«Endlich siehst du aus wie eine richtige Frau!», meint Kenas Mutter, als ihre Teenagertocher sich widerwillig in ein Kleid stecken lässt. Kena trägt lieber Hosen, Shirt und Mütze, fährt Skateboard und hängt mit den Jungs rum – vor allem mit Blacksta, ihrem besten Kumpel, der heimlich in sie verliebt ist. Ihre Mutter trauert ihrem Exmann John nach, der sie für eine Jüngere verliess. Kena arbeitet neben der Schule im Lebensmittelkiosk von John in einem Viertel Nairobis, während dieser Wahlkampf betreibt. Eines Tages wird Kena auf Ziki mit ihren prächtig-bunten Rastas aufmerksam. Die Sympathie wird bald zur Anziehung, obwohl die beiden ganz unterschiedlichen Milieus angehören: Ziki stammt aus einer wohlhabenden Familie, ihr Vater kandidiert ebenfalls, aber für eine bürgerliche Partei.Und obwohl lesbische Gefühle in der frauenfeindlich-homophoben Gesellschaft Kenias ein absolutes Tabu sind. Der Eklat ist vorprogrammiert.
Rafiki – Suaheli für «Freund/in» – ist der erste kenianische Film, der es in die offizielle Auswahl des Festivals von Cannes schaffte. Und dies mit dem Thema Homosexualität! Ein Tabu nicht nur in Kenia, sondern in den allermeisten afrikanischen Ländern. In Kenia wurde der Film von Wanuri Kahiu verboten, weil sie versuche, «Homosexualität zu legitimieren und zu normalisieren», begründete der Leiter der Filmklassifizierungsbehörde seinen Entscheid. Erst als die Teilnahme am Oscar-Rennen winkte – dafür aber muss der Film im Produktionsland gezeigt werden –, erhielt §Rafiki eine Ausnahmeregelung und lief eine Woche lang in einem Kino in Nairobi. Ein kenianischer LGBT-Aktivist meinte: «Das ist surreal. Auch wenn die Genehmigung nur eine Woche dauert, lohnt es sich, jeden Tag zu feiern.»
Kenias Gesetzgebung ahndet homosexuelle Handlungen – wenn auch ausschliesslich zwischen Männern – mit bis zu vierzehn Jahren Gefängnis. Bereits bei einem früheren Film, der die schwierigen Lebensverhältnisse von LGBT thematisierte, hatte die kenianische Zensurbehörde interveniert: Der Episodenfilm Stories of Our Lives (2014) fiktionalisierte wahre Geschehnisse aus dem Alltag der Community. Der mit nur 15 000 Dollar durch eine ostafrikanische NGO finanzierte Film – er feierte 2014 Weltpremiere in Toronto und wurde 2015 an der Berlinale ausgezeichnet – ist in Kenia bis heute verboten. Ein Mitglied des anonym zeichnenden Autorenkollektivs, das sich in Toronto zu seiner Koautorschaft bekannte, wurde in seinem Heimatland anschliessend mit einer Haftstrafe belegt.
Der international gefeierte Rafiki nun, dem es nicht nur gelingt, in einem Spielfilm nuanciert die Liebe zwischen zwei Frauen nachzuzeichnen, sondern auch im Kleinen die Verstrickungen zu skizzieren, die die afrikanische Gesellschaft im Grossen prägen – als da wären Patriarchat, Vetternwirtschaft, Plutokratie, Einfluss der Kirche, soziale Kontrolle und anderes mehr –, konnte nur dank gewichtigen internationalen Geldern (Frankreich, Deutschland, Niederlande, Norwegen, EU, Südafrika) und einer internationalen Crew so realisiert werden, wie er sich präsentiert. Der Film basiert auf der Kurzgeschichte «Jambula Tree» (2006) der preisgekrönten Schriftstellerin Monica Arac de Nyeko, die aus Uganda stammt – einem Land, in dem noch krassere Gesetze gegen Homosexualität als im Nachbarland Kenia existieren: Uganda verfolgt Lesben und Schwule via Medien-Outing und kann sogar die Todesstrafe verhängen. Auch hier entstand vor nicht allzu langer Zeit ein augenöffnender Dokumentarfilm: Call Me Kuchu, eine US-amerikanisch-ugandische Koproduktion, die 2012 ihre Weltpremiere an der Berlinale feierte, porträtierte LGBT in Uganda – mit tragischem Wendepunkt: Der im Zentrum stehende unerschrockene Aktivist David Kato kam während der Dreharbeiten durch ein Hate Crime ums Leben.
Die 38-jährige Regisseurin von Rafiki, Wanuri Kahiu, die in England und den USA Film studierte, bezeichnet es als ihre Mission, «andere» Bilder von Afrika zu portieren als die bis anhin mehrheitlich von Krieg, Epidemien und rückständigen Traditionen geprägten. Sie möchte dem verbreiteten «Afro-Pessimismus» Geschichten und Darstellungen entgegensetzen, die Afrika positiv prägen und eine neue Zukunft für den Kontinent entwerfen. Dies fasst sie unter dem Begriff «Afro-Futurismus» – oder auch «Afro-Bubblegum», dem Namen ihrer jüngst gegründeten Produktionsgesellschaft – und plädiert damit für mehr «Lebenslust, verspielte Leichtigkeit und Hoffnung» in der afrikanischen Kunst.
Mit Rafiki erwartet uns denn auch nebst der hoffnungsfroh gestimmten lesbischen Liebesgeschichte eine visuelle Explosion an sorgfältig arrangierten, knalligen Farbszenerien, kombiniert mit einem kühnen Potpourri von Dekors, die den Film trotz seinem ernsten Thema zu einem poppigen Augenschmaus machen, der wie nebenbei den Fokus auf die Menschenrechte von LGBT in Afrika setzt. Aus der überschaubaren Zahl an Darsteller_innen stechen die beiden Protagonistinnen Samantha Mugatsia (Kena) und Sheila Munyiva (Ziki) heraus, beide aus Kenia und beide hier in ihrem Schauspieldebüt. Subtil und überzeugend brillieren Mugatsia, die im richtigen Leben Schlagzeugerin, visuelle Künstlerin und DJ ist, ebenso wie die angehende Filmemacherin Munyiva. Der Sound der zurzeit angesagten kenianischen Musikerinnen Muthoni Drummer Queen oder Chemutai Sage verleiht dem mutigen Film den mitreissend-packenden Drive.