Grelles Sonnenlicht blendet die Augen, rote Erde und einzelne, verstreute Büsche bestimmen die karge Landschaft. Hin und wieder durchqueren Verfolgte und ihre Verfolger einen kleinen Wald. Einmal gelangen sie auf ihrer Flucht sogar zu einer Wasserstelle, doch die erweist sich als Hinterhalt. Dieses Land ist nicht schön und erhaben, es ist feindlich und tödlich: Ein kleiner Haufen Aborigines wehrt sich in einer engen Schlucht verzweifelt gegen die weissen Eindringlinge.
Später, mitten in einer schneeweissen Sandwüste, stellt sich der Aborigine Sam Kelly in einem Moment der Gnade seinem letzten verbliebenen Jäger. Tagelang hat Sergeant Fletcher ihn und seine Frau erbarmungslos verfolgt. Hier könnte die Hetze nun ein Ende finden, doch in Sweet Country ist dieser Showdown so anders wie das Land, in dem er sich ereignet.
Sweet Country, beim Festival von Venedig vergangenes Jahr mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet, erzählt eine klassische Westerngeschichte – in ungewöhnlichem Setting und Tonfall: Der Aborigine Kelly hat in Notwehr einen weissen Mann erschossen, und deshalb wartet auf ihn der Galgen. Australien hat 1929 zwar bereits einen Weltkrieg hinter sich, aber Gesetz und Richter sind im Outback fern. Der rachsüchtige Mob ist dafür immer nah, und einem «black fella» glaubt hier ohnehin niemand. Der Prediger Fred Smith, auf dessen Farm Kelly lebt und der sich als Einziger nicht «Master» nennen lässt, würde ihm wohl glauben. Doch Smith ist ein Mann, der auch die andere Wange hinhält, und er hat wenige Tage zuvor Kelly gebeten, mit dessen Frau Lizzie und Nichte dem Neuankömmling Harry March bei der Errichtung eines Vorpostens zur Hand zu gehen. March ist der neue Bahnhofsbetreiber, vor allem aber ein Säufer und Vergewaltiger. Smith konnte nicht wissen, was passieren würde; er hätte es aber ahnen können.
Der Australier Warwick Thornton machte bereits vor einigen Jahren mit seinem so bedrückenden wie präzisen Spielfilmdebüt Samson and Delilah auf sich aufmerksam, in dem sich zwei vierzehnjährige Aborigines aus ihrem Heimatdorf in die Slums von Alice Springs absetzen: ein Jugenddrama biblischen Ausmasses zwischen ungeheuerlicher Verzweiflung und unerbittlicher Zuneigung. In Sweet Country dient Thornton das Motiv der Flucht nun dazu, von jenem dunklen Kapitel in der Geschichte seiner Heimat zu erzählen, in dem Kolonialismus, Gewaltherrschaft, Rassismus und Sklaverei miteinander einhergingen und sich gegenseitig bedingten: Die indigenen Australier_innen verdingen sich auf den Farmen der Weissen, während diese das Land rücksichtslos ausbeuten. Und doch findet man in diesem Film überraschenderweise ausreichend Zwischentöne: etwa im Prediger, der Figur von Sam Neill – als Neuseeländer in einem australischen Film in doppelter Hinsicht ein Aussenseiter –, der als strenggläubiger Landbesitzer den Weg des
Glaubens als einen der Aussöhnung sieht; in der Figur eines Aborigine-Vorarbeiters, der seinen eigenen opportunistischen Status zu bewahren versucht; und sogar in der Figur des vom Krieg im fernen Europa traumatisierten, brutalen March. Mit schlaglichtartigen, nur wenige Sekunden dauernden Vor- und Rückblenden, die wie aus dem Nichts aufflammen, hält Thornton dabei die formale Spannung aufrecht und verleiht Sweet Country mitunter eine traumhafte innere Logik. Mit erstaunlichem Ergebnis: Wenn man diese Bildfetzen später, in die Erzählung eingebettet, wiedersieht, entfalten sie eine umso grössere Wucht: Was kommen wird, hat man hier buchstäblich kommen sehen.
Sweet Country erweist sich auch als Resultat einer bemerkenswerten Teamarbeit: Thornton selbst unterstützte seinen Kameramann Dylan River, während Koautor David Tranter wiederum zugleich für den Ton verantwortlich war. Neben Tranter am Originaldrehbuch beteiligt war der renommierte Dokumentarfilmer Steven McGregor, der im mehrfach prämierten Servant or Slave (2016) die Biografien von fünf Aborigine-Frauen nachzeichnete, die als Haushaltssklavinnen zu reichen Weissen verschleppt wurden. «I wanted the other one. But you’ll do», meint in Sweet Country der Vergewaltiger March, ehe er die Fensterläden schliesst und das Schwarz des Innenraums die Landschaft verschwinden lässt – eine perverse Reminiszenz an die berühmte letzte Einstellung in John Fords The Searchers.
Denn die Frontier als Mythos, angedeutet durch die Errichtung der Bahnhofsstation, weist anders als im amerikanischen Westen im australischen Outback nicht auf einen Neubeginn hin. Hinter der rohen Gewalt ist eine ständige Angst spürbar, die sich wie in einem Italowestern in die verschwitzten Gesichter, tiefen Untersichten und langen Schatten einschreibt. Dieser Kontinent ist keiner der Hoffnung, und es passt nur zu gut, dass 1929, im Jahr der Handlung und somit der Weltwirtschaftskrise, zum ersten Mal in seiner Geschichte mehr Menschen den Kontinent verliessen als einwanderten.
Denn die Frontier als Mythos, angedeutet durch die Errichtung der Bahnhofsstation, weist anders als im amerikanischen Westen im australischen Outback nicht auf einen Neubeginn hin. Hinter der rohen Gewalt ist eine ständige Angst spürbar, die sich wie in einem Italowestern in die verschwitzten Gesichter, tiefen Untersichten und langen Schatten einschreibt. Dieser Kontinent ist keiner der Hoffnung, und es passt nur zu gut, dass 1929, im Jahr der Handlung und somit der Weltwirtschaftskrise, zum ersten Mal in seiner Geschichte mehr Menschen den Kontinent verliessen als einwanderten.
Und doch fehlt es diesem Film nicht an Lakonik, etwa wenn der Prediger, der sich aus Pflichtbewusstsein der Bande angeschlossen hat und, um Schlimmstes zu verhindern, abends am Lagerfeuer ein Lied anstimmt, das aus einer einzigen Textzeile besteht und die besagt, dass Gott einen liebt. Oder wenn Fletcher nach seiner Jagd auf Sam Kelly in den kleinen Ort zurückkehrt, wo gerade auf offener Strasse eine Filmvorführung von The Story of the Kelly Gang stattfindet. Die Geschichte des berühmtesten australischen Revolutionärs, dargeboten durch einen Kinoerzähler als bereits historisches Vergnügen.