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Mr. Kaplan

«Ich wäre um ein Haar in die falsche Wohnung gegangen», sagt am Ende des Films der 76-jährige Jacobo Kaplan erleichtert und kriegt einen Lachanfall. Das ist vor dem Hintergrund dessen, was sich bis dahin abgespielt hat, ziemlich untertrieben, hätte er doch beinahe eine grosse Dummheit begangen.

Text: Tereza Fischer / 27. Juli 2015

«Ich wäre um ein Haar in die falsche Wohnung gegangen», sagt am Ende des Films der 76-jährige Jacobo Kaplan erleichtert und kriegt einen Lachanfall. Das ist vor dem Hintergrund dessen, was sich bis dahin abgespielt hat, ziemlich untertrieben, hätte er doch beinahe eine grosse Dummheit begangen. Von der kann er aber seiner ahnungslosen und überbesorgten Frau Rebecca nichts erzählen. Die fröhliche Leichtigkeit, mit der Álvaro Brechners zweiter Spielfilm die turbulente geheime Mission des Pensionärs beendet, ist bezeichnend für den Erzählton dieser Komödie.

Am Anfang ist Jacobo gar nicht zum Lachen zumute. Das erste Mal sieht man ihn voll bekleidet auf einem Sprungbrett hoch über einem Pool balancieren, zum Entsetzen der Partygäste und Rebeccas. Alt sei er geworden und doch habe er nichts Besonderes geleistet im Leben, sinniert Jacobo aus dem Off. Es sei aber noch nicht aller Tage Abend, man könne sich ja ein Beispiel an Goethe oder Churchill nehmen und der Welt noch etwas beweisen. Zum Beispiel, dass man sich als Nichtschwimmer in der Not trotzdem über Wasser halten könne. Gut, dass ihn Rebecca aus dem Pool fischt.

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Jacobo scheint ein gutes Leben gehabt zu haben, er, der als Junge vor den Nazis allein aus Polen nach Uruguay geflüchtet ist. Seine grosse Familie sorgt sich um ihn, Rebecca, eine typische Mamme, erst recht. Aber Jacobo hat Mühe mit dem Älterwerden. Als ihm nach einem Augentest auch noch der Führerschein abgenommen wird, scheint seine Welt auf ein Nichts zu schrumpfen. Für dieses Gefühl, in totaler Bedeutungslosigkeit die Welt verlassen zu müssen, findet Brechner ein wunderbares Bild: Der Name des Ehepaars fehlt auf der Gästeliste einer jüdischen Gesellschaft. Man entschuldigt sich sehr für das Missverständnis und stellt schnell zwei Stühle an einen ohnehin schon vollen Tisch. Die Ersatzstühle sind jedoch zu tief, und so sitzen Rebecca und Jacobo mit den Köpfen knapp über den Tellern. Ein perfektes Bild für die Lächerlichkeit der menschlichen Existenz.

Als Jacobo von seiner Enkelin Lotti von einem Deutschen erfährt, den die Jungen «Nazi» nennen und der am Strand ein Lokal namens «Estrella» (Stern) führt, schöpft er plötzlich neuen Mut. Rasend schnell hat er kombiniert, dass das Lokal nach dem Schiff benannt wurde, auf dem Nazioffiziere nach Südamerika geflohen sind, und dass der alte Mann am Strand folglich ein Nazi sein muss. Und den gilt es zu entführen und vor ein israelisches Gericht zu bringen, wie der israelische Geheimdienst anno 1960 Adolf Eichmann, – um damit endlich Grosses zu vollbringen. Von da an sieht der selbst ernannte Agent überall Beweise für seine Vermutung. Da er aber nicht mehr selber fahren darf, wird ihm der im Leben gestrandete Expolizist Wilson zur Seite gestellt, ein Sancho Pansa, der sich erst zögerlich und dann voller Tatendrang in die aufregende Jagd hineinziehen lässt Brechner, selbst Enkel polnischer Einwanderer, lässt die Geschichte in Montevideo von 1997 spielen, um von den letzten rüstigen Holocaustüberlebenden erzählen zu können, und er belässt es bei wenigen ernsten Untertönen. Der Grundton ist von skurrilem Humor. Brechner beweist viel Sinn für feine Situationskomik, greift aber auch hie und da zu plakativeren Mitteln, wenn er etwa die Begegnung der Kontrahenten als Westernduell inszeniert oder die Betäubungsspritze für den Deutschen die Dosis für ein Nilpferd enthält. Passend zur heiteren Stimmung erstrahlen die Bilder in einem goldigen Gelb, das durch verschiedene Blautöne kontrastiert wird, während die südamerikanische Musik mit Klezmerklängen angereichert ist. Serge Gainsbourgs Song «SS in Uruguay», der während des Vorspanns ertönt, hat hier nichts Provokatives, unterstreicht viel mehr den Brechner’schen Humor.

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Das ungleiche Agentenduo scheint ebenfalls nach dem Prinzip der Kontrastierung aufeinander abgestimmt. Héctor Noguera gibt mit Lakonie den erst grummeligen und plötzlich zu neuem Leben erwachten Pensionär, während sich Néstor Guzzini als Wilson vom bemitleidenswerten Loser zum knuddeligen Kompagnon entwickelt, der es verdient, dass seine Familie zu ihm zurückkehrt. Am Ende hat Jacobo realisiert, wie sehr er sich von seinem Wunschdenken in eine Phantasiewelt hat leiten lassen. Beide landen wieder in der Wirklichkeit. Was bleibt, ist ein ungelöster Teil der Ursprungsdepression, dem man am besten mit Humor beikommt.

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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