«Es war einer jener Sonntage im Hochsommer, an denen die Leute herumsitzen und sagen: ‹Ich habe gestern Abend zu viel getrunken.› Man hätte hören können, wie es sich die Gemeindemitglieder beim Verlassen der Kirche zuflüsterten, man hätte es von den Lippen des Geistlichen hören können, der sich im Vestiarium mit seinem Talar abmühte, man hätte es auch auf den Golf- und Tennisplätzen oder im Naturschutzgebiet hören können, wo der Leiter der Audubon-Gruppe einen furchtbaren Kater hatte. ‹Ich hab’ zu viel getrunken›, sagte Donald Westerhazy. ‹Wir haben alle zu viel getrunken›, sagte Lucinda Merrill. ‹Es muss am Wein liegen›, behauptete Helen Westerhazy. ‹Ich habe zu viel von dem Roten getrunken.›»
Derart traumwandlerisch, fast ein wenig rauschhaft beginnt die Kurzgeschichte «The Swimmer» von John Cheever (1912–1982), die zum ersten Mal 1964 im «New Yorker» veröffentlicht wurde und als eine der besten Kurzgeschichten in englischer Sprache gilt. Eleanor Perry, der Drehbuchautorin und Frau von Regisseur Frank Perry, diente sie als Vorlage für diesen Film, der 1966 in Connecticut gedreht wurde.
Während Cheever gleich im zweiten Absatz seiner Geschichte das Anliegen seiner Hauptfigur Ned Merrill beschreibt, «auf dem Wasserweg zu seinem Haus (zu) gelangen», also zu schwimmen, beginnt Frank Perry seinen Film anders. Während der Titelsequenz führt eine lange Kamerafahrt durch einen Wald. Man sieht Tiere, einen röhrenden Hirsch, einen ängstlichen Hasen, einen fliehenden Uhu, schliesslich einen auffliegenden Vogelschwarm. Zwischendurch schiebt immer einmal wieder jemand einen Zweig zur Seite, so, als sollte der Kamera der Weg frei gemacht werden, im Off sind unerklärlicherweise Schritte zu hören. Und dann sehen wir ihn von hoch oben, aus der Vogelperspektive aufgenommen: Burt Lancaster als Ned Merrill, nur mit Bade-Shorts bekleidet, sonst nichts, nicht einmal ein Handtuch oder eine Tasche mit Habseligkeiten hat er dabei. Barfuss läuft er wie schwerelos über die Steine. Wo kommt er so plötzlich her? Was hat er kurz zuvor gemacht? Von wo aus ist er gestartet? Wo sind seine Sachen?
The Swimmer 1968, Frank Perry, Sidney Pollack
Pool by Pool
Ein Rätsel, das der Film nicht lösen wird. Neds Ziel ist der Pool seiner Nachbar:innen, der Westerhazys. «Was für ein Tag!» ruft Ned hocherfreut. Man muss diesen Ausruf als Zuschauer:in im Hinterkopf behalten, denn ganz schleichend werden sich das Wetter und die Stimmung des Films verändern. Ned überblickt die Landschaft. Hier der Pool eines reichen Nachbarn, dort der Pool eines Freundes. «I can swim home!» Die Idee ist geboren: «Pool by pool they can form a river, the Lucinda River.» Lucinda – so heisst seine Frau. Dabei ist Ned kein Narziss. Er schwimmt einfach bloss gern, und er schwimmt gut. (Für Liebhaber:innen unwichtiger Informationen: Lancaster hat drei Monate mit einem Trainer für diesen Film Kraulen geübt.) Er freut sich darüber, wie fit er noch ist und wie günstig die Umstände für seinen kuriosen Plan sind. Die verkaterten Westerhazys nehmen es gelassen. Noch sind die Menschen freundlich zu Ned.
John Cheever gilt als unbarmherziger Chronist der Vorstädte, oftmals wurde er als «Tschechow von Suburbia» bezeichnet. «Viele Menschen haben über die Vorstädte geschrieben. Aber nur Cheever konnte einen archetypischen Ort daraus machen», meinte einmal John Updike.
Ironisch und spitz nimmt Cheever das Leben der wohlhabenden oberen Mittelklasse mit ihren Lebenslügen und dem moralischen, sogar geistigen Verfall aufs Korn. Der finanzielle Wohlstand kann nur in den Untergang führen, und das ist hier nicht anders. Mit jeder neuen Begegnung an einem weiteren Pool verschiebt sich der Fokus ein wenig, Nachbar:innen, Freunde und Bekannte werden immer ungehaltener. Man hat sich viel zu lange nicht gesehen, alte Geschichten und nicht beglichene Geldschulden stehen im Raum, ehemalige Geliebte reagieren pikiert bis verärgert.
Ned erwartet, dass seine Worte und Erzählungen, zum Beispiel über seine Frau und seine beiden Töchter, Vertrauen wecken, doch das Gegenteil ist der Fall, zu seiner grossen Verwunderung. Denn er hat ein ganz anderes Bild von sich selbst: «I am an explorer.» Ned ist ein Schwärmer, ein Träumer, ein Illusionist, der sich der Realität verweigert. Und mit einem Mal fragt man sich als Zuschauer:in: Wer ist dieser Mann? Wo war er in den letzten drei Jahren, vielleicht in den letzten zehn? Wie ist sein tiefer Fall zu erklären?
The Body
Ohne Burt Lancaster ist The Swimmer gar nicht denkbar. Natürlich hat sich John Cheever diese Kurzgeschichte auf fast schon geniale Weise ausgedacht, Eleanor Perry hat daraus ein beeindruckend konzipiertes Drehbuch gemacht, das den eigentümlichen und mysteriösen Ton der Vorlage übernimmt. Doch Lancaster schenkte The Swimmer seinen Körper, wie Sophie Monks Kaufman in einem wichtigen Essay feststellte. Burt Lancaster in Badehose, und das den ganzen Film über – das ist das Versprechen dieses Films. Einmal ist sogar sein nackter Hintern zu sehen, weil er sich mit einem nackten älteren Ehepaar – Nudist:innen! – unterhält.
Noch bevor Lancaster mit Robert Siodmaks The Killers 1946 sein Filmdebüt gab, war er Trapezkünstler auf Wanderbühnen und im Zirkus gewesen. Er beherrscht seinen Körper perfekt und strahlt eine intensive Körperlichkeit aus, die er durch Eleganz und Grazie noch vervollkommnet. Mehr noch: In seinen späteren Filmen zeigt Lancaster eine Mischung aus Sex-Appeal und ruppiger Männlichkeit, die ihm so schnell keiner nachmacht. Man denke nur an Fred Zinnemanns From Here to Eternity (1953), in dem Lancaster als Sergeant eine leidenschaftliche Affäre mit Deborah Kerr als Frau eines Offiziers beginnt.
Berühmt geworden ist diese Szene: Eine grosse schäumende Welle rollt auf einen Strand zu und umspült die beiden Liebenden, die sich, am Strand ausgestreckt, innig küssen. Burt Lancaster war schon damals in Badehose, und dass sie sich im Liegen küssen, stand so nicht im Drehbuch. Es war Lancasters Idee. Er wusste, dass dieser Zusammenprall aus Wellen, Musik und fast nackten Körpern erotischer nicht hätte sein können.
Nicht vergessen sei auch, wie er sich 1952 in The Crimson Pirate, wieder von Robert Siodmak, in der Titelrolle mit fröhlichem Lachen von Mast zu Mast schwingt, wie er 1954 in Robert Aldrichs Vera Cruz in schwarzer Lederweste und mit diabolischem Grinsen Gary Cooper ordentlich auf die Nerven geht, wie er in Alexander Mackendricks Sweet Smell of Success (1957) den gewissenlosen, mächtigen Kolumnisten gibt oder in Richard Brooks’ Elmer Gentry (1960) als windiger Prediger mit Worten die Menschen verführt.
The Swimmer 1968
The Swimmer 1968
Noble and Splendid
Die Sinnlichkeit und der Machismo dieser Rollen fliessen in The Swimmer mit ein. Als Frank Perry (1930–1995), der auch so schöne Sachen wie die ungewöhnliche Liebesgeschichte David and Lisa (mit Keir Dullea aus 2001 – A Space Odyssee) oder den Western Doc (mit Stacey Keach als Doc Holliday) inszeniert hat, ihn castet, ist Lancaster bereits 53 Jahre alt. Trotzdem sieht er in Badehose immer noch gut aus, trotz der Spuren des Alters, die Narben, Leberflecken und Falten hinterlassen haben. Er trägt, wie gesagt, den ganzen Film über nur diese eine knappe Badehose. Er ist fast nackt – darum fällt er unter bekleideten Menschen sofort auf. Die Nacktheit verleiht ihm eine verletzliche Unterlegenheit, bei der seine bisherigen Verteidigungsmechanismen nicht mehr wirken. «I’m a very special human being. Noble and splendid» – diese Selbsteinschätzung gilt nicht mehr.
Der Film weicht an einigen Stellen von Cheevers Vorlage ab und führt zwei neue Szenen ein. So trifft Ned am Pool der Lears (die es in der Kurzgeschichte nicht gibt) die Figur der Julie Hooper, die ehemalige Babysitterin der Merrills. Ned verwirrt alle mit dem Vorschlag, dass sie sich doch wieder um seine Töchter kümmern könne.
Denn die müssen inzwischen erwachsen sein. Julie begleitet ihn zu seiner nächsten Station. Er springt mit ihr in Zeitlupe über einen kleinen, privaten Pferde-Parcours, die schöne, betörende Musik von Marvin Hamlisch – dies ist sein erster Soundtrack – dreht noch einmal mit singenden Geigen und mehrstimmigen Flöten auf. «I’ll take care of you», sagt Ned zu der jungen Frau. Und merkt nicht, wie weltfremd und unpassend sein Vorschlag ist.
Auch der Bub, der an einem Feldweg Limonade verkauft, kommt bei Cheever nicht vor. Der Pool seiner Eltern ist leer. Darum durchqueren ihn, in einer wunderschönen Szene, Ned und der Junge pantomimisch, in dem sie die Schwimmbewegungen auf dem Trockenen nachahmen. Es wird das einzige Mal sein, dass Ned in diesem Film eine verlässliche Beziehung herstellt.
Eine andere schwerwiegende Änderung des Drehbuchs ist die Erweiterung von Neds Begegnung mit Shirley Abbott, seiner ehemaligen Geliebten. Im Buch ist sie Cheever nur wenige Zeilen wert. Die Perrys machen daraus eine beklemmende Szene, die mehrere Minuten dauert. Shirley hasst Ned so sehr, dass sie seine Annäherungsversuche entschlossen und wütend zurückweist. Bis er endlich begreift, was er ihr angetan haben muss. Die zentrale Szene des Films.
Will You Talk About Yourself?
Produzent Sam Spiegel war allerdings mit dem Film höchst unzufrieden. Er liess mehrere Szenen herausschneiden. Das bedeutete, dass sie neu gedreht werden mussten. So auch die mit Shirley Abbott. In der ersten Fassung wird sie von Barbara Loden gespielt. Janice Rule ersetzte sie, Sydney Pollack besorgte den Nachdreh. Angeblich soll Elia Kazan, der Ehemann Lodens, darauf bestanden haben, dass die Szene entfernt wird. Andere wiederum behaupten, dass Burt Lancaster spürte, wie sehr Barbara Loden ihn an die Wand spielte und seine Figur diskreditierte. Das durfte nicht sein.
Und dann bewegt sich der Film auf sein Ende zu. Der Himmel hat sich bewölkt, es wird kälter, Ned beginnt zu frieren, später regnet es aus Kübeln. Unwillkürlich fragt man sich, ob dies alles an einem Tag stattfindet oder ob der Film dem Wechsel der Jahreszeiten folgt. Und dann dieses Ende, das mit einer bitteren Pointe aufwartet, so geheimnisvoll und verrätselt, dass The Swimmer kein Erfolg an der Kinokasse beschieden war. Mehr darf an dieser Stelle nicht verraten werden, jede:r Zuschauer:in muss diesen Schock selbst erfahren und sich einen Reim drauf machen. The Swimmer ist kein Film wie jeder andere, er passt nirgendwo hinein, er ist zu allegorisch, zu sonderbar. Er fordert das Publikum und fasziniert ihn zugleich.
Die Kritiker:innen waren sich beim Kinostart 1968 zwar nicht einig, doch es gab einige, die die Bedeutung des Films erkannten. «It is a grim, disturbing and sometimes funny view of a very small, very special segment of upper-middle-class American life», schrieb Vincent Canby in der «New York Times». Und Roger Ebert meinte: «A hero sets off on a journey. He has many strange adventures along the way, during which he learns the tragic nature of life. At last he arrives at his goal, older and wiser and with many a tale to tell.»
Und dann muss man sich vielleicht auch fragen, was The Swimmer mit einem selbst zu tun hat. Nicht, dass man unbedingt von Pool zu Pool schwimmen wollte. Doch Bedauern über falsche Lebensentscheidungen, das Scheitern von Plänen, ob privat oder beruflich, Erfahrungen von Verlust, ob materiell oder ideell, und die Angst vor dem Tod kennt sicher so manche:r. Die Werbeabteilung der Columbia mag diese Zusammenhänge geahnt haben. Auf dem Poster zum Filmstart steht zu lesen: «When you talk about The Swimmer will you talk about yourself?»
Die Blu-ray von The Swimmer ist bei Powerhouse in einer limitierten Auflage von 5000 Stück mit Booklet und einem Poster erschienen.