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Pearl

Elsa Amiel Erstling über eine Bodybuilderin mit bizzar-männlichen Muskelbergen, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere überraschend mit ihrer Mutterrolle konfrontiert wird, lädt ein genau hinzusehen.

Text: Silvia Posavec / 04. März 2019

Gitarrenriffs begleiten geschmeidige Körperbewegungen im Halbdunkel. Die Kamera ist nah dran, Muskeln werfen Schatten wie hügelige Landschaften, Schweiss reflektiert das Licht. Schon im Vorspann erleben wir Fitnesstraining als sinnliche Erfahrung, den Körper als Form. Pearl ist keine Milieustudie, das stellt die Regisseurin Elsa Amiel bereits in den ersten Einstellungen ihres Debütfilms klar. Im Mittelpunkt steht eine Bodybuilderin Julia, mit dem Künstlernamen Lea Pearl (Julia Föry). Seit vier Jahren stählt die junge Frau ihren Körper. Der wichtigste Moment ihrer Karriere steht bevor: Sie tritt an, um den Titel der Miss Heaven zu holen. Lea Pearl hat beste Chancen. Ihr Trainer Al (Peter Mullan) hat sie im wahrsten Sinne gross gemacht, ihr Körper ist unwirklich muskulös.

Amiels Kamera wird den gesamten Film über nicht müde, ihre Gestalt in Szene zu setzten. Bekleidet mit einem hellblauen Glitzerbademantel läuft sie breitarm- und beinig über die Flure des Hotels Eden Palace, in dem der Wettbewerb stattfindet. Doch etwas an dem Bild stimmt nicht. Man glaubt der Bodybuilderin nicht, dass ihr der Sieg wirklich alles bedeutet. Die asketische Selbstdisziplin, mit der sie trainiert, entlarvt sich bald als Flucht vor neuen und alten Konflikten. Lea Pearls Blick bleibt leer, ihre Kraft eine rein Äusserliche.

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Aus dem Off hören wir die Stimme des Trainers den Sieg beschwören: «You are ready!» «Nothing else matters!». Al’s Ehrgeiz lässt Pearl noch willenloser erscheinen. Wir folgen dem hinkenden alten Mann durch den Backstagebereich. Er hat selbst jahrelang den Titel als Mr. Heaven angestrebt. Sechsmal hat er es versucht und ist jedes Mal gescheitert, Lea Pearls Sieg wird zu seiner letzten Chance. Die Ausgangslage scheint klassisch: auf der einen Seite der skrupellose Trainer, auf der anderen das ihm ausgesetzte talentierte Protegé. Doch ein weiterer Protagonist stösst hinzu: Pearls vierjähriger Sohn Joseph bringt sie kurz vor dem vermeintlich sicheren Ziel ins Wanken. Joseph und sein Vater Ben haben sich unter die vielen Athleten im Hotel geschlichen, sie hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Nun soll sie sich um ihren Sohn kümmern. Widerwillen sehen sich Mutter und Sohn miteinander konfrontiert. Es beginnt ein fast komödiantisches Hin und Her: Lea will Joseph nicht um sich haben, Al darf nichts von ihm wissen. Dem gegenüber steht der kleine Junge im Spiderman T-Shirt und beobachtet das Treiben mit gesunder Skepsis. Die Gefühlswelt des Jungen wechselt zwischen Ablehnung und Faszination für die Bodybuildingszene und für seine Mutter. Amiel schafft es, diese Ambivalenz auch auf uns Zuschauer_innen zu übertragen.

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Gegenüber seiner Mutter baut Joseph langsam so etwas wie eine Beziehung auf. Als Schlüsselszene inszeniert Amiel ein gemeinsames Essen in einem schäbigen Restaurant, das an ein amerikanisches Diner erinnert. Das Ambiente wirkt ebenso gekünstelt wie die Situation . Es ist kein Zufall, dass Mutter und Sohn in den Marvel’sche Moster-Helden-Geschichten ein gemeinsames Thema finden. Dann scheitert Joseph daran, mit Messer und Gabel zu essen. Woraufhin Lea seinen Teller zu sich zieht, etwas von dem Fleischstück abbeisst, es mit ihren klauenhaften Fingern aus dem Mund zieht, um es dann dem Kind zu überreichen. Lea erinnert an ein Tier, an eine unkultivierte, aber instinktiv richtig handelnde Mutter.

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«Mach mich nicht zum Monster», sagt Lea zu ihrem Exmann, als er sie kurz vor Wettbewerbsbeginn mit Vorwürfen überschüttet. Ihre Forderung lässt sich auf den gesamten Film ausweiten und richtet sich auch an sie selbst. Der wahre Konflikt der Figur liegt nicht in dem, was sie nach aussen darstellt, sondern in ihren Entscheidungen. Und an dieser Stelle lässt Pearl leider in Aussagekraft und Mut nach. Die Regisseurin steckt geschickt ein Zeitfenster von 48 Stunden doch, doch gibt sie der Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht genügend Raum, um sich glaubhaft zu transformieren. Lea Pearls Katharsis wirkt fragwürdig. Hauptsächlich, da man auch am Ende des Films nicht spürt, was ihr denn wirklich wichtig ist. Die Figur der Lea Pearl ist der Bodybuilderin Julia Föry eben nicht auf den Leib geschrieben. Lea Pearl entspricht leider zu wenig der Hochleistungssportlerin, die selbstbewusst und ehrgeizig ein ganz selbstständiges Frausein verkörpert. Wir werden zurückgeworfen auf die äussere Form, beobachten die Folgen ihrer Entscheidung gegen ihre Familie, können ihre Motive nur erahnen. Am Ende des Films steht Lea am Anfang. Oder ist es Julia?

 

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