Hektik herrscht im Bürgermeisterbüro des kleinen Dorfs Vizuresti nördlich von Bukarest: Nun sollen auch noch Tauben beschafft werden! Weisse, wohlgemerkt. Dabei wurden doch schon an jeder Ecke Fahnen montiert, Kuhfladen von der Strasse gekratzt, von der Dorfjugend Gedichte auswendig gelernt und die Schafe von der Bergweide geholt! Und das alles für einen Parteibesuch, von dem niemand weiss, ob er überhaupt stattfinden wird …
Der Erzählreigen im Episodenfilm Tales from The golden Age beginnt mit dem zwanzigminütigen Debütfilm der Rumänin Ioana Uricaru. Ihr Legend of The Official Visit eröffnet die Reihe tragikomischer Vignetten, die sich um Geschichten aus dem Alltag unter Nicolae Ceausescus Regime drehen. Uricarus Film gibt den Blick frei hinter die Kulissen eines sprichwörtlich Potemkinschen Dorfs, das sich für eine Inspektion durch die Parteioberen herausputzt. Fellinihaft überdreht und doch feinsinnig-kritisch. Ein abstruser Befehl jagt den anderen – im einen Moment soll das Karussell abgebaut werden, im nächsten für eine nächtliche Fahrt zur Verfügung stehen –, um dann die Geschichte mit einem ebenso pittoresken wie emblematischen Bild zu beschliessen: Auf Befehl eines Parteifunktionärs steigen alle anwesenden Dorfbewohner aufs Kettenkarussell – um sich noch Stunden später im Kreis zu drehen, gibt es doch niemanden, der das Ringelspiel stoppen könnte …
Cristian Mungiu zeichnet für die Drehbücher der «von Mund zu Ohr weitergegebenen Legenden» aus jener Zeit und führt auch bei zweien der insgesamt sechs Episoden Regie. Der bis vor seinem Preis der Goldenen Palme 2007 weitgehend unbekannte rumänische Regisseur hatte mit seiner ersten «Erzählung aus dem Goldenen Zeitalter» Furore gemacht: Sein 4 Months, 3 Weeks, 2 Days erzählte mit leiser Wucht das Drama um eine illegale Abtreibung im Rumänien Ceausescus und kam dabei ebenso überraschend wie verdient zur grossen Ehrung in Cannes. Nun erlebt sein preisgekrönter Film eine leichtfüssig-komödiantische Fortsetzung, die Mungiu bewusst «nostalgisch», mit einer Anlehnung an die «italienischen Filme der Sechziger, Siebziger», -gestaltete, um auch ein breiteres Publikum zu erreichen. Wollte Mungiu die Storys ursprünglich selbst verfilmen, holte er sich dafür dann eine Reihe von Nachwuchsfilmern, die – wie er selbst – alle um die vierzig sind und die Zeit der Diktatur noch aus eigener Anschauung kennen.
So auch Hanno Höfer, dem die stimmigste Episode in Tales from The Golden Age zuzuschreiben ist: Sein Legend of The Party Photographer zeichnet ein subtil-humorvolles Porträt um Zensur und Propaganda. Im grossen Pressehaus in Bukarest, das zugleich Parteisitz war, werden insbesondere Fotos retuschiert, Unliebsames eliminiert und der eher kleine Ceausescu immer einen Tick grösser gemacht. Als Giscard d’Estaing beim Empfang auf dem Bukarester Flughafen mit Hut auftritt, wird Ceausescu nachträglich auf dem Foto ebenfalls ein Hut verpasst – doch in der Eile geht dabei ein kleines Detail vergessen …
Höfer, der von Haus aus Musiker ist, zeichnet für die Originalmusik von Tales from The Golden Age. Für seinen Film hat er dabei einen besonders tollen Sound kreiert, der – mit dem feinen Klacken der Schreibmaschine durchsetzt – parallel zu dem immer wieder ins Bild gesetzten Treppenhaus auf witzige Art das Hin und Her (oder besser: das Hoch und Runter) der Dienstwege illustriert.
The Legend of The Greedy Policeman von Constantin Popescu wiederum ist eine mit viel grotesker Komik aufgeladene Episode rund um einen Polizisten, der von einem Verwandten auf dem Dorf vor Weihnachten mit einem (lebenden) Schwein beglückt wird. Nun fragt sich einzig: Wie wird aus dem grunzenden Tier in einer kleinen Stadtwohnung der ersehnte Festtagsbraten, ohne dass neidische Nachbarn etwas davon mitbekommen …
Beschlossen wird die Episodenreihe von Cristian Mungiu mit seiner leider etwas länglich geratenen Story über ein betrügerisches Flaschenverkäuferpaar (The Legend of The Air Sellers). Als eine Art Bonnie & Clyde knöpfen die Schülerin Crina und der Student Bughi den Leuten in den Wohnblocks Flaschen mit Trinkwasserproben ab. Auch Kleinvieh macht Mist. Zumindest zu Zeiten des rumänischen Diktators, wo alles Staatseigentum war und die Glasflaschen gewinnbringend verkauft werden konnten.
So gibt Tales from The Golden Age einen vielfach erheiternden Einblick in die Kontrollstrukturen der kommunistischen Diktatur und die ausgeklügelten Überlebensstrategien der Menschen. Der Clou bei dem Filmprojekt ist, dass sechs Episoden fertiggestellt wurden, diese aber in freier Reihenfolge und Zusammenstellung in die Kinos kommen. So gab es bereits bei der Uraufführung in Cannes zwei (unterschiedliche) Vorstellungen, bei denen jeweils fünf gezeigt wurden. Und während in Frankreich alle sechs im Kino zu sehen waren, wurden für die Auswertung im deutschsprachigen Raum nun vier Episoden ausgewählt. Das Konzept dahinter ist, laut Mungiu, sich zum einen dem Gefühl jener Zeit anzunähern, in der die Menschen nie genau wussten, was sie – etwa in den notorisch leeren Lebensmittelläden – vorgesetzt bekamen, und zum anderen die damalige «Legendenbildung» nachzuvollziehen, weil die einen Kinogänger über Geschichten referieren können, die den anderen verborgen bleiben. Eine reizvolle Idee, die aber vermutlich ein theoretisches Konstrukt bleiben wird.