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Na Putu

Ein junges Liebespaar in Sarajevo: Luna ist Stewardess und Amar ist Fluglotse. Als Amar den Wahabiten, einer radikalen muslimischen Gemeinde, beitritt, drängen sich neue Gesetzte zwischen das Paar. – Harte Schnitte und starke Hell-Dunkel-Kontraste widerspiegeln diese langsame Entfremdung.

Text: Marli Feldvoss / 29. Sep. 2010

Nachdenklich, auch ein wenig selbstverliebt, betrachtet sich eine hübsche junge Frau auf ihrem kleinen Handy-Bildschirm, erkundet Gesicht und Oberkörper, kommt zuletzt auf ihrem Bauch zur Ruhe. Die Einstellung wird so lange gehalten, dass man sich unwillkürlich fragt: Was soll das alles bedeuten? Dann sieht man das Paar zusammen, ein echtes Liebespaar, das so zärtlich miteinander umgeht, dass man über die heutzutage offenbar obligate frühe Bettszene grosszügig hinwegsehen kann. Es dauert nicht lange, schon ist die Rede vom Kinderwunsch, und das Geheimnis ist gelüftet. Luna ist die Hauptperson, aus ihrer Perspektive erzählt sich der Film, ihrem gesunden Realitätssinn verdankt sich eine bodenständige Geschichte, die sonst leicht in religiöse Schwärmerei hätte ausarten können. Blasser, auch weicher der männliche Protagonist Amar, der im Dienst mit einem Schuss Alkohol im Kaffeebecher erwischt und sofort suspendiert wird. Luna ist Stewardess, Amar war Fluglotse – jetzt ziehen zum ersten Mal Wolken über der grossen Liebe auf.

Wie ein Stationendrama tastet der Film sich langsam voran, registriert eher nüchtern, wie sich – in sanften Schüben – die Wege des Paars zu trennen beginnen. Es fängt damit an, dass der labile Amar zufällig, aber im richtigen Moment, einen alten Kriegskameraden trifft und sich – unter dessen Einfluss – bald der radikalen muslimischen Gemeinde der Wahabiten anschliesst. Ein kleiner Rangierunfall auf dem Parkplatz markiert den Beginn dieses neuen Lebens, das auf einen Schlag Ruhe und Zufriedenheit in Amars gefährdete Existenz bringt, die er bisher nur an der Seite Lunas suchte. Dazu gehört, quasi als Lockvogel, ein Arbeitsangebot in einem Camp, was mit einer längeren Trennung von Luna verbunden ist. Als sie ihn dann in der abgeschiedenen Lage des Camps am See besuchen darf, werden sehr deutlich die Grenzen der Idylle vorgeführt: sie trifft auf eine fundamentalistische Gesellschaft, die eine strenge Trennung zwischen Männern und Frauen vorschreibt, die ihre Gesetze notfalls mit Gewalt durchsetzt.

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So etwas wie Religion war im bisherigen Leben dieser «Sarajewo-Yuppies», die ihre Freizeit mit Wildwasserfahrten oder ausgiebigen Kneipen- und Discobesuchen verbringen, kein Thema. Auch die religiösen Feiertage, wie das Zuckerfest, werden im grossen Familienkreis mit reichlich Gesang und Trank begangen. Jetzt fällt auf einmal Amar, der seine Umgebung auch zu einem “besseren” Leben bekehren will, nicht nur, was das Trinken anbelangt, aus dem Rahmen. Auch das Sexualleben des unverheirateten Paars, das sich sogar der schwierigen Prozedur einer künstlichen Befruchtung unterziehen will, wird plötzlich durch Keuschheitsregeln eingeengt, die sich geradezu absurd ausnehmen. Neue Vorschriften drängen sich unweigerlich zwischen das Paar und seine alte Vertraulichkeit. Plötzlich ist da auch die Rede vom Paradies, das sich als «Ort der Erfüllung» zwischen die Liebenden stellt.

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Der Film setzt auf Gegensätze. Harte Schnitte, starke Hell-Dunkel-Kontraste trennen die unterschiedlichen Welten je mehr der Film voranschreitet. Alles, was an Erzählstoff und Argumenten für die Modernität und Weltoffenheit dieser Menschen aus Sarajewo ins Feld geführt wird, wird von den “mittelalterlichen” Religionsgesetzen wieder auf den Kopf gestellt. Und doch erscheinen beide Lebensweisen in gewisser Weise wie eine Flucht vor der Vergangenheit. Einerseits die “Normalbürger”, die den Blick etwas zu entschieden nach vorn und nicht zurück auf die unaufgeräumten Trümmer einer unseligen Vergangenheit richten, andererseits diejenigen, die ihre Probleme mit dem Unterwerfungsakt unter die strengen Regeln einer Religionsgemeinschaft zudecken. Hinter der Hauptperson Luna steckt unverkennbar die patente Regisseurin Jasmila Zbanic, die auch das Buch geschrieben und in ihrer Figur -alle Eigenschaften einer Weltbürgerin untergebracht hat. Ein wenig zu idealtypisch, auch zu glatt im äusseren Erscheinungsbild, stets mit makellosem Make-up und dem neuesten Fummel angetan. Und der gestrauchelte Amar – auch er schafft es nicht, die wohltemperierte Stimmung und Bildgestaltung des Films zu sprengen. Für sein Konfliktpotential wirkt der Film einfach zu ausgeglichen, als traue sich die Regisseurin nicht so recht, das von ihr doch deutlich geschönte Bild einer modernen bosnischen Gesellschaft aufs Spiel zu setzen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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