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Mon Roi

Die Anwältin Tony hat nach einem schweren Skiunfall ein gerissenes Kreuzband und muss in eine Reha-Klinik. Ihre Zeit dort verbringt sie mit einer Clique junger Patientinnen, aber auch mit intensiver Reflektion über ihre turbulente Beziehung mit Georgio. 

Text: Michael Ranze / 07. März 2016

Im Cinemascope-Format breitet sich die Skipiste aus, blendendes Weiss, wohin das Auge schaut. Eine Frau, von der wir später erfahren, dass sie Tony heisst, rückt ihre Skibrille zurecht und stürzt sich dann in die Tiefe, die Piste hinunter, immer schneller werdend, an ihrem kleinen Sohn vorbei, der ihr noch hinterherruft. Den nun folgenden Unfall zeigt der Film nicht, doch dessen Folgen sind schwer: Das Kreuzband im Knie ist gerissen, die Schmerzen sind unerträglich. Vielleicht sollte Tony aber auch verunglücken, denn das Knie sei, so die Psychologin in der Reha-Klinik, auch ein Spiegelbild der Seele. Und ein Gelenk, das sich nur in eine Richtung bewegen lasse. Mit seiner Verletzung, so die Schlussfolgerung, die dem Zuschauer angeboten wird, kommt es zwangsläufig zum Stillstand, zur Pause, zur Auszeit. Eine Auszeit, in der Tony nicht nur das Gehen neu erlernt, sondern auch Musse hat für den Rückblick auf eine Beziehung, der sie einfach Einhalt gebieten musste. Nur so, in den Erinnerungen, kann sie sich neu erfinden.

Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn, bekannt geworden mit Pardonnez-moi (2006) und vor allem Polisse (2011), entwirft nun in einer langen Rückblende, die von der Gegenwart in der Reha-Klinik gelegentlich unterbrochen und punktiert wird, die Geschichte einer turbulenten Beziehung, vielleicht sogar einer Amour fou, in der Mann und Frau mit ihren unterschiedlichen Lebenshaltungen – hier der Drang nach Unabhängigkeit und Spass, dort der Wunsch nach Sicherheit und Ruhe – auseinanderstreben und doch nicht voneinander lassen können. Warum haben sie sich überhaupt ineinander verliebt? Tony selbst bringt die Geschichte ins Rollen, als sie Georgio, von Vincent Cassel extrovertiert und dandyhaft gespielt, so wie er den Choreografen in Black Swan oder den Gangster Mesrine in Public Enemy No.1 interpretierte, in einer Disco wiedererkennt und mit Wasser aus einem Sektkübel bespritzt – so wie er früher die Mädchen bespritzte. Er besitzt ein gut gehendes Restaurant und eine eindrucksvolle Wohnung, und als es dann zum Tausch der Telefonnummern kommen soll, wirft er Tony einfach sein Handy zu. In so einen Mann muss man sich einfach verlieben, und was ihn an Tony gereizt haben muss: Sie ist so anders als die Models, mit denen er sonst zu tun hat. Sogar ein Kind möchte Georgio mit Tony, doch als sie nach der unkonventionellen Hochzeitsfeier ohne Ringe, aber mit Picknick im Freien endlich schwanger ist, nimmt er sich einfach in der Nähe eine eigene Wohnung, quasi als Fluchtpunkt. Er will mit Tony nur die schönen Momente erleben – keinen Streit, kein Kindergeschrei, keinen Alltag mit Pflichten, Verantwortung und Besorgungen. Dann entdeckt Tony seine Untreue, seine Drogensucht, seine finanziellen Probleme, die sogar den Gerichtsvollzieher auf den Plan rufen. Wer ist dieser Mann, den Tony so gut zu kennen glaubte?

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Einmal macht Maïwenn Tonys Haltung bildhaft deutlich: Sie will Ruhe, kein Auf und Ab, sondern eine durchgezogene Linie – wie bei einem EKG. Diese Linie, hält Georgio dagegen, bedeute allerdings den Tod. Sein Zeigefinger fährt auf und ab, um den Herzschlag, der doch erst das Leben bedinge, nachzuzeichnen. Tonys Sicherheitsbedürfnis ist ihm egal, und diese Gleichgültigkeit führt bei ihr zu mehreren Gefühlsausbrüchen, bei denen Hauptdarstellerin Emmanuelle Bercot, bereits in Polisse zu sehen, in einer bewundernswerten schauspielerischen Leistung völlig aus sich herausgeht. Tony hätte gewarnt sein können. Zu den schönen Ideen des Films zählt nämlich, dass andere Menschen die Beziehung spiegeln und kommentieren oder durch ihr simples da Sein zur Linderung des seelischen und körperlichen Schmerzes beitragen. So bildet Tonys Bruder Solal, dargestellt von Louis Garrel, dem Sohn von Philippe Garrel, mit seinen zynischen, häufig unfreundlichen Bemerkungen von Beginn an ein gesundes Gegengewicht zu der blinden Verliebtheit seiner Schwester, die als Anwältin (die wir allerdings nie bei der Arbeit sehen) im übertragenen Sinn auch ihren Geliebten verteidigt. In der Reha hingegen schliesst Tony Freundschaft mit einer Clique junger Patienten, die aus ganz anderen Lebenswelten stammen und ihr, trotz der Alters- und Klassenunterschiede, eine ungeahnte Gelassenheit und Unbeschwertheit vermitteln. In Zickzacklinien rasen sie im Auto gemeinsam über die Landstrasse. Das Auf und Ab des EKGs wird hier wenigstens zum Hin und Her. Am Schluss, so viel darf verraten werden, kann Tony wieder laufen. Die Auszeit ist vorüber, das Leben geht weiter.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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