Schreie, Hektik, gefesselte Männer in einem Keller, das Aufheulen von Motorensägen, Todesangst. Schnitt. Eine Meeresbucht im Abendlicht, sanftes Wellenrauschen, weltvergessene Surfer vor kalifornischen Strandvillen. Die ersten zwei Szenerien, hart aufeinander montiert, lancieren so knapp wie eindringlich einen Kontrast, der weissgott Stoff für einen Film hergibt: Südlich der Grenze, in Mexiko, tobt ein Krieg der Drogenkartelle gegen den Staat und gegeneinander, der in den letzten sechs Jahren an die hunderttausend Todesopfer gefordert hat. Exekutionen werden zur Einschüchterung der Gegner gefilmt und ins Internet gestellt, die Ermordeten von Brücken gehängt oder auf Strassenkreuzungen gestapelt. Nördlich der Grenze, in «Gringolandia», geniessen derweil junge [beautiful people] ihr Konsumparadies, flanieren durch Shopping Malls und frönen der freien Liebe, stimuliert vom entspannten Genuss leichter Drogen. Kriege werden vorzugsweise auf anderen Erdteilen ausgefochten.
Ben und Chon heissen die sonnengebräunten Helden aus Don Winslows Bestseller «Savages», der Vorlage für Oliver Stones neuen Film. Ben ist ein Sympathieträger, Spezialist für Business, Botanik und Buddhismus, der armen Afrikanern schon mal einen Brunnen ins Dorf baut. Neben ihm der toughe Chon, der Mann fürs Grobe, gestählt als «Seal» in Afghanistan. Beide trinken Trumer Pils auf der Sonnenuntergangsterrasse und teilen sich eine schöne Frau mit langen, blonden Haaren: Ophelia, genannt O. Ihren Wohlstand verdanken sie dem Umstand, dass sie mit grünem Daumen und harter Hand das beste Cannabis weitherum verkaufen.
Doch Erfolg schafft Neider und zweifelhafte Geschäftspartner. Und so finden Ben und Chon bald die Visitenkarte des mexikanischen BajaKartells im elektronischen Briefkasten – effektvoll untermalt von einem Animationsfilmchen über die unzimperlichen Umgangsformen ebendieses Kartells. Die beiden schlagen das “Angebot” aus, die Konkurrenz an ihrer Goldgrube zu beteiligen, und planen, mit ihrer Geliebten unterzutauchen. Doch bevor es so weit kommt, wird O entführt. Das von «La Reina Elena» geführte Kartell kann Ben und Chon nach Belieben erpressen.
Dann sinkt die Spannungskurve des Films – zu simpel ist die David-und-Goliath-Konstellation. Bis zum Schluss gibt es keine überraschende Wendung und vor allem keine Entwicklung der wichtigsten Charaktere. Die Hauptdarsteller Aaron Johnson, Taylor Kitsch und Blake Lively bleiben blass. Die Nebenrollen pfeffern das zähe Steak mit unterschiedlichem Erfolg: Salma Hayek als Elena ist stolz auf ihre Tochter Magda, weil sich diese für sie schämt. Bueno, aber dafür, dass die mexikanische Mutter mit ihrer mexikanischen Tochter Englisch spricht, gibt es keinen anderen Grund, als dass das Publikum Hollywoods offenbar zu faul ist, Untertitel zu lesen. Auf Spanisch dürfen dafür Benicio del Toro als Elenas Killer Lado und Joaquín Cosío als Gangster «El Azul» verhandeln – ganz einfach, weil Cosío nicht Englisch kann, mit seiner massiven Körperlichkeit und seinem vom Wahnsinn durchleuchteten Grinsen aber für einen der wenigen packenden Momente in diesem Film sorgt. Ein anderes Kabinettstückchen bieten del Toro und John Travolta als korrupter US-Drogenpolizist, wenn sie sich in der komfortablen Küche des Polizisten belauern und umkreisen.
Doch auch diese beiden Virtuosen der nonchalanten Überzeichnung scheinen nicht so recht zu wissen, wohin die Filmreise gehen soll. Das liegt an der fahrigen Regie von Oliver Stone, der zwischen den Registern schwankt. Splatter? Satire? Realismus? John Travolta meint in einem Interview, Savages sei das Pulp Fiction von heute, doch mit seinen Action-Szenen steht Stone viel näher bei der Serie 24 als bei Quentin Tarantino. Nicht einmal für ein Ende mag er sich entscheiden und stellt darum ein melodramatisches neben ein desillusioniertes. Was Stone wirklich aus dem Effeff beherrscht, sind flotte Kamerafahrten, pittoreske Werbefilm-Stimmungsbilder, etwa von Pelikanen, Kojoten oder der kiffenden ménage à trois, dazu süffige Hintergrundmusik von Dylan über die Narcocumbia von Systema Solar bis zu «Psycho Killer» in der Version von Bruce Lash. Dazu werden Anspielungen auf die Filmgeschichte gereicht, natürlich nicht auf Jules et Jim, sondern auf Butch Cassidy and the Sundance Kid, und haufenweise smarte, aber oberflächliche Kalauer und Philosöpheleien: Chons Orgasmen sind «wargasms», neben seinem buddhistischen Freund ist er ein «Badist», und als der softe Ben vom Kartell gezwungen wird, einen Verräter zu exekutieren, versucht Chon ihn zu trösten, indem er ihm zu bedenken gibt, dass schon Buddha ein Sonntagsutilitarist gewesen sei.
Wenn JFK (1991) oder Platoon (1986) immerhin eine klare politische Position des Vietnam-Veteranen vertraten, wenn die beiden Wall Street-Filme (1987, 2010) die Logik eines Systems aufzeigen wollten und Natural Born Killers (1994) eine beherzte und vor ästhetischer Phantasie und Experimentierlust strotzende Reflexion über Gewalt, Fiktion und Medien war, so dominiert in Savages das flaue anything goes postmoderner Ratlosigkeit. Durch sein ganzes Werk hindurch geriert sich Oliver Stone, der Bewunderer Fidel Castros und Begleiter Hugo Chávez’, als linksliberaler Chronist der Subkulturen, vor allem aber als Stimme eines (selbst)kritischen Amerika – demnächst soll seine Miniserie The Untold History of the United States erscheinen. Nichtsdestotrotz bestätigt savages einen Eindruck, den viele Stone-Filme machen: Die politische Kritik fällt so oberflächlich aus, dass der Regisseur das System, das er entlarven will, letztlich zementiert. Fragwürdig sind dabei nicht nur die Stereotypen des Bösen, im neuen Film an erster Stelle der korrupte, weisse Polizist, dicht gefolgt von der mexikanischen Drogenkönigin mit ihrem ebenso schusseligen wie brutalen Killer und einem ganzen Gesindetross. Das sind die im Blut badenden savages, die hinterwäldlerischen Wilden aus dem Entwicklungsland, noch so verfangen in ihrem traditionellen Familien- und Sexualitätskonzept, dass sie die jungen Gringos wegen ihrer Dreierkiste ihrerseits als savages verurteilen. Zwar sind Ben, Chon und O in der Tat nicht über alle moralischen Zweifel erhaben, denn auch sie gehen über Leichen – aber letztlich doch aus “Notwehr”. Stones Erzählperspektive lässt keinen Zweifel daran, dass sie die positiven Identifikationsfiguren bleiben, schliesslich haben sie doch den perfekten Lifestyle gefunden: ein KMU, das Qualitätscannabis produziert und den sympathischen Jungunternehmern mit Öko-Touch einen respektablen Wohlstand ermöglicht. Den verdanken sie freilich gerade dem Umstand, dass das “System” USA sich den lateinamerikanischen Vorstössen, leichte Drogen zu legalisieren, hartnäckig verschliesst. Ohne Prohibition könnten sich Ben und Chon keinen Strandbungalow in Laguna Beach kaufen.
Im Umfeld seines Films hat Oliver Stone, der mehrmals wegen Marihuanakonsums verhaftet und verurteilt wurde, eifrig für die Freigabe von Cannabis plädiert – im Film hingegen kommt dieses Thema ebenso wenig vor wie die Tatsache, dass die mexikanische Drogenmafia praktisch ihr ganzes Waffenarsenal in den Selbstbedienungsläden nördlich der Grenze zusammenkauft. Und so philosophieren unsere «schönen Wilden» über die Rückkehr in einen «ursprünglichen Seinszustand», statt in unseren Köpfen den Zusammenhang zwischen den ersten beiden Sequenzen des Films, dem brutalen Drogenkrieg in Mexiko und der konsumistischen Spassgesellschaft der USA (und Europas), herzustellen.