Eines vorneweg: Dieser Film ist eine neunzigminütige Predigt. Da Wenders den Papst interviewen und bei öffentlichen Auftritten und auf Reisen begleiten konnte (sofern Wenders nicht ohnehin vom Vatikan zur Verfügung gestelltes Bildmaterial verwendet hat), bekommt der Pontifex hier mehr als genug Gelegenheit, seine Botschaft loszuwerden. Die ist einerseits begrüssenswert, wo es um seine Sorge um die Umwelt, seinen Kampf gegen Armut, Ausbeutung, ungleiche Vermögensverteilung und sein Eintreten für Geflüchtete geht; und ärgerlich, wo Machismus und Feminismus vorschnell gleichgesetzt (beide seien «zu einseitig») werden. Aber auch der Papst kann nicht aus seiner Haut, und Wenders hat sich entschieden, einem Auftrag des Vatikans zu folgen und nicht nur einen Film mit und über, sondern vor allem für den Papst zu machen.
Das Interessante des Films liegt aber nicht in den päpstlichen Aussagen. Denn während man der mehr oder weniger guten Botschaft lauscht, fragt man sich, was für ein Verhältnis Wenders zum Papst eigentlich einnimmt und was dieses Verhältnis über Wenders’ eigenes Kino sagt. Letzteres hat mindestens zwei Seiten: Es gibt zum einen den Spielfilm-Wenders, der seit Paris, Texas (1984) oftmals einen Zug ins Spirituelle hat. Dort geht es um Engel, um das zarte, jenseitige Band, das (gefallene) Menschen miteinander verbindet, um Schuld und Vergebung. Der Spielfilm-Wenders schwebt über den Wolken. Und es gibt den erdverbundenen Doku-Wenders, der sich auf Spuren von Ozu Yasujirō (Tokyo-Ga) oder der kubanischen Musik (Buena Vista Social Club) begibt und der zuletzt mit The Salt of the Earth einen grossartigen Film über den Fotografen Sebastião Salgado gemacht hat, in dessen Bildern das Drama der Menschheit ganz und gar in die Geschichte der Natur, der Erde selbst eingeschrieben wird.
Im Papst-Film vereinigen sich nun der sakrale Spielfilm- und der geerdete Doku-Wenders. Das Resultat ist auf der Oberfläche ein Dokumentarfilm, dabei aber auch fiktiv. Denn was gibt es für eine grössere Inszenierung als den Papst? Der Stellvertreter Jesu auf Erden spielt eine Rolle wie ein Schauspieler (was Nanni Moretti in seinem wunderbaren Habemus Papam gezeigt hat), schon weil er mit Amtsantritt seinen Namen wechselt: Jorge Mario Bergoglio ging mit bürgerlichem Namen ins Konklave – heraus kam er in seiner Rolle als Papst Franziskus I. Und soll der Papst damit nicht auch eine heutige Verkörperung seines Namenspatrons und Rollenvorbilds sein, des Heiligen Franz von Assisi? Und ist dieser selbst nicht wiederum auch schon eine Kunstfigur geworden?
Das Leben des Heiligen, so berichtet Wenders, wurde schon kurz nach seinem Tod von Giotto in einer Serie von Wandmalereien dargestellt. Und später, so muss man ergänzen, von Roberto Rossellini, in Franceso, giullare di Dio von 1950. Wenders selbst streut kurze schwarzweisse Spielszenen im Academy-Format ein, die Eindrücke von Franz’ Leben vermitteln sollen und dem Look nach an Rossellini erinnern. Aber warum hat Wenders nicht einfach Material von Rossellini verwendet und stattdessen diese pathetischen, illustrativen Szenen gedreht, in denen der Heilige mit grossen Augen die Wunder der Schöpfung bestaunt? Die Antwort kann nur lauten, dass es Wenders wichtig war, nicht nur Giottos Malereien und Rossellinis Film zu «dokumentieren», sondern ihnen seine eigene künstlerische Darstellung, seine eigene Fiktion von Franz von Assisi gegenüberzustellen.Und von dieser Fiktionalisierung ist auch der Papst nicht ausgenommen: Wenn man glaubt, Franziskus schaue in die Kamera und damit auch uns in die Augen, um sich mit seinem Sermon direkt ans Kinopublikum zu wenden, so hat er während des Drehs in Wahrheit nur Wenders in die Augen geschaut. Dass sich die Gläubigen vor der Leinwand von Papst Franziskus angeschaut fühlen, ist nur der Effekt einer raffinierten Spiegelkonstruktion.
So bleibt das Himmlische bei Wenders einmal mehr auf der Seite des Schauspiels, der Kunst, der Illusion. Dokumentarisch ist der Film hingegen in Bezug auf jenen einzigen Gläubigen, der vom Papst wirklich angeschaut wurde und der zu den Aufnahmen einen bewundernden Off-Kommentar spricht. Pope Francis ist ein Dokumentarfilm, weniger über den Papst als vielmehr über Wim Wenders und dessen Filme. In dieser Hinsicht bringt einen der Film schnell auf den Boden zurück.