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Nahid 3

Nahid

Mit ihrem Spielfilmdebüt ist Ida Panahandeh ein kluger, berührender und vielschichtiger Film gelungen. Dies liegt auch am hervorragenden Cast, allen voran Sareh Bayat in der Rolle von ­Nahid. Trotzdem bleibt die bis zuletzt immer etwas undurchschaubar und der Film somit spannend.

Text: Natalie Böhler / 15. Juni 2016

Nicht nur im Titel rückt der Spielfilm der iranischen Regisseurin Ida Panahandeh seine Hauptfigur ganz ins Zentrum. Im ersten Bild, das Nahid zeigt, sieht sie in die Kamera, im Gesicht zwei Sonnenbrillen übereinander. Sie kann sich am Verkaufsstand nicht entscheiden und kündigt lachend an, gleich beide zu nehmen: eine ungewöhnlich frische Einführung ­einer Filmfigur, die zentrale Elemente der Geschichte vorwegnimmt.

Nahid ist Mitte dreissig, geschieden und allein­erziehende Mutter eines Sohnes. Sie lebt mit ihm in einer Kleinstadt am Kaspischen Meer. Nach iranischem Recht läge das Sorgerecht eigentlich beim Vater, einem strauchelnden, unberechenbaren Junkie. Der hat es aber bei der Scheidung an Nahid abgetreten, unter der Bedingung, dass sie nicht wieder heiratet. Als sie sich in Masoud verliebt, sieht sich Nahid mit einem Dilemma konfrontiert, als dieser ihr einen Antrag macht. Sie möchte sich jedoch nicht zerreissen lassen, sondern ein selbstbestimmtes Leben führen, und versucht, der Zwickmühle mit Diplomatie beizukommen, um zwischen den drei Männern in ihrem Leben – dem Exmann, dem Geliebten und dem Sohn – ein Gleichgewicht herzustellen.

Masoud und sie schliessen eine sogenannte Ehe auf Zeit. Diese schiitische Praxis erlaubt es Männern und Frauen, ein legal anerkanntes Paar zu sein, ohne ihren offiziellen Ehestatus zu ändern: In ihrem Ausweis bleibt Nahid geschieden. Ihrem Exmann kann sie damit ihre Ungebundenheit ­«beweisen». Da aber die Ehe auf Zeit als anrüchig gilt, feiern die beiden Masoud zuliebe ein Hochzeitsfest, um seiner Familie eine richtige Ehe vorzutäuschen. Nahids eige­ne Herkunftsfamilie wiederum möchte, dass sie mit ihrem Sohn zu ihnen zieht, wie es sich für eine alleinstehende Mutter gehört. Durch die Unvereinbarkeit all dieser Ansprüche, die gemäss gesellschaftlicher Tradition die Ehre der verschiedenen Familien retten sollen, verkompliziert sich die Situation zusehends, und es ist bloss eine Frage der Zeit, bis die Liaison zwischen Nahid und Masoud auffliegt. Dass in der Mitte der Konflikte ein Kind zwischen seinen Eltern hin und her gerissen wird, macht das Ganze umso schwieriger.

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Die Unterdrückung der Frau durch den ­Islam, das Kopftuch als Symbol weiblicher Domestizierung, die patriarchalen Traditionen des arabischen Kulturraums: So und ähnlich heissen die Schubladen, die angesichts eines iranischen Stoffs mit weiblicher Hauptfigur vorschnell bedient werden könnten. Nichts liegt aber dem Film so fern, als Nahid in einer Opferrolle zu sehen. Angesichts der engen Rahmen, die die Traditionen vorgeben und die auch den männlichen Figuren Probleme bereiten, nutzt sie ihren Handlungsspielraum mit beeindruckender Selbstverständlichkeit und weigert sich aufzugeben. Dabei greift sie auch mal zu zweifelhaften Mitteln: Sie schwindelt, klaut und pfändet fremden Schmuck, um ihre hart erkämpfte Selbständigkeit zu verteidigen. Dass sie moralische und rechtliche Grauzonen streift, lässt sich aus der Not einer alleinerziehenden Mutter begreifen; trotzdem hegt man manchmal den Verdacht, es gehe ihr auch darum, sich nicht kleinkriegen zu lassen.

So kauft Nahid einmal, obwohl Miete und Schulgeld überfällig wären, ein teures, knallrotes Sofa, viel zu extravagant für ihre Verhältnisse. Sie wuchtet es mit ihrer Freundin das enge Treppenhaus hoch in ihre ärmliche Wohnung, wo es fortan den einzigen Farbklecks im sonst ganz in braungrau gehaltenen Film bildet. Ein total unvernünftiger Kauf, der leuchtend aus dem Dekor sticht, aber unverzichtbar war – symbolisch für den Wunsch nach einem glücklichen Leben, auf den zu verzichten Nahid sich weigert.

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Nahid ist zugleich ein spannendes Drama, ein Sittengemälde, das die Lebensverhältnisse in ­einer starren Gesellschaftsordnung kritisiert, und ein komplexes Frauenporträt. Panahandeh nennt die Regisseurin Jane Campion als wichtigen Einfluss; deren ambivalente Frauenfiguren muten wie Nahids geistige Schwestern an. Der Höhepunkt des Films zeigt denn auch eine Referenz an Campions The Piano.

Mit ihrem Spielfilmdebüt ist Ida Panahandeh ein kluger, berührender und vielschichtiger Film gelungen. Dies liegt auch am hervorragenden Cast, ­allen voran Sareh Bayat (A Separation) in der Rolle von ­Nahid, auf deren Gesicht sich widersprüchliche Gefühle in allen Schattierungen spiegeln. Trotzdem bleibt sie bis zuletzt immer etwas undurchschaubar und der Film somit spannend.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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