«Lass uns einfach die Stille geniessen!» Als Strassenarbeiter Alvin das seinem Kollegen Lance entgegenbrüllt, ist es erst mal vorbei mit der Ruhe. Der Motor seiner Fahrbahnmarkierungsmaschine macht nämlich einen derartigen Krach, dass Alvin schreien muss, um sie zu übertönen. Ein Gag wie dieser hätte auch in einer von Regisseur David Gordon Greens Schenkelklopferkomödien, Bad Sitter oder Your Highness, vorkommen können; als einer von vielen. In Prince Avalanche aber funktioniert er vor allem, weil davor und danach über lange Strecken tatsächlich kaum etwas gesprochen wird.
Der Film spielt im Jahr 1988, irgendwo in Texas. Gewaltige Waldbrände haben in der menschenleeren hügeligen Landschaft ihre Spuren hinterlassen. Lance hockt draussen vor dem Zelt, in dem die beiden Arbeiter unter der Woche übernachten, auf einem Campingstuhl, den Kopf gesenkt, einen Kaffeebecher in der Hand. Wortlos setzt sich Alvin zu ihm. Zu sagen haben sich die beiden nichts. Auch während der Arbeit reden sie anfangs nicht miteinander. Geduldig fängt die Kamera stattdessen die Düsen ein, die gelbe Farbe auf den Fahrbahnbelag sprühen, oder schaut Alvin und Lance dabei zu, wie sie einen Leitpfosten in die Erde hämmern. Es sind einfache, routinierte Abläufe, die vor dem surreal anmutenden Panorama der verkohlten Bäume jedoch einen nahezu meditativen Sog entfalten. Nur der Deutschsprachkurs, den Alvin nebenbei in einem Kassettenrekorder laufen lässt, will zu dieser Atmosphäre nicht passen. Noch weniger freilich die Rockmusik, die Lance einlegt. Als sich beide nicht einigen können, was sie hören sollen, kommt es zum Streit: «Lass uns einfach die Stille geniessen!»
Die beiden Protagonisten des Films könnten kaum unterschiedlicher sein. Alvin ist ein romantischer Einzelgänger, der die Natur liebt, gerne Angeln geht und seiner Freundin Madison seitenlange nachdenkliche Briefe schreibt. Nur ihr zuliebe lässt er deren Bruder Lance für sich arbeiten. Der kann es kaum erwarten, bis er am Wochenende zurück in die Stadt darf: Party machen, Frauen aufreissen. Davon aber ist auf der Leinwand nichts zu sehen. Green zeigt nur, wie Lance nach seiner Rückkehr Alvin erzählt, was er erlebt hat. Ganz im Stile eines Buddy-Movies können sich die beiden zunächst nicht ausstehen, kommen sich allmählich aber näher. Paul Rudd und Emile Hirsch verkörpern sie als herrlich komische Käuze, ohne sie gleich in Clowns zu verwandeln. Vor allem der von Rudd sanft unterspielte schrullige Alvin fasziniert als facettenreiche Figur.
Prince Avalanche ist das Remake von Á annan veg, einem isländischen Film von Hafsteinn Gunnar Sigurosson aus dem Jahr 2011. Die lakonische Erzählweise und der trockene Humor des Originals sind auch in der US-amerikanischen Neuauflage noch zu spüren. Durch die vielen lustigen, schrägen Momente weht stets eine leichte Brise Melancholie. Etwa wenn Alvin und Lance einem lauthals lachenden Lastwagenfahrer begegnen (grandios dargestellt vom mittlerweile verstorbenen Lance LeGault), der ihnen Bier und Schnaps ausgibt und am liebsten beides miteinander mischt. Oder wenn Alvin in einem niedergebrannten Haus eine ältere Dame trifft, die nach ihrer Pilotenlizenz sucht. In einer pantomimischen Szene stellt sich Alvin später vor, wie das Leben in den zu Asche zerfallenen Wohnungen einst gewesen sein mochte.
Diese bizarre, tragikomische Einlage bleibt nicht die einzige, die den kontinuierlichen Handlungsfluss unterbricht. Immer wieder streut Green magisch-schöne Naturaufnahmen ein, die den 2012 von einem Waldbrand heimgesuchten Bastrop State Park, in dem der Film gedreht wurde, wie einen Zauberwald erscheinen lassen. Gerade diese kleinen Nebensequenzen und Beobachtungen, in die sich der wunderbar wundersame Film verästelt, verleihen ihm seinen eigenwilligen Charme. Gelegentlich lässt sich Green aber doch zu einem derberen Spass oder einer flapsigen Pointe hinreissen. Da liegt Lance dann nachts in seinem Schlafsack und versucht mit prüfendem Blick auf seinen schlafenden Nebenmann, heimlich zu onanieren. In einer anderen Szene, die es dann prompt auch in den Trailer schaffte, rät der Lastwagenfahrer Alvin, er solle nicht rauchen, woraufhin dieser ihm zustimmt, ja, er wisse schon, dass das ungesund sei. Der namenlose Trucker aber korrigiert ihn, nein er, Alvin, solle nicht rauchen, er sehe nämlich dumm aus, wenn er das tue. Die Lacher hat der mysteriöse Fremde, der überhaupt der Einzige zu sein scheint, der die von Alvin und Lance markierte Strasse nutzt, damit auf seiner Seite.
Solche Gags setzen jedoch nur kurze komische Akzente, ohne den gemächlichen Erzählrhythmus nachhaltig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zwischendurch streift die Kamera minutenlang in andächtiger Stille durch die nach dem Feuer zu neuem Leben erwachte Wildnis, entdeckt Ameisen oder eine Raupe. Ein Esel mit angesengtem Fell neigt langsam den Kopf zur Seite.
David Gordon Green, der zu Beginn seiner Karriere in Independentproduktionen wie George Washington oder All the Real Girls vom Leben in der US-Provinz erzählte, ehe er sich auf zotige Mainstreamkomödien zu spezialisieren schien, gelingt hier das (viel zu) seltene Kunststück, Arthouse- und Unterhaltungskino miteinander zu verbinden, und das auch noch so wirken zu lassen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Prince Avalanche ist ein skurriler Mix aus Naturstudie, Buddy-Komödie und Independentdrama – und ausserdem einer der lustigsten, schrägsten und schönsten Filme des Jahres.