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Mark Emmanuel Bamidele Diaspora TV Oliver Camenzind 5

Nigerianisches Sendungsbewusstsein aus Zollikofen

Mark Emmanuel Bamidele drehte vor acht Jahren einen Schweizer Nollywood-Film. Heute sendet sein migrantisches TV-Projekt in neun Sprachen. Egal, was er schafft, er verfolgt ein Ziel damit: Brücken zu bauen. 

Text: Michael Kuratli / 26. Juli 2023

Ein unscheinbares Ladenlokal in einer Einkaufspassage in Zollikofen unweit von Bern. Eine Wand ist grün gestrichen, ein Greenscreen. An der anderen hängen gerahmte Bildschirme, dazwischen stehen Videokameras und ein Teleprompter. Mark Emmanuel Bamidele empfängt uns mit einem warmen Händedruck und einem einladenden Lächeln. Er muss einem Mitarbeiter noch irgendeine technische Sache auf einem Tablet erklären, dann nimmt er sich Zeit. Wir setzten uns im Studio von Diaspora TV auf zwei Sessel und vertiefen uns sofort in ein Gespräch, in dem es um viel mehr geht als um dieses Projekt.

Bamidele war nicht schon immer Fernsehmann. Vor mehr als 20 Jahren begann sein Weg in der Schweiz an einem ganz anderen Punkt. Im Film Paradise in My Mind, den er 2015 in Zusammenarbeit mit der Ethnologin Sandra Mooser produzierte, hat einiges aus dieser Anfangszeit seinen Niederschlag gefunden. In Details zu dieser Zeit will sich Bamidele nicht verlieren. Viel wichtiger scheint ihm die Botschaft. Es ist ein Nollywood-Film aus der Schweiz. In den Hauptrollen: Migrant:innen aus afrikanischen Ländern. Paradise in My Mind erzählt von den Schwierigkeiten, mit denen Migrant:innen in der Schweiz konfrontiert sind, von Rassismus, vom Auf und Ab von Menschen, die sich von diesem Land eine bessere Zukunft erhoffen und zwischen Anpassung und Entfremdung ihren Weg suchen. «Wir wollten von Afrikaner:innen für Afrikaner:innen produzieren. Die Erzählweise Nollywoods war unsere Methode dafür», so Bamidele.

Paradise in My Mind ist weder ein schauspielerisches noch ein filmisches Meisterwerk, aber darum geht es nicht. «Ich interessiere mich nicht für die Art, wie westliche Filme gemacht sind», sagt Bamidele. «Explodierende Autos oder ein Actionheld, der aus einem Flugzeug stürzt und unversehrt bleibt, das verstehe ich nicht. Nollywood erzählt Geschichten von Menschen, denen etwas widerfährt, sie haben eine Moral. Eine Botschaft wie: ‹Schau her, wenn du nicht in die Schule gehst, wird dir Unglück geschehen.›» So hat auch der Schweizer Nollywood-Film eine klare Moral: Kommst du in die Schweiz, dann hast du es erst mal hart. Doch wenn du die Kultur respektierst, dich einfügst und deinen Intellekt anstrengst, kannst du einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und vieles erreichen.

Fleiss und Hirn

Man könnte diese Botschaft als Mantra von Bamideles Leben verstehen. Seine ersten 20 Lebensjahre verbrachte er in Nigeria, seit ebenso vielen Jahren ist sein Lebensmittelpunkt nun hier. Er hat eine Schweizerin geheiratet und zwei Söhne im Teenageralter. Alles, was er macht, dreht sich darum, sich und andere besser in diese Gesellschaft, in die Schweizer Kultur einzufügen. Seine Sicht auf die Schweiz kulminiert in folgenden Sätzen: «Die Schweiz ist wie die Wildnis. Nur die Fleissigen schaffen es, die Schwächsten gehen unter.» Und noch ein Satz ist dem Anekdotensammler geblieben. Es ist jener des ehemaligen Schweizer Botschafters in den USA, den er einst in Washington getroffen hat: Die Schweiz habe zwei Rohstoffe: Wasser und Hirn.

Fleiss und Hirn, es sind die zwei Dinge, die sich Bamidele zu Herzen genommen hat. In der Schweiz angekommen, machte er denn auch einen mustergültigen Weg. Schnell lernte er Deutsch, machte eine Ausbildung zum Kameramann, studierte auch in London. Für SRF arbeitete er an Dokumentarfilmen mit, die sich vorwiegend mit sexueller Gesundheit, etwa mit Themen wie weiblicher Beschneidung, auseinandersetzen.

Doch beim Bedienen einer Kamera blieb er nicht stehen. Mit African Mirror TV schuf er eine Webplattform für die afrikanische Diaspora, um die Leute über dieses Land und seine Eigenheiten zu informieren. Auch weil er sah, wie es vielen seiner Landsleute hier ergeht: «Wer keine Bildung hat, hat Muskeln, und wenn diese schwach werden, ist man nicht mehr zu gebrauchen», so seine Analyse des Schicksals vieler seiner migrantischen Zeitgenossen. Viele hätten nun, im mittleren Alter, das Land mit ihrer kleinen Pension wieder verlassen.

Bamidele spricht mit Bedauern von Migrant:innen, denen es so erging. Schliesslich ist er kein Einzelkämpfer, der sich auf dem harten Schweizer Pflaster gegen die Konkurrenz durchgesetzt hat. Auch er baut Brücken, aber mit seinem Kopf statt wie andere mit ihren Händen. Das war bei Paradise in My Mind so, wo diverse Migrant:innen ihre Geschichte erzählen konnten, das war mit African Mirror TV noch viel expliziter der Fall. Mit Diaspora TV hebt er das alles jetzt auf ein noch höheres Niveau.

Im Gespräch zeigt sich schnell, weshalb er mit seinen Projekten erfolgreich ist. Seine Art, auf konkrete Fragen mit ausschweifenden Lebensweisheiten zu antworten, seine ruhige, zurückhaltende Stimme, die einen einlädt, genau zuzuhören, zeigen bei aller Zielstrebigkeit Verletzlichkeit und Empathie. An der Wand im Studio hängt ein Plakat mit einer Art Knigge des Unternehmens. «Wir machen Fehler, und wir stehen dazu», steht da unter anderem. Und ganz am Schluss: «Wir sind eine Familie».

Paradise In My Mind 5

Paradise in My Mind, 2015, Mark Emmanuel Bamidele

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Paradise in My Mind, 2015, Mark Emmanuel Bamidele

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Paradise in My Mind, 2015, Mark Emmanuel Bamidele

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Paradise in My Mind, 2015, Mark Emmanuel Bamidele

Ein Sender für alle

Unterstützung für African Mirror TV kam bald von vielen Seiten. Behörden wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) und Private sahen Potenzial im Projekt. Für sie war Bamidele eine Stimme, die für Migrant:innen sprechen kann – statt dass die Behörden über sie sprechen. Seine Motivation, andere Migrant:innen darüber zu informieren, was in der Schweizer Politik und Kultur vor sich geht, erklärt Bamidele folgendermassen: «Es gibt zwei Sorten Menschen. Die einen bekommen die Informationen, die anderen sollten sie bekommen. Es nützt nichts, wenn die Behörden eine teure Aufklärungskampagne lancieren, die Botschaft aber nicht zu den Menschen kommt.» Er erzählt von einer Abschreckungskampagne für afrikanische Staaten, die die Schweiz lancierte. In einem Film war eine Unterkunft für Migrant:innen zu sehen, nebenbei auch jemand, der ein Heineken trinkt. Aus Bamideles Sicht eine komplett gescheiterte Kampagne. «Wenn jemand aus dem Slum diese Wohnung sieht, kommt er hierher. Und wissen Sie, wer in Afrika Heineken trinkt? Die Reichen!»

Dass ihm die nötige Sensibilisierung fehlt, hat auch das das SEM erkannt und Bamidele und sein Team gefragt, ob sie ihr afrikanisches Newsformat auch für andere Bevölkerungsgruppen produzieren könnten. Es war die Geburtsstunde von Diaspora TV. Das Startup produziert heute aus dem bernischen Zollikofen heraus Schweizer News-, Politik- und Kulturformate in neun Sprachen, darunter English, Französisch, Farsi, Albanisch und seit April 2022 auch Ukrainisch. Seit Juni des letzten Jahres wird der Sender auch auf den Geräten von Blue TV, dem Fernsehangebot der Swisscom, ausgestrahlt.

Bamidele geht es nicht darum, der verlängerte Arm der Schweizer Migrationspolitik zu sein, auch wenn er die Schweizer Behörden dafür lobt, dass hier niemand unter einer Brücke schlafen muss wie andernorts in Europa. Aber in seinen Augen müssen die Leute darüber informiert sein, was in diesem Land passiert, in das sie kommen wollen. Rassismus und Konkurrenzdenken inklusive. Bamidele baut Brücken, damit andere besser Bescheid wissen, worauf sie sich einlassen.

Er selbst hat das hiesige System verinnerlicht und weiss, welche Hebel er in Bewegung setzen muss, um seine Ziele zu erreichen. Auf der Website von Diaspora TV sind 24 Partnerorganisationen aufgeführt, darunter zwei Schweizer Bundesämter, das Schweizerische Rote Kreuz und die Universität Bern. Ein Beratungsteam schafft die Verbindung vom migrantischen Team zur Politik. Es sind die einzigen Schweizer:innen im Projekt. Auf die fünf Arbeitsstellen, die er mit dem Projekt schaffen konnte, ist Bamidele stolz. «Ich habe mir selbst einen Job geschaffen und vier weiteren. Das heisst auch, dass diese Menschen und auch die vielen anderen, die für Übersetzungsarbeiten und Weiteres bei uns arbeiten, Steuern zahlen und etwas zur Gesellschaft beitragen.»

Nach Europa!

Hört man Bamidele zu, schreibt sich gleich wie von selbst ein Drehbuch für einen neuen Film. Ob er nicht Lust hätte, statt Fernsehen zu machen, weitere Filme zu drehen. «Natürlich. Ich stelle mir einen richtigen Film vor. Paradise in My Mind wurde in Nigeria sehr gut aufgenommen, wir wurden auch zu Festivals eingeladen.» Doch noch begeisterter als für ein weiteres Filmprojekt zeigt er sich für eine ganz grosse Vision: «Wir müssten Diaspora TV in ganz Europa haben. Denn in allen Ländern sind Migrant:innen mit einer spezifischen Erfahrung konfrontiert.»

Bis sich Mark Bamidele diese Türen geöffnet hat, sendet sein Kanal vorerst weiter aus der bernischen Provinz und baut Brücken in die Welt. Dass er damit Gehör finden wird, daran besteht kein Zweifel.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2023 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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