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Modest reception 01

Modest Reception

Ankündigungslos stürzt Regisseur Mani Haghighi, der lange in Kanada lebte, ehe er 2000 in den Iran zurückkehrte, die Zuschauer nun in die surreal-allegorische Parallelwelt seines vierten Spielfilms. Bis zum Schluss lässt sich nur bruchstückhaft erahnen, was die beiden Hauptfiguren in diese menschenverlassene Gegend führt, woher das viele Geld kommt und wieso sie es verschenken.

Text: Stefan Volk / 26. Sep. 2012

Ein Kontrollposten irgendwo in den iranischen Bergen. Weit und breit nichts ausser Fels, Geröll, Schnee und eine kleine Strasse, die sich durch die karge Landschaft gräbt. Das modisch gekleidete Pärchen im SUV muss da natürlich verdächtig erscheinen. Anstatt sich auszuweisen, fangen der Mann mit dem Clooney-mässig grauen Haar, der den linken Arm wie Napoleon in der Schlinge trägt, und die junge Frau mit der Alpaka-Mütze dann auch noch an zu streiten. Der Mann wirft das Handy seiner Begleiterin in den Schnee, wo es die Frau aufgeregt sucht, während sich der Soldat, das Gewehr im Anschlag, das Beziehungsgejammer des Mannes anhören muss.

Ein Auftritt wie aus einer Hollywood-Screwball-Komödie. Am Ende: Gelächter. Davor aber passiert etwas Unerhörtes, fast schon Groteskes. Unter einem Vorwand öffnet die Frau den Kofferraum, greift hinein und schleudert eine randvoll mit Geld gefüllte Plastiktüte in Richtung Soldat. Bündelweise fallen die Banknoten heraus, Scheine flattern durch die Luft. Während der Staatsdiener mit grossen Augen danach greift, sitzt das Pärchen schon wieder im Auto und braust lachend davon. Das zänkische Ehepaar: eine Inszenierung? Beim Wegfahren sieht man noch den mit Dutzenden von Geldtüten gefüllten Kofferraum.

So unvermittelt wie in Men at Work (2006), als wohlhabende Teheraner auf der Rückfahrt von einem Skiausflug plötzlich anhalten, um einen riesigen phallischen Felsbrocken einen Abhang hinabzustossen, so ankündigungslos stürzt Regisseur Mani Haghighi, der lange in Kanada lebte, ehe er 2000 in den Iran zurückkehrte, die Zuschauer nun in die surreal-allegorische Parallelwelt seines vierten Spielfilms. Bis zum Schluss lässt sich nur bruchstückhaft erahnen, was Leyla und Kaveh, die beiden Hauptfiguren, in diese menschenverlassene Gegend führt, woher das viele Geld kommt und wieso sie es verschenken. Möglicherweise stimmt das, was Leyla gegen Ende sagt: dass Kavehs Mutter in dieser Region aufwuchs, ehe sie woanders steinreich wurde. Und dass sie, als sie von Bombenangriffen hörte, die den ärmlichen Landstrich erschütterten, die beiden losschickte, um Geld unter die Bevölkerung zu verteilen. Und zwar nach klaren Regeln: pro Tüte eine Million und pro Person höchstens eine Tüte.

Was es mit den Bombardements auf sich hat, bleibt dabei ebenso ungeklärt wie die Frage, ob das alles überhaupt stimmt. Leyla und Kaveh werden im Laufe des Films häufig genug beim Lügen ertappt. Einem bescheidenen alten Mann, der das Geld nicht annehmen will, erzählt Kaveh, Leyla sei seine Schwester. Sie sei verrückt, habe ihr neugeborenes Kind ermordet und müsse nun ausser Landes gebracht werden. Das ganze Geld sei eigentlich für eine Schleuserbande vorgesehen gewesen, die habe sich aber als unzuverlässig erwiesen. Nun müssten sie auf eigene Faust über die Grenze und vorher das Geld wieder loswerden. Mit dieser melodramatischen Story ringt Kaveh dem Mann das Versprechen ab, für ihn das Geld vorübergehend aufzubewahren. Es bleibt unklar, was an der Geschichte wahr sein könnte.

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Solche Leerstellen sind charakteristisch für das iranische Gegenwartskino. Zumindest für jenen Teil, der den Westen erreicht; namentlich etwa die Filme von Rafi Pitts, Asghar Farhadi (mit dem Mani Haghighi mehrfach zusammengearbeitet hat; unter anderem als Schauspieler in About Elly, in dem Taraneh Alidoosti, die Darstellerin von Leyla, die Titelrolle spielte) und, in geringerem Masse, Jafar Panahi. Möglicherweise handelt es sich bei den Auslassungen um Versuche, gesellschaftskritische Kommentare an der Zensur vorbei ins iranische Kino zu schmuggeln. In jedem Fall aber verleiht die wabernde Deutungsoffenheit den Werken einen märchenhaft-mystischen Einschlag, eine poetische Grundierung, die sie über die eigentliche Handlung hinaus in eine zeitlos-lyrische Sphäre hineinhebt.

Dass das Geld gar nicht so leicht unter die Leute zu kriegen ist, wirkt am Anfang von Modest Reception oft komisch. Leyla und Kaveh fangen an, die Plastiksäcke zu verstecken und die von ihnen “Beschenkten” heimlich dabei zu filmen, wie sie das Geld entdecken. Nie aber bleibt es lustig. Stets eskaliert die Situation, sie verselbständigt sich, aus den Wohltätern werden Aggressoren. Wütend tritt Leyla gegen den Unterstand des alten Mannes, der ihr Geld nicht will, und beschädigt den dabei. Einen Anderen, der das versteckte Geld weggeschafft hat, verführt sie zur Lüge, als sie nach der angeblich verlorenen Tüte sucht. Sie erfindet ein todkrankes Kind, das ohne das Geld sterben müsse, und treibt den Mann, der beharrlich bestreitet, eine Geldtüte gefunden zu haben, immer tiefer in Schuldgefühle. Je länger das Roadmovie dauert, umso teuflischer werden die Verführungsversuche, bis Kaveh, ausgerechnet bei einem brennenden Dornbusch, einen Vater dazu bringt, sein totes Kind den streunenden Hunden zu überlassen. Nur böse sind Leyla und Kaveh, diese iranischen Bonnie & Clyde im Reverse-Modus, aber nicht: Hinterher versucht Kaveh verzweifelt, dem toten Baby ein Grab zu schaufeln und die lauernden Hunde zu vertreiben.

Im Konflikt zwischen Moderne und Tradition, ein Zwiespalt, der die iranische Gesellschaft entzweiht und zuletzt auch in Farhadis Filmen Nader and Simin, A Separation oder About Elly eine zentrale Rolle spielte, schlägt sich Mani Haghighi auf keine Seite, so zynisch er die Haltungen und Handlungen seines Antiheldenduos auch inszeniert. Leyla und Kaveh werden einigen der von ihnen Beschenkten und Bedrängten später wiederbegegnen und so mit den Konsequenzen ihrer Taten konfrontiert, schliesslich gar selbst zu Opfern. Es ist einmal mehr Winter in einem iranischen Film: alles erstarrt und ein Happy End in weiter Ferne.

Ganz ohne Hoffnung entlässt Haghighi sein Publikum aber nicht. Neben dem melancholisch eingefärbten Schlussoptimismus nimmt man vor allem eine Menge offener Fragen mit nach Hause. Die vielleicht wichtigste: Wofür steht das Geld in der Parabel? Für die Verführung? Für einen weltlichen, westlichen Lebenswandel? Dass die beiden Protagonisten einen Lexus fahren, ihre Filme mit dem iPhone aufnehmen und Kaveh ständig Camel raucht, ist sicher kein Zufall und mehr als reines Product-Placement. Trotzdem taugen Leyla und Kaveh nicht als Hassfiguren. Zu liebenswert, zu ulkig werden sie von den charismatischen Darstellern verkörpert. Zu nah kommt man ihnen. Und zu trist, zu grau und freudlos erscheinen die Berge, die sie durchreisen, als dass diese als ländliches Idyll herhalten könnten.

Interessanter wird es, wenn man die Geldgeschenke etwas differenzierter betrachtet, etwa als der Versuch, Gutes zu tun, mit allen Mitteln, notfalls mit Gewalt und fast immer an Bedingungen geknüpft. Das Geld als Chiffre für Entwicklungspolitik? Ideologie? Demokratischen Imperialismus? Oder gar in einer doppelten Verkehrung: Fundamentalismus? Mehr als Denkansätze sind das nicht.

Ein weiterer zum Schluss: Leyla und Kaveh begegnen unterwegs ausschliesslich Männern: sturen, stolzen, zwielichtigen und ehrenhaften. Nur das tote Baby ist ein Mädchen, und einmal ist von einer Frau die Rede: jung, schüchtern, hübsch, verängstigt und versteckt in einer erbärmlichen Behausung. Noch so eine Leerstelle, die einer subversiven Lesart den nötigen Freiraum schafft für Kritik an der iranischen Gesellschaft und am islamistischen Staat. Vielleicht gerät das Geld ja in die falschen Hände. Wahrscheinlich müsste eine Veränderung zum Besseren, der soziale Fortschritt im Iran, zunächst einmal damit beginnen, dass dort auch die Frauen wieder sichtbar werden.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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