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Source Code

Source Code ist sowohl aufwendiges Projekt mit einigen Spezialeffekten, das sich durchaus als Action-Thriller etikettieren lässt, wie Kammerspiel, dessen Handlung sich in wenigen engen Räumen zwischen einer überschaubaren Anzahl von Personen abspielt.

Text: Frank Arnold / 13. Apr. 2011

Ein Mann wacht auf und muss feststellen, dass er sich nicht nur in einer ihm fremden Umgebung befindet (einem Pendlerzug, der sich Chicago nähert), sondern auch in einem fremden Körper – sein Blick auf den Ausweis zeigt ihm eine ihm fremde Identität, der in den Spiegel ein ihm unbekanntes Gesicht. Die Frau, die ihm gegenübersitzt, kennt aber offenbar den Mann, in dessen Körper er sich befindet – Captain Colter Stevens jedoch hat keine Ahnung, wie er hierher gekommen ist; gemäss seiner Erinnerung ist er Kampfpilot in Afghanistan. So der höchst faszinierende Auftakt von Source Code.

Acht Minuten später findet diese Geschichte bereits ihr Ende, wenn der Zug von einer verheerenden Explosion zerstört wird. In der nächsten Szene findet sich der Mann angeschnallt in einer engen Kapsel. Ist er also doch der Kampfpilot Colter Stevens? Aber da gibt es den dunklen Raum, der die Kapsel umgibt, und – auf einem Monitor – eine Frau in Uniform, die mit ihm spricht. Er sei Soldat und habe eine Aufgabe zu erfüllen: denjenigen zu identifizieren, der den Zug in die Luft gesprengt hat. Denn dieses Attentat sei nur das Vorspiel zu einem viel verheerenderen: der Zündung einer “schmutzigen” Bombe mitten in Chicago.

Source Code ist ein klassischer Thriller mit einem Wettlauf gegen die Zeit. Immer wieder wird Colter in den Zug geschickt, immer wieder geht die Bombe hoch, ohne dass er es geschafft hat, den Attentäter zu identifizieren. Zwar kann er jedes Mal auf dem vorherigen Versuch aufbauen, zu Unrecht Verdächtigte ignorieren und Indizien besser nachgehen. Aber wird er jemals erfolgreich sein?

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Der Wettlauf gegen die Zeit lasse lange Erklärungen nicht zu, verkündet ihm ein Dr. Rutledge via Monitor; erst durch sein Insistieren erfährt Colter vom «Source Code», der es ermöglicht, die letzten acht Minuten im Leben eines gerade Verstorbenen noch einmal zu durchleben. Ihn habe man dafür ausgewählt, weil er gewisse physische Eigenschaften mit dem Mann im Zug teile. «Source Code» erlaube aber keine Zeitreise, sondern nur ein «time reassignment», es sei unmöglich, die Vergangenheit zu verändern. Die Katastrophe habe bereits vor einigen Stunden stattgefunden, Colters Aufgabe sei es lediglich, den Attentäter zu identifizieren, damit die zweite Explosion verhindert werden könne.

Source Code macht den Zuschauer zum Komplizen von Colter. Wir wissen genauso wenig wie er, entdecken erst mit ihm, ob seine Vermutungen hinsichtlich der Identität des Täters Unschuldige in Mitleidenschaft ziehen. Das passiert mehr als einmal, der Zeitdruck führt zu Überreaktionen und zu Gewaltanwendung. Dabei spielt der Film geschickt mit Klischees, etwa wenn Colter sein Augenmerk zuerst auf die üblichen Verdächtigen richtet, auf den orientalisch aussehenden Mann, auf den, der sein Handy nicht ausschalten will, oder den, der die ganze Zeit nur auf seinen Laptop starrt.

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Source Code ist mehr als ein klassischer Thriller mit einem Wettlauf gegen die Zeit. Jedes Erwachen im Zug beginnt mit demselben Satz der Frau, die Colter gegenübersitzt. Und jedes Mal fühlt sich Colter mehr zu ihr hingezogen, jedes Mal kommt er Christina näher. So weckt der Film nicht nur Erinnerungen an andere Begegnungen mit einer Unbekannten im Zug (von North by Northwest bis zu The Tourist), er bekommt auch für kurze Momente Züge einer klassischen romantischen Komödie, die wegen der Zeitschleife natürlich auf Groundhog day, den Klassiker der Gattung, verweist. Aber über allem schwebt das Damoklesschwert der verrinnenden Zeit.

Parallel zum Wettlauf mit der Zeit entwickelt sich die Suche Colters nach seinem eigenen Ich. Als Angehöriger des Militärs hat er zwar Befehlen Folge zu leisten, aber er fragt sich doch, wie er aus seinem Flugzeug in Afghanistan hierherkommt. Captain Carol Goodwin vermag seine Fragen nicht recht zu beantworten, und Dr. Rutledge will sie nicht beantworten. Schliesslich kulminiert das in seiner Frage: «Bin ich tot?»

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Die Spannung verlagert sich so vom Wettlauf gegen die Zeit auf die Frage nach der Identität des Protagonisten. Man könnte sagen, Source Code sei die beste Philip-K.-Dick-Geschichte, die Dick nie geschrieben hat. Der Drehbuchautor Ben Ripley ist hier dem Universum des Altmeisters der Science-Fiction-Literatur, in dem die Protagonisten immer wieder ihre eigene Identität in Frage stellen müssen (Blade Runner, Total Recall, Minority Report, Paycheck oder zuletzt The Adjustment Bureau legen davon Zeugnis ab), erstaunlich nah, was man nach seinen formelhaften Büchern für die Sequels §species 3 und 4 nicht erwartet hätte.

Dies sei keine Zeitreise, er könne die Dinge nicht ändern, die Explosion liesse sich nicht rückgängig machen, wurde Colter beschieden. Das klang ebenso fatalistisch wie endgültig. Aber vielleicht ist das, was real ist, und das, was nur eine Simulation der Realität ist, komplexer als selbst ein Wissenschaftler ahnen kann?

Manche Debütfilme sind ein Versprechen, das hinterher nie eingelöst wird. Für Duncan Jones gilt dies bestimmt nicht. Sein Science-Fiction-Kammerspiel Moon hatte er noch für wenig Geld in Grossbritannien realisiert, für seinen Nachfolgefilm folgte er einem Angebot aus den USA. Source Code ist sowohl aufwendiges Projekt mit einigen Spezialeffekten, das sich durchaus als Action-Thriller etikettieren lässt, wie eben auch Kammerspiel, dessen Handlung sich in wenigen engen Räumen zwischen einer überschaubaren Anzahl von Personen abspielt. Also genau das Richtige für einen Regisseur, der seine erwiesenen Fähigkeiten auf dem einen Gebiet erneut unter Beweis stellen kann und gleichzeitig neue Herausforderungen zu bewältigen sucht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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