigsten Momente der ars amatoria darstellen muss: die Verführung. In dieser Szene, in der durch eine protoklassische Montage die Vampirin und die Familie ihres Liebhabers einander gegenübergestellt werden, zeigt sich Baras Kunst darin, nur durch die Ausdruckskraft der Augen und durch den Blick das Spiel zu führen, die Entstehung der sexuellen Lust mit würdevoller Haltung darzustellen und sich innerhalb der Koordinaten des Galanterieregisters zu bewegen.
Leider sind nur wenige Filme von Theda Bara erhalten, was es sehr schwierig macht, sich eine genaue Vorstellung vom Fortgang ihrer Karriere zu machen. Es sind aber viele Paratexte, besonders Fotografien und Rezensionen, erhalten, die ihren unglaublichen Erfolg während der zweiten Hälfte der zehner Jahre bezeugen. Wir wissen auch, dass sie nur bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg Erfolg hatte. Vielleicht war der kinematografische Vamp danach vorübergehend nicht mehr zeitgemäss, man musste noch einige Jahre darauf warten, Theda Baras Reinkarnation in anderen weiblichen Körpern auf der Leinwand anzutreffen.
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