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Padrone e sotto 01

Padrone e sotto

Ein eigenartiges Spiel ist dieses «padrone e sotto», Herr und Knecht, das in den Bars im südlichsten Italien gespielt wird. Ein Kartenspiel, bei dem es darum geht, wer vom Padrone zum Biertrinken eingeladen wird. Die Spielregeln zu begreifen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit, sodass es selbst der zum Spiel eingeladene Michele Cirigliano aufgibt.

Text: Tereza Fischer / 21. Jan. 2015

Ein eigenartiges Spiel ist dieses «padrone e sotto», Herr und Knecht, das in den Bars im südlichsten Italien gespielt wird. Ein Kartenspiel, bei dem es darum geht, wer vom Padrone zum Biertrinken eingeladen wird. Wer dies nicht schafft, bleibt womöglich den ganzen Abend auf dem Trockenen. Die Spielregeln zu begreifen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit, sodass es selbst der zum Spiel eingeladene Michele Cirigliano aufgibt. Stattdessen versucht er, in seinem Dokumentarfilm die Seele seines Heimatdorfs zu erfassen. In den Sommerferien jeweils kehrte er als Kind mit den Eltern aus der Schweiz in dieses Städtchen zurück und war immer wieder fasziniert vom undurchsichtigen Spiel der Männergemeinschaft.

Beim Spiel ist der pensionierte Krankenpfleger und in allerlei veterinären Belangen versierte Paolo «il presidente», der Schafbauer Minguccio ist «il capitano» und der Nachtschichten bei Fiat schiebende Nicola «il biondo» – man könnte sie auch «il buono, il brutto, il cattivo» nennen. Sie alle haben ihre Rolle, nicht nur im Spiel, sondern auch im Alltag. Dabei wird entsprechend geschrien, wild gestikuliert, auf den Tisch gehauen, getrunken und geraucht (trotz dem schon lange auch in Italien geltenden Rauchverbot). Man gibt sich herrisch, stark und unbesiegbar, den Alltag allabendlich hinter sich lassend.

Padrone e sotto 02

Es ist eine reine Männerwelt, über die allerdings eine Dame herrscht. Die Barbesitzerin Enza hat sie alle durchschaut und trägt deshalb nur Hosen, keine Röcke. Sie weiss aber auch um die verletzliche Seite der Grobiane und um ihren Frust, den sie in ihrer Bar ausleben. Jeden Abend kommen alle in die Bar, in der man der Realität entflieht und sich als Herr der Lage fühlt. Sogar für Enza bedeutet dies eine kleine Flucht vor dem Alltag. Dabei erscheint ihre namenlose Bar in Tricarico in einer ergreifenden Schlichtheit in fahlem Licht der Neonlampen, ganz ohne Dekorationen, dominiert von den hoch aufgestapelten Bierkisten an den Wänden.

Der Kleinstadt fehlt es an Geld. Die meisten Fassaden wurden seit sehr langer Zeit nicht mehr neu verputzt, und an manchen Stellen wirkt die Stadt wie eine römische Ruine. Spital, Gericht und Gefängnis wurden hier abgeschafft. An diesem Ort wird man nicht reich, nur alt. Und trotzdem kehren sie zurück, aus dem wohlhabenden Norden, aus Deutschland und der Schweiz. Der eine, weil er auch nach zwanzig Jahren nicht gelernt hat, wie man ehrlich Geld verdient, der andere, weil er das einfache Landleben in einer hügeligen, sanften Landschaft, in der seine Schafe von Wölfen gerissen werden, doch dem Stadtleben vorzieht.

Die Schlichtheit dieses Lebens hat der Kameramann Aurelio Buchwalder in dezenten, ausgewaschenen Farben eingefangen. So erscheinen die Menschen Ton in Ton mit ihrer Umgebung, als untrennbar mit ihr verbunden. Buchwalder taucht Konflikte in der Bar in kaltes Licht, hüllt die Geburt eines toten Lamms in Dunkelheit und lässt die Landschaft in warmen Tönen leuchten. In seinen Bildern vermitteln sich die changierenden Beziehungen und Emotionen, die Streitereien, die unentrinnbare Schicksalsgemeinschaft. Wenn etwa ein Blick der Kamera durch das vergitterte Fenster auf die Spieler in der Bar fällt, so entsteht für einen kurzen Moment das Bild eines Gefängnisses.

In diesem warmherzigen Porträt erscheinen sie fast liebenswürdig, der Herr und der Knecht. Sie streiten und vertragen sich wieder. Der eine kann nicht ohne den anderen. Ab und zu feiern sie ein Fest und essen die selbst erlegten Wildschweine, diese harten Männer des Südens. Und auch hier haut der Presidente auf den Tisch, als wäre er der Padrone beim Spiel.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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