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Pure Coolness

Ernest Abdyjaparov gelingt es wunderbar, sich einerseits auf liebevolle Weise über seine Charaktere lustig zu machen, andererseits aber auch die Absurdität des Brautraubs offen zu legen.

Text: Stefan Volk / 05. März 2008

Nach seinem tragikomischen Spielfilmdebüt Saratan, das von einem kleinen kirgisischen Dorf erzählt, welches auf verzweifelt absurde Weise den Zusammenbruch der Sowjetunion zu verarbeiten versucht, wirft Regisseur Ernest Abdyjaparov nun abermals einen ebenso ernsthaften wie komischen Blick auf sein Heimatland Kirgistan. Im Mittelpunkt steht diesmal der Brautraub, ein uralter kirgisischer Brauch, der nach Berichten von Amnesty International seit Ende der Sowjetherrschaft wieder vermehrt praktiziert wird. Das Prinzip dieser patriarchalen Tradition ist schnell erklärt. Ein Mann entführt mit Hilfe von Freunden und Verwandten eine junge Frau, die ihm gefällt, und zwingt sie, ihn zu heiraten. Im Haus des Entführers wartet bereits die versammelte Hochzeitsgesellschaft. Die Entführte wird eingesperrt, bis ein Mullah die religiöse Heirat vollzieht. In Pure Coolness ist es ausgerechnet ein Mädchen aus der Stadt, dessen Eltern es eigentlich davor bewahren wollten, geraubt zu werden, das diesem überwiegend ländlichen Brauch zum Opfer fällt.

Die selbstbewusste, moderne Asema lässt ihren Eltern keine Wahl, als sie ihnen eines Tages kurzerhand ihren Verlobten Murat vorstellt und ankündigt, ihn in einigen Monaten heiraten zu wollen. Vorher aber möchte sie erst einmal Murats Familie kennenlernen. Also fährt sie mit ihm aufs Land, wo sie sich mit allerlei seltsamen Ritualen konfrontiert sieht, die sie nur widerstrebend über sich ergehen lässt. So versucht Murats Mutter beharrlich als Zeichen der Jungfräulichkeit ihr ein weisses Kopftuch überzustreifen, das Asema aber gleich wieder herunterzieht. Aus Liebe zu Murat wäre sie jedoch bereit, das Spiel mitzuspielen. Doch dann erwischt sie ihren Verlobten auf einem Fest bei einem Schäferstündchen mit einer ehemaligen Geliebten. Entsetzt eilt sie davon und fällt wenig später Brauträubern in die Hände. Die hatten es zwar eigentlich auf ein anderes Mädchen abgesehen, aber, als sie die Verwechslung bemerken, ist es zu spät. «Das ist Schicksal», stellt das Familienoberhaupt lakonisch fest. Und so gibt es kein Zurück mehr.

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Die jungen Frauen, die heute nach diesem in der Republik Kirgistan formal zwar verbotenen, aber kaum je verurteilten Brauch verheiratet werden, können Glück haben und an einen angenehmen Mann geraten, an den sie sich mit der Zeit gewöhnen und den sie im besten aller Fälle sogar lieben lernen. Oder sie haben Pech, werden vergewaltigt, geschlagen, misshandelt. Asema hat Glück, was Abdyjaparovs Film einerseits problematisch, andererseits aber auch liebenswert macht.

Für einen europäisch aufgeklärten Filmemacher wäre es einfach, die frauenfeindliche Tradition und alle diejenigen, die sich in ihren Dienst stellen, zu verteufeln. Abdyjaparov aber kann es sich nicht so leicht machen. Für ihn bedeutet Kirgistan Heimat, und die Menschen, die dort leben, sind ihm ans Herz gewachsen. Das spürt man seinen Filmen an. Abdyjaparov gelingt es wunderbar, sich einerseits auf liebevolle Weise über seine Charaktere lustig zu machen, andererseits aber auch die Absurdität des Brautraubs offen zu legen. Wenn er zeigt, wie beiläufig die Familie des (nicht gerade begeisterten) Bräutigams bei einer Tasse Tee die Entführung plant und wie der Familienoberste die Brautverwechslung achselzuckend zur Kenntnis nimmt, offenbart er damit, wie grotesk und absurd ihr Handeln eigentlich ist. Doch, so treffend und komisch eine derartige Figurenzeichnung ist, sie hinterlässt dennoch einen faden Beigeschmack. Die Nebencharaktere als bäurische Trottel zu karikieren und sich über die Clan-Chefs lustig zu machen, indem man sie unter die Fuchtel rabiater Ehefrauen stellt, genügt nicht, um die Dimensionen des hier verhandelten menschlichen Dramas herauszuarbeiten.

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Es ist nicht so sehr das Verständnis für die Täter, das an Pure Coolness irritiert, sondern das fehlende Leid der Opfer. Sicher, die eine oder andere Träne wird Asema noch vergiessen. Im Grunde aber fügt sie sich bereitwillig in das, was ihr als “Schicksal” aufgebürdet wird. Nicht einen Gedanken verschwendet sie an Flucht. Im Gegenteil, als sie mit ihrem neuen Mann Sagyn zum Schafehüten in die Berge geschickt wird, blüht sie geradezu auf. Die Landschaftsaufnahmen, in denen Kameramann Aibek Djangaziev die weite Natur abbildet, sind tatsächlich wunderschön und dürfen wohl auch als Liebeserklärung an Land und Menschen verstanden werden. Dieser lyrisch erhabene Blickwinkel droht jedoch bald ins Verklärende abzudriften.

Wenigstens Asemas Eltern hadern anfangs damit, dass ihre Tochter zur Ehe mit einem Fremden gezwungen wurde, als Sagyns männliche Verwandtschaft plötzlich vor der Tür steht und sie vor vollendete Tatsachen stellt. Doch kurz darauf sitzen sie trinkend und scherzend mit den Entführern zusammen und feiern die neuen Familienbande. Zu glatt läuft auch die Annäherung zwischen Asema und Sagyn. Ritterlich schneidet der Bräutigam sich in der Hochzeitsnacht selbst in den Arm, um mit seinem Blut auf dem jungfräulich weissen Laken die Familie zufrieden zu stellen. Auch danach erweist er sich als geduldiger Kavalier, und Asema findet bei ihm schon bald eine Schulter zum Anlehnen. Die Liebe, darauf kann man hier vertrauen, wird mit den Jahren schon kommen. Damit verteidigt Abdyjaparov den von ihm an anderer Stelle erkennbar der Lächerlichkeit preisgegebenen Brautraub zwar nicht. Dem milden, wunderbar humorvoll und anmutig erzählten Film fehlt es aber an – einer vielleicht nötigen – Schärfe. Pure Coolness ist, im Gegensatz zu dem, was sein Titel erwarten lässt, möglicherweise eine ganze Spur zu warmherzig, zu schön geraten für den hässlichen Brauch, den er sich zum Thema gewählt hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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