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The Neon Demon

Ein Film, der die Meinungen spaltet. Nicolas Winding Refn arbeitet sich in seinem neuen Film an der Schönheit ab und komprimiert sie zu einer vielschichtigen Oberfläche.

Text: Philipp Stadelmaier / 22. Juni 2016

«Beauty isn’t everything. It’s the only thing.» So steht es auf dem Filmplakat von The Neon Demon, und so wird es im Film selbst einmal gesagt. Direkt auf den Film übertragen, könnte man sagen: Schönheit ist bei Nicolas Winding Refn nicht einfach «alles», in dem Sinne, in dem man in einem leicht moralisierenden Tonfall feststellt, dass ein gutes Aussehen oder Charisma alles seien, was in einer Welt zählt, die nur auf Oberflächen fixiert sei. Schönheit ist vielmehr tatsächlich das einzige Ding, das hier überhaupt existiert. Schönheit ist nicht einfach eine Eigenschaft einer Sache, sondern die Sache selbst. Nur so lässt sich das künstlerische Projekt von Nicolas Winding Refn überhaupt verstehen.

Diese «Sache» ist zunächst einmal eine Figur: Jesse, von Elle Fanning verkörpertes sechzehnjähriges Mädchen, kommt nach Los Angeles, um Model zu werden. Sie ist nicht einfach schön – sie ist hier ausdrücklich die inkarnierte Schönheit, weswegen es vollkommen nebensächlich ist, ob man Elle Fanning nun schön findet oder nicht. Jesse macht die Bekanntschaft einiger anderer junger und ebenfalls durchaus attraktiver Models und einer Make-up-Artistin, die sich um deren Look kümmert. Und was sollten diese auch anderes tun, als Jesse die Schönheit abjagen zu wollen, die diese für sich reklamiert. Mit der Zeit entpuppen sie sich als fiese Hexen, unterstützt von Christina Hendrix und Keanu Reeves in ebenfalls dämonischen Nebenrollen (als Modelagentin und sadistischer Motelbesitzer). Um in den Besitz der Schönheit zu gelangen, werden sie am Ende Jesse schlachten und verschlingen. Was ihnen arges Bauchweh bereiten wird.

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Dies alles, verpackt in Nicolas Winding Refns kontrastreiche und farbintensive Stilistik, erinnert zunächst an die Ästhetik der Giallo-Filme von Dario Argento, der selbst viele Filme über Hexen gemacht hat und dessen Manierismus sicher mit Refns einige Ähnlichkeiten hat: Im Manierismus liegt die Manier, über die Oberfläche den eigenen Stil zu betonen. Man nehme zum Beispiel das Blut. Zu Anfang sehen wir Jesse, die bei einem Fotoshooting blutüberströmt auf einem Sofa liegt. Unmöglich, nicht an das helle, scharlachrote Kunstblut Argentos zu denken! Der Unterschied besteht nun aber darin, dass das Blut bei Argento wirkliches Blut darstellte, also seinen künstlichen, oberflächlichen Charakter zeigte und seine Schönheit als seine Eigenschaft entdecken liess; bei Refn aber gibt es kein Blut mehr, nur noch die Farbe des Blutes, die sich Jesse einen Moment später von ihrer blütenweissen Haut wischt. Es ist nur Oberfläche auf einer anderen Oberfläche.

Auch wenn die Schönheit das einzig Existente ist, so hat sie einen doppelten Charakter: Sie ist reine Oberfläche, aber nicht einfach flach (wie ein Ornament im Giallo), sondern mit einer unendlichen Tiefe. Diese Tiefe existiert ihrerseits allein eingeschlossen in dieser Oberfläche. (Wer Refns Film daher zur Anklage der Oberflächlichkeit der Schönheitsindustrie von Los Angeles erheben will, bleibt dabei ebenso oberflächlich wie die Oberfläche, die angeklagt werden soll.) Das Klackern des Auslösers der Kamera beim Fotoshooting, das den Film eröffnet, presst ebenso wie der monoton-rhythmische Bass der mesmerisierenden Musik von Cliff Martinez das Bild und den Film aus dieser Plattheit heraus in ein Volumen. Es rammt die gründliche Dunkelheit, die zu Beginn und auch später den Film durchtränkt, heraus in eine sichtbare Form, die jedoch selbst von dieser Monotonie bestimmt bleibt.

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Jesse, das ist eine weisse Leinwand, wie jene, vor die sie bei einem Fotoshooting tritt – eine Leinwand, die mit Farbe überzogen wird: mit einem Giallo-Blutrot oder mit einem Goldüberzug, wie jenem, mit dem einst Gert Fröbe in Goldfinger ein Bondgirl tötete. Dieses ganze Spiel aus übereinanderliegenden Masken (Oberflächen), die man sich der Reihe nach abwischen kann, um dahinter stets nur einer weiteren Maske zu begegnen, erinnert neben Argento an jenen anderen Cineasten, zu dem sich The Neon Demon wie ein Kommentar liest: David Lynch. Eine Clubszene zu Beginn des Films sowie Jesses Verwandlung in dessen Mitte gleicht der Metamorphose der Hauptfigur in Lost Highway; die Ankunft einer hoffnungsvollen jungen Frau in L. A., das Zusammenziehen und die mögliche Romanze zwischen Jesse und der Visagistin ähnelt Mulholland Drive. Das Rot und das Gold, das Blut und die erstickende Umkleidung weisen auf diesen eigentümlichen und verstörenden Charakter der Oberfläche/Maske hin, den sie bei Lynch hat: Sie ist weniger Beweis für den Tod als für die Erscheinung eines Lebens, für das es hinter der Maske keinen weiteren Beweis gibt als nur eine weitere Maske.

Wenn Jesse, die inkarnierte Schönheit, in dieser Dialektik aus Oberfläche und Tiefe, als Jungfrau unpenetrierbar bleibt (wobei sie bei sexuellen Übergriffen ihren Aggressoren eher zwischen den Händen entgleitet, als dass sie sich aktiv wehren würde), und wenn die Visagistin, die auf sie steht, ihr frustriertes Begehren schliesslich an einer autopsierten, also geöffneten und wieder vernähten, Leiche befriedigt, dann stellt dieser tote Körper ein genaues Äquivalent zu Jesse dar (eine Parallelmontage «vernäht» dann auch Jesse mit dieser Nekro-Sexszene): Man kann die Schönheit (das Ding) in der Tiefe nach ihrer Schönheit (dem immateriellen «Dämon») durchwühlen, wird aber nichts finden, da ihr Körper nur aus gestaffelten Oberflächen besteht. Sie wechselt das Aussehen, wird geschminkt und eingekleidet, sogar ihr Blut klebt aussen an ihr wie Farbe.

Elle Fanning inkarniert also «die Schönheit» und macht sie damit zum einzigen «Ding», presst eine Oberfläche in viele und viele in eine – und verleiht ihr damit Tiefe. Das heisst nun aber auch, dass sich Nicolas Winding Refn genau an dieser Kompression abarbeiten, sein Film den Vorgang der Kompression nachzeichnen muss. Daher diese wunderbare Idee mit der abstrakten, immer wieder auftauchenden Form des Diamanten – vier zu einem Dreieck angeordnete Dreiecke –, der hier als Symbol diese Kompression selbst darstellt.

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Die Konsistenz der Schönheit wird ausserdem zusammengehalten durch den Namen des Regisseurs selbst, dessen Kürzel NWR während des Vorspanns wie das Label eines Modedesigners (etwa das YSL bei Yves Saint-Laurent) am unteren Bildrand auftaucht. Es ist ein fiktives Label, das als Grafik in diese Schönheit, die es definiert, selbst mit hineingepresst ist. Die Marke betont die Einheit eines komprimierten Objekts. Sie bewirbt dabei weniger ein Produkt (den neuen Film des Autors NWR), als dass sie als fiktives Label ein ebenso fiktives, spekulatives und abstraktes Produkt herstellt: «the only thing», ein ungewisses «Ding», das Schönheit, Oberfläche, Maske, Diamant, Dreieck, Signatur ist. Es zeigt nur an, dass etwas «in eins» komprimiert, konzentriert wurde.

The Neon Demon ist also ein spekulatives «Ding». Nicht aber, weil der Zuschauer über seine Schönheit spekulieren müsste oder darüber, was oder wie dieser Film nun sei. Sondern deswegen, weil er selbst ständig über das eine Ding (die Schönheit) spekuliert, das er herzustellen hat. Die Whitecubes und Blackrooms, die harten Kontraste und stroboskopischen Effekte, die immobilen Porträts in rotem oder blauem Licht und der langsame Rhythmus des Films sind alles Kompressionsprozesse, die für dieses Ding die perfekte Harmonie finden müssen. Und diese finden sie am Ende des Films natürlicherweise in einem Auge. Denn am Schluss werden die Hexen Jesses Körper verspeisen, bis eine der Hexen wieder eines ihrer Augen herauswürgt. In diesem Vorgang kristallisiert sich die Kompression selbst: Indem Jesse verspeist (komprimiert) wird, wird eine Oberfläche auf verschiedene verteilt, um im Herauspressen des Auges dann erneut in eins komprimiert zu werden. Vor allem aber ist das Auge als Objekt der harmonischste Ausdruck dieses komprimierten Dings der Schönheit, das der Film – und nur der Film – selbst herzustellen hat: Schönheit ist hier keine relative ästhetische, kritische oder kritisierbare Qualität im Auge des Zuschauers, sondern ein komprimiertes Ding, eine Sache, ein Organ – das Auge der Schönheit selbst.

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Wenn hier das «Einzige» die Schönheit ist, dann war es in Only God Forgives (2013) die Gewalt – wobei beide Filme sowohl das eine wie auch das andere beinhalten. Du musst schön sein, du musst gewalttätig sein: Das sind bei NWR weniger bloss ästhetisiert aufbereitete oder bebilderte Themen als poetische Prinzipien, die die Bilder in beiden Filmen erzeugen und formen. Der Selbstjustiz übende Polizist in Only God Forgives ist ein bildender Künstler, der mit seinem Schwert und kleinen Dolchen die Arbeit von NWR ausübt: Er fixiert, punktiert die Körper seiner Opfer im Bild; nicht aufgeregt, sondern ruhig und geduldig durchbohrt er Kehlen, Arme und Schenkel. Dass die Mise en Scène in der Gewalt eine Quelle permanenter Schönheit findet, um im ständigen Kampf mit der Materie eine höhere formale Harmonie zu erreichen, das hat der Filmkritiker Michel Mourlet 1960 in seinem in den «Cahiers du Cinéma» erschienenen Text «Apologie de la violence» gefordert. Vielleicht kann man NWR als einen Cineasten nach dem Geschmack Mourlets betrachten, der vor allem Joseph Losey bewunderte: Die gleiche Kälte der Intelligenz, das gleiche subkutane Rasen des Pulses, die gleiche Effizienz in der Exekution. Natürlich ist die Harmonie (die «Kompression») bei NWR nicht mehr die gleiche wie bei Losey. Mourlets Axiom des Kinos waren ausserdem markante Schauspieler wie Charlton Heston, die durch die Mise en Scène zu noch Grösserem erhoben werden sollten. Auch Fanning (wie Ryan Gosling in Refns Filmen davor) ist ein Axiom. Nicht aber wegen eines markanten Ausdrucks, sondern im Gegenteil wegen ihrer reinen, jungfräulichen Ausdruckslosigkeit, die von Schönheit und Gewalt zu einer höheren Kraft veredelt wird – zu einem Diamanten aus komprimierten Oberflächen.

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