Eigentlich wollte sich Konrad Lang, seit vielen Jahren Hausmeister einer Ferienvilla der Industriellenfamilie Senn, nur aufwärmen. Doch statt des Kamins steht plötzlich das ganze Haus in Flammen. Und so macht er sich auf zur Villa von Thomas Senn, mit dem er aufwuchs. Konrad ist alt geworden, er bringt einiges durcheinander und vergisst vieles. Doch die seit Jahrzehnten unbenutzte “Piratentür” des hochherrschaftlichen Anwesens kennt er noch immer. Darum steht er plötzlich mitten im Raum, argwöhnisch beäugt von Elvira Senn, einer Matriarchin, die wie eine Glucke über Wohl und Wehe der Sippe wacht. Konrad, sichtlich verwirrt, platzt mitten in die Hochzeitsfeier von Elviras Enkel Philippe und der hübschen Simone. Alexandra Maria Lara spielt die Braut einmal mehr als zerbrechliche Schönheit, die mit unschuldigem, staunend-naivem Blick auf diese fremde Welt schaut, in die sie eingeheiratet hat. Auch sie ist, ähnlich wie Konrad, eine Aussenseiterin, die nur geduldet wird. Gleich in den ersten Minuten dieses Films tun sich Abgründe auf, werden Risse deutlich in der mühsam aufrecht erhaltenen Fassade einer verstörten Gesellschaft. Je mehr Konrad die Gegenwart vergisst, umso mehr erinnert er sich an die Vergangenheit. «Tomi – Koni, Koni –Tomi» – wie ein Mantra wiederholt Konrad einen Kinderreim, der ihn als Thomas’ Freund ausweist. Mehr noch: Er war Adoptivsohn der Senns, die ihn nun wie das schwarze Schaf der Familie in das Gäste-haus abschieben. -Simone beobachtet irritiert die Nervosität der Familienangehörigen. Sie kümmert sich liebevoll um den verwirrten alten Mann und setzt mehr und mehr das Puzzle seiner Erinnerungen zusammen. Was ist das für ein Geheimnis, das Elvira mit allen Mitteln zu schützen versucht?
Small World entstand nach dem gleichnamigen Bestseller von Martin Suter, dessen Leinwandadaptionen, wie zuletzt Giulias Verschwinden und Lila Lila, mittlerweile ein Untergenre der Literaturverfilmungen bilden, wenn man so will. Bruno Chiche verlegte den Ort der Handlung von der Schweiz nach Frankreich und begab sich so gezielt auf ein Terrain, das bislang Claude Chabrol besetzte. So geht es auch hier darum, der feinen Gesellschaft die Masken herunterzureissen, den «diskreten Charme der Bourgeoisie» zu entlarven – um noch eine Schneise zu legen zum Spätwerk von Luis Buñuel. Chiche beschreibt, unterstützt von seinem Kameramann Thomas Hardmeier und seinem Szenenbildner Hervé Gallet, die glatte Oberfläche des grossbürgerlichen Ambientes: erlesene Dekors, ausgesuchte Möbel, elegante Kleidung. Doch darunter versteckt sich, vom Regisseur mehr angedeutet als gezeigt, eine zweite Schale, die sich für den Zuschauer erst allmählich enthüllt. Die kalte Winterlandschaft mit Eis und Schnee wird darüber hinaus zur Metapher der Gefühlswelt der Familienmitglieder. Die fragilen, hoch gefährdeten und durch die Vergangenheit belasteten Beziehungen zwischen ihnen lassen sich dabei nur erahnen: ein böser Blick, -eine abweisende Handbewegung, ein zorniger Unterton – die Stimmung könnte jeden Moment umschlagen. So legt sich eine verhaltene Spannung über den Film, die sich erst am Schluss lösen soll.
Einundsiebzig Jahre alt und kein bisschen leise: Small World ist – nach Jean Beckers La tête en friche, Mammuth von Benoît Delépine und Gustave Kervern sowie François Ozons §Potiche – bereits der vierte Film mit Gérard Depardieu, der in diesem Jahr in die Kinos kommt. Hier überzeugt er als liebenswerter, tapsiger Narr, dem die Welt zu gross geworden ist. Dass er ihr trotzdem gewachsen ist, auf eine ganz eigene, schlafwandlerische Art, gehört zu den Paradoxien dieses Films.