Während sich die Kamera ständig verschiebt und Perspektiven einander ablösen, der Körper nah und scharf erscheint, wenn die Umgebung im Hintergrund vorbeidreht, bleibt der Mensch im Fokus. Die Welt dreht sich für einmal aber nicht um ihre vermeintliche Mitte. Die stark bewegte Handkamera fokussiert in Peripherie, einem Spielfilm von fünf Masterstudierenden der Zürcher Hochschule der Künste, Vororte und Stadtränder: Menschen und Beziehungen am Rande der sozialen Sichtbarkeit.
Unmittelbar finden wir uns in konkreten Lebenssituationen der Protagonisten wieder. Distanz wird uns nicht gegönnt. Ihre Gefühlslage und ihre Unfähigkeit, die eigene Situation zu überblicken, werden zu den unseren. Leichte Kopfschmerzen setzen ein, wenn sich beim Verfolgen der Bewegungen in nächster Nähe unsere Augäpfel verdrehen, und ein wenig blank liegen die Nerven bei den langgezogenen, spannungsgeladenen Tönen und der hektischen, authentischen Geräuschkulisse. Auf dem Asphalt das zerschlagene Gesicht der jungen Polizistin Sonam, die bei einer mutigen Verfolgungsjagd für das Überschätzen ihrer Kräfte teuer bezahlen musste. Ein Blick voll von Schmerz und Angst. Atmen.

Hier kommen wir den Protagonisten nah. Etwas irritierend ist diese intime Nähe, denn wer sind diese Menschen, deren Schmerz und Angst wir so unverblümt vorgesetzt bekommen? Ihre Vorgeschichten und Gedanken – ihre Lebenswelt in der Ganzheit – bleiben unbekannt.
Ab und an holt uns eine Einstellung in die Ganzheit zurück, zurück in den Kontext von Ort und Zeit: Zürich, der 1. August 2016. Öffentliches und privates Feiern; manchmal ernst genommen, manchmal bemüht eingehalten, oft vernachlässigt. Eine Totale der Stadt, ein Blick aus der Höhe auf eine der Protagonistinnen: Die junge Ukrainerin Sonja, wie sie in leichtem Sommerkleid ihren schweren Koffer hinter sich herzieht, sich verloren und verletzlich einen Weg durch die Strassen von Zürich sucht. Der junge Rebell Vinc, der sich durch die Gerüste eines Baugeländes quält, bemüht, mit seiner Mission auf verbotenem Terrain unsichtbar zu bleiben.

Die Peripherie ist verzettelt. Fünf Geschichten sind es insgesamt, die sich im Episodenfilm verbinden. Peripherie sucht das Periphere nicht nur am Stadtrand, in grauen Wohnblock- und Umbruchquartieren; sie sichtet sie auch auf Polizeistreife, in der subtilen Machtbeziehung zwischen der Polizistin Sonam, die ihren ersten Diensttag bestreitet, und ihrem Vorgesetzten.
Alle fünf Figuren führen einen Kampf um etwas, das ihnen am Herzen liegt, sie aber gleichzeitig bis aufs Äusserste herausfordert. Der geschiedene Vater Javier fühlt sich seiner Tochter entfremdet und begibt sich mit ihr auf eine reissende Flucht, die nach Chile in seine alte Heimat führen soll. Der Förster Edi will trotz finanziellen Nöten seine Würde wahren und ehrlich bleiben, wenn Bestechungsgelder locken. Alle fünf müssen sich schliesslich für einen gangbaren Weg entscheiden, wenn ihr angestrebtes Ziel in die Ferne rückt.

Für einen je eigenständigen Film würden die einzelnen Geschichten mit ihren teils etwas gar voraussehbaren Wendungen kaum genug hergeben. Aber das müssen sie auch nicht: Peripherie zeigt die Peripherie als einen Komplex, in dem das Einzelne nicht genügt, um beachtet zu werden. Das Detail sich nicht komplett preisgeben kann. Oder will.
Die fünf Geschichten überschneiden sich nicht; weder laufen sie zusammen, noch begegnen sich ihre Protagonisten jemals. Dennoch sind sie miteinander verwoben und ergeben so ein zusammenhängendes Ganzes. Verantwortlich dafür ist die flüssige Montage. Die teilweise gar versteckten Übergänge von einer Teilgeschichte in die andere ermöglichen eine zeitliche Parallelität, verbinden die Handlungen geografisch. Auch die Spannungskurven verlaufen parallel. Wir befinden uns emotional auf einer Fahrt aufwärts, die durch Szenen der verschiedenen Geschichten bedient wird.
Dass das Zusammenfügen der einzelnen Episoden gelang, liegt nicht auf der Hand: Die fünf Teilfilme wurden nach gemeinsamer Planung und Absprache über Stil und Gesamtresultat in fünf eigenständigen Teams bestehend aus Filmstudierenden konzipiert und gedreht. Doch selbst wenn sich der Stil eines Teilfilms leicht von den anderen abhebt, hindert dies Peripherie nicht daran, als eine ganzheitliche Montage zu funktionieren.
So sind es wohl kaum die einzelnen erzählten Geschichten, an die wir uns nach dem Kinobesuch lange erinnern werden. Die Kraft des Films liegt in ihrem Zusammenspiel. Zurück bleibt das Gefühl, eine Lebenswelt zwar nicht komplett im Blick, sie aber unmittelbar erfahren zu haben.
Anna Keller ist die Gewinnerin des Filmkritik-Workshops, der am 4. Februar 2017 in Zusammenarbeit mit den Schweizer Jugendfilmtagen und der Zürcher Hochschule der Künste stattfand.