Yoav kommt aus Israel in Paris an. Er will seiner ungeliebten Heimat entfliehen, seine Muttersprache verlieren, kein Hebräisch mehr sprechen, nur noch Französisch. Um dieses zu verbessern, stattet er sich mit einem Wörterbuch aus und verschreibt sich den Synonymen: «odieux, répugnant, obscène, vulgaire …». Auch Yoav ist ein Synonym oder eher ein Alter Ego des Regisseurs Nadav Lapid, der nach dem Militärdienst einst selbst zum Studium nach Paris kam, wo er nun seinen ersten Film ausserhalb Israels gedreht hat: Synonymes, der auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Das grosse Gelingen des Films besteht darin, dass er sich der Sprache verschreibt. Auch das Kino ist eine Sprache, und wenn man diesen Film sieht, fällt einem auf, wie selten das heute geworden ist: dieses Vergleichen (das niemals einfach ein «Gleichsetzen» ist) von Körpern, Bildern, Begriffen und Nationen.
Nach seiner Ankunft übernachtet Yoav in einer leerstehenden Altbauwohnung. Während er duscht, werden ihm seine Sachen gestohlen. Yoav bleibt splitternackt in der Badewanne zurück. Am nächsten Morgen findet ihn ein junges und wohlhabendes Nachbarspärchen, Émile und Caroline, die ihn in ihr Bett und ihr Leben tragen.
Was erwartet Yoav von Frankreich? Und was erwartet man heute noch vom französischen Kino? Man erinnert sich an Bernardo Bertoluccis The Dreamers (2003) mit Louis Garrel, Eva Green und Michael Pitt, eine Ménage à trois zwischen drei jungen, schönen Cinephilen um 1968, die sich in die grosse elterliche Wohnung in Paris einschlossen und sie in einen geschlossenen Kosmos für ihre Träume, Spiele und Fantastereien verwandelten, in eine imaginäre Welt. Auf eine solche Romanze steuert auch Synonymes zu, allerdings nur um sie schnell zu unterbrechen. Émile und Yoav sitzen auf dem Sofa, als würden sie sich gleich küssen, aber sie tun nur so als ob; in diesem Moment kommt Caroline herein und macht das Licht im schnellen Wechsel an und aus, sodass es flackert, während die Kamera hin und her zischt, zwischen dem Schalter und dem Licht an der Wand. Was ist schon eine Beziehung? Ein ständiges Verbinden und Trennen, wie das An- und Ausknipsen eines Lichtschalters.
Ebenso kühl wie er auf die Figuren schaut, schaut Lapid auf die Nationen. Israel ist für Yoav, den ehemaligen Silver-Star-Soldaten, eine Nation, deren Schicksal besiegelt ist, ein Land im Dauerstress; in Paris trifft er zionistische Juden, die Kämpfe gegen Neonazis veranstalten. In Frankreich mag Yoav das Land der Menschenrechte sehen, im Einbürgerungskurs werden stolz die Werte der Republik und alle Präsidenten der Fünften Republik bis Macron doziert. Aber die Logik der Synonyme verdeutlicht, dass es sich bei Frankreich, wie bei der Romanze, um eine Fantasie handelt. «Menschenrechte», «Freiheit», «Demokratie» – all diese Begriffe sind, entkleidet man sie bis auf die Haut, nur Worte, ebenso wie «Autoritarismus», der aktuell in Frankreich ebenso regiert wie die Polizeigewalt gegen die Gelbwesten. Auf dieser Ebene stellt sich die Frage: Wann ist ein Begriff wie «Demokratie» kein Gegensatz mehr von «Autoritarismus», sondern sein Synonym? Wie schnell gleitet man von einem ins andere?
Auch hier besteht eine flackernde Verbindung, jedoch kein explizit politischer Diskurs. Lapid ist kalt, aber fair. Bevor etwas bedeutet wird, kommt das Bedeuten selbst, die nackte Sprache, dieses kalte und ungemütliche Feld, auf dem alles möglich, aber nichts sicher ist, alle Affinitäten aufblühen können, um sofort durch neue ersetzt zu werden. Daher ist in Lapids künstlerischer Verwandtschaft vor allem ein Name zu nennen, auf den schon die Dreamers zurückverwiesen hatten: Jean-Luc Godard. Godard hat sich von jeher weniger für konkrete Inhalte (Ideologien, Dogmen, Theoreme) interessiert, als dafür, wie bestimmte Bilder und Aussagen mit anderen Bildern und Aussagen montiert, alteriert oder ersetzt werden können – oder eben nicht. Was leicht dazu führt, dass man zwischen Bild und Welt nicht mehr unterscheiden kann. Die Helden aus Les Carabiniers (1963) hielten Postkarten mit Bildern der Schätze der Welt für diese Schätze selbst, und auch Yoav stiehlt anfangs Postkarten, während er versucht, sein romantisches Frankreichbild für die Realität zu halten. So kann er nur ständig neue Synonyme finden, ohne jemals wirklich etwas zu sagen. Yoav spricht wie eine Figur bei Godard: laut und sich wiederholend; hart und mechanisch wie ein Repetierapparat; wie das Repetiergewehr, mit dem in den Rückblenden die israelischen Soldaten feuern. Die Sprache ist in Lapids Film ein brutaler und vulgärer Akt, der zwischen sich und der Wirklichkeit keine Distanz wahrt. Am Ende hält Yoav einen beleidigenden Vortrag in einer sozial unmöglichen Situation.
Toll an dem Film und an dieser Figur ist das Rohe und Testosterongesteuerte, das Lapid niemals benutzt, um durch die Hintertür einen unangenehmen Sexismus einzuschmuggeln. Yoavs Hunger funktioniert synonymisch, er ist hungrig nach Steaks, Crêpes oder Frauenbeinen, die vor ihm über die Strasse gehen. In erster Linie ist er hungrig nach Sprache, nach neuen Wörtern, um seine Muttersprache zu verlieren. Daher wirkt der rohe und maskuline Körper von Tom Mercier am Ende obszön und überflüssig: Yoav, der sich verlieren wollte, ist immer noch da.