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Sicario 01

Sicario

«Sicario» wird ein Auftragsmörder meist kolumbianischer Drogenkartelle genannt. Und Denis Villeneuve hat sich das Drehbuch des Debütanten Taylor Sheridan vorgenommen, das die mordende Tätigkeit eines solchen Berufskillers in den Mittelpunkt einer Geschichte stellt, die sich «mit einem Trugbild, der alten Vorstellung beschäftigt, dass Nordamerika die von grösster Gewalt begleiteten Probleme der Welt sehr effizient und für andere unsichtbar lösen kann» (Villeneuve).

Text: Erwin Schaar / 23. Sep. 2015

«Sicario» wird ein Auftragsmörder meist kolumbianischer Drogenkartelle genannt. Und Denis Villeneuve hat sich das Drehbuch des Debütanten Taylor Sheridan vorgenommen, das die mordende Tätigkeit eines solchen Berufskillers in den Mittelpunkt einer Geschichte stellt, die sich «mit einem Trugbild, der alten Vorstellung beschäftigt, dass Nordamerika die von grösster Gewalt begleiteten Probleme der Welt sehr effizient und für andere unsichtbar lösen kann» (Villeneuve). Der kanadische Regisseur, der 2013 den hochgelobten Thriller Prisoners als seinen ersten Hollywoodfilm inszenierte, stellt infrage, ob die mörderischen Rauschgiftkartelle zu stoppen sind, ohne sich deren grausamer Methoden zu bedienen.

Die Story dieses Thrillers fokussiert auf zwei Figuren, die in diesem Sinn moralisch diskutiert werden können: die FBI-Agentin Kate und den «Sicario» Alejandro. Emily Blunt hat die Rolle der aufrechten Ordnungshüterin übernommen, die, sonst zuständig in Arizona für Entführungsfälle, sich durch grausige Funde von Opfern der Drogenbosse dazu durchringt, sich von einer nicht ungefährlichen Taskforce zur Aufklärung der Verbrechen anheuern zu lassen. Dass dieser verdeckte Einsatz im Grenzgebiet zwischen Mexiko und Texas aber einem von Folter und Töten getragenen Einsatz gilt, bringt sie in grössten moralischen Zwiespalt. Blunts Rolle gerät dabei etwas in den Hintergrund, weil sie sich ständig fragen muss, welchen Sinn ihr Einsatz hat, und sie dann auch für die Story zum moralischen Sidekick verkommt, denn das Geschehen bestimmt Benicio Del Toro alias Alejandro, der skrupellos Menschen quälen und töten kann und damit ganz persönliche Ziele verfolgt, die vorgeblich der Aufklärungsarbeit dienen sollen.

Sicario 15

Es geht hin und her zwischen der mexikanischen Ciudad Juárez und dem texanischen El Paso. Mit aufgepflanzten Maschinengewehren dringt die Autokolonne in das unübersichtliche Juárez ein, vorbei an geschundenen Leichen, die an Brückengeländern hängen und die Gesetzlosigkeit in dieser Stadt ahnen lassen. Mit den verstümmelten Körpern wollen die Killer der Kartelle den Bewohnern zeigen, dass diese Menschen Schuld im Sinn der Mafia auf sich geladen haben und so ihr Schicksal herausforderten. Eine gewalttätige Begleitmusik des isländischen Komponisten Jóhann Jóhannson verstärkt das Erregungspotenzial der Bilder in übersteigertem Mass, was die Aufnahmen des renommierten Kameramanns Roger Deakins, der auch für viele Filme der Coen Brothers und Sam Mendes’ die Kamera führte, eigentlich gar nicht nötig hätten.

Immer wieder bewundernswert beziehungsweise ästhetisch reizvoll, wenn Deakins aus der Vogelperspektive in die Nahsicht der Handlung fährt, sich aus dem abstrakten, fast kartografischen Überblick in das spannungsvolle Detail des Augenblicks einblendet, wie ein kreisender Raubvogel auf seine Beute herunterstösst. Spannung entsteht auch, wenn zwischen diesen beunruhigenden Bildern und dem explosiven Handlungsgeschehen eine Familienszene geschnitten wird, deren Aussage ohne Bedeutung zu sein scheint, weil die Figuren keinen Bezug zum Geschehen haben. Der Fortgang wird sie uns erklären und wieder einen Akzent auf das Schicksal menschlichen Daseins lenken. Immer wieder, auch beim schrecklichsten Geschehen, will Villeneuve den Thrill mit dem Bewusstsein für das Existenzielle garnieren. Dabei werden Menschen geschlagen, mit dem Schwedentrunk gefoltert oder einfach blitzschnell erschossen. Grausame Bilder, manchmal schwer zu ertragen, aber eindrücklich inszeniert, wenn zum Beispiel in einer Verfolgungssequenz die Statik eines Verkehrsstaus mit der Dramatik eines Kampfs auf Leben und Tod konterkariert wird.

Sicario 16

Villeneuve und sein die Handlung manchmal etwas rätselhaft beschreibender Autor Sheridan liefern mit der Spannung und der damit meist verbundenen Action auch eine Reihe von Charakteren, die psychologisch nicht vertieft werden und gerade durch die Unbestimmtheit in ihrem Verhalten diese enervierende Aufmerksamkeit auf sich lenken. Moralische Eindeutigkeit liegt eher bei den FBI-Agenten Kate Macer und ihrem Kollegen Reggie Wayne, deren Verhalten aber auch nur vom Kompromiss gelenkt wird, dass sie den Zwiespalt des Lebens anerkennen und sich dem unterordnen müssen. «Verantwortung für alles zu übernehmen, das hat bisher Kates Verhalten bestimmt. In dieser Welt aber spielt das überhaupt keine Rolle mehr, und das schockiert sie total», meint Emily Blunt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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