Filmbulletin Print Logo
Le Fils du chasseur

Intime Distanz: Le Fils du chasseur

Sie ist zart – die Art und Weise, wie Regisseurin Juliette Riccaboni eine schwierige Vater-Sohn-Geschichte in ihrem Dokumentarfilm-Debüt erzählt.

Text: Leila Alder / 24. Apr. 2023
  • Regie

    Juliette Riccaboni

  • Kamera

    Gabriel Lobos

Samir ist bei seiner aus Marokko stammenden Mutter aufgewachsen, zu der er ein sehr inniges Verhältnis hat. Seinen Schweizer Vater wiederum kennt er kaum. In der Hoffnung, ihm näher zu kommen, beschliesst der 26-Jährige, seinen Vater und dessen Freund Charlot auf eine mehrtägige Jagdexpedition in die Walliserberge zu begleiten. Die Momente des Wartens während der Jagd offenbaren die jahrelang aufgebauten Spannungen, den Schmerz und die unausgesprochenen Worte zwischen Vater und Sohn.

Samirs Bemühungen um die Aufmerksamkeit des Vaters und die unbeholfenen Annäherungsversuche berühren. Die humorvollen Gespräche und teils zärtlichen Momente zwischen den beiden, die in Les Fils du chasseur sorgfältig eingefangen sind, entschärfen die angespannte Situation. Für zusätzliche Auflockerung sorgt Charlot, der als sympathischer Charakter in der Dramaturgie des Films eine wichtige Rolle einnimmt. Die Wärme, die zwischen ihm und Samir beim gemeinsamen Kochen und Angeln aufkommt, bringt Leichtigkeit in den Film.

Mit viel Feingefühl und Ruhe untersucht die junge Schweizer Regisseurin Juliette Riccaboni in Le Fils du chasseur die Komplexität dieser schwierigen Vater-Sohn-Geschichte. Der Film lebt von der Authentizität der starken Protagonisten und ihrer mit Witz und Ironie beladenen Dialoge. Dazu kommen die Bildgewalt der malerischen Kulisse und Juliettes gekonnter Umgang mit Sound und Kameraeinstellungen.

Das filmische Wechselspiel zwischen Stillstand und Bewegung ist mit dramatischer Musik aufgeladen – oder die Originaltöne sind so überdeutlich gemacht, dass sie noch lange in einem nachhallen. Die starke Symbiose aus Bild und Ton erinnert an die eindrücklichen fiktionalen Werke der Regisseurin. Eines davon ist bereits prämiert: Riccabonis letzter Kurzfilm Cavales wurde an den Kurzfilmtagen in Winterthur mit dem Preis für den «Bester Schweizer Film» ausgezeichnet.

Le Fils du chasseur spielt mit Nähe und Distanz, nimmt die Zuschauer:innen mit auf eine emotionale Reise, lässt sie tief in die Geschichte eintauchen und macht die Protagonisten nahbar, ohne dafür Kommentare liefern zu müssen. Die Vorgeschichte und welchen Einfluss das Wiedersehen auf die Vater-Sohn-Beziehung hatte, lässt der Film offen zur Interpretation. Mit Le Fils du chasseur hat Juliette Riccaboni ein dokumentarisches Werk erschaffen, das unter die Haut geht und doch immer wieder für herzhaftes Lachen im Kinosaal sorgt.


Der Beitrag entstand im Rahmen einer Exkursion des MA Kulturpublizistik der ZHdK ans Filmfestival Visions du Réel in Nyon.

Weitere Empfehlungen