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Paradies glaube 01

In der Mission gefangen: Paradies: Glaube

Ist das ein Film über Gebet, Glaube, Religion? Unser Kritiker ist von Ulrich Seidls letztem Teil der Paradies-Trilogie nicht überzeugt.

Text: Erwin Schaar / 24. Apr. 2013

Wer ist diese Frau, die unangemeldet meist bei unterprivilegierten Immigranten anklopft, Einlass begehrt, um sie mit ihrer Wandermadonna, einer der konventionellen religiösen Ästhetik geschuldeten Marienstatue, zu beglücken und mit bestimmendem Tonfall zum Lobpreis von Jesus und Maria zu drängen? Meist stösst sie auf Unverständnis und handfeste Ablehnung, aber auch auf naives Nachgeben.

Zu Beginn des Films sehen wir sie als Assistentin in einem Tomografiezentrum arbeiten, die Patienten mit stereotypen Anweisungen an die Geräte anschliessen. Dann verabschiedet sie sich in den Urlaub vom Arzt, der vor den Computerschirmen seine unpersönlichen Diagnosen diktiert. Anna Maria heisst die Frau über fünfzig, die ihr kleinbürgerliches Haus in der Vorstadt penibel wie in einem Ritual reinigt. Die konventionelle Möblierung ist geradezu geschmückt mit einer Unzahl von religiösen Bildern und Kreuzen aller Art. Anna Marias Urlaub ist ausgefüllt mit den Bekehrungsversuchen. Sie selbst möchte das Unheil dieser Welt mit der Geisselung ihres nackten Körpers büssen. Diese Tortur erledigt sie vor einem Kreuz, das schon mal für eine sexuelle Stimulation gebraucht werden kann.

Einstellung folgt auf Einstellung wie die Reihung von Fotos in einem Album. Das Geschehen zerfällt in Stationen, stagniert in den immer gleichen Handlungen: Reinigung des Hauses, Aufbruch zu den religiösen Bedrängungen, Geisselung, Singen religiöser Lieder zur eigenen Keyboard-Begleitung, auf den Knien rutschendes Beten, Versammlung der Legio Herz Jesu, die für ein katholisches Österreich bittet.

Paradies glaube 02

Bis der Antipode in Gestalt ihres Ehemanns auftaucht, eines ägyptischen Muslims, der durch einen Unfall gelähmt sein Leben im Rollstuhl verbringen muss. Er ist plötzlich zurück von seiner Familie. Anna Marias Fürsorge für den Ehemann Nabil hat ihre Grenzen dort, wo eine den anderen achtende Haltung beginnen könnte. Und Nabil wird sich rächen für die emotionale und körperliche Geringachtung. Sein religiöses Leben ist eher diskret – schon aus dramaturgischen Gründen, denn er wird die Bilder und Kreuze von den Wänden stossen und die Mitglieder der Legio als das titulieren, was sie auch in unseren Zuschauerköpfen sind: Idioten.

Ist das ein Film über Gebet, Glaube, Religion? Oder ist es eine psychologische Studie über eine Frau, deren Leben durch widrige Umstände eine Wandlung erfahren hat, weil sie Liebe und Geborgenheit suchte, was sie in diese absurden Handlungen führte? Eigentlich ist es eine Nummernrevue abstrusen Glaubens, und man wird richtig dankbar für Szenen, die Witz und Humor aufscheinen lassen: Dieser am Dokumentarischen geübte Zugriff ist eine Stärke von Ulrich Seidl, wenn er die sicher phänomenale Maria Hofstätter mit einem allein wohnenden Wiener Messie konfrontiert, dem sie die Wandermadonna (Tausende sollen in der Realität existieren) aufdrängt und beide nach einem Stellplatz in dem Chaos suchen, wobei der halbnackte Rene Rupnik eindrucksvoll agiert, mit einer raunzigen Stimme wie sie Alfred Hrdlicka eigen war, einer Figur wie Otto Mühl und einem Sammelwahn eines Hermes Phettberg. Hier werden Wurzeln der Glaubenskomödie in Spuren sichtbar. Ohne Wiener Volkstheater, Wiener Aktionismus und der oft absurden Komik des Wiener Kabaretts ist ein Ulrich Seidl nicht denkbar, der zudem begabt ist mit einem dokumentarischen Blick.

Einen zersetzenden Film über Religion und Gesellschaft kann ich kaum erkennen. Ein Achternbusch zum Beispiel hat da obszöner und stimmiger zugegriffen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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