„Die Träume eines Menschen müssen immer über seine Fähigkeiten hinauszielen.“
Drei Männer sitzen nebeneinander an einem hölzernen Tisch eines chinesischen Restaurants: Ein älterer Mann mit herzlichem Gesichtsausdruck erzählt den zwei Männern an seiner Seite lebhaft etwas. Die Stimmung ist gemütlich, im Hintergrund sieht man hübsche Schnitzereien, die Szene ist in warme Farbtöne getaucht. Der Blick des Zuschauers ist auf den älteren Herrn in der Mitte gerichtet. Dieser strahlt eine Zufriedenheit aus, die sich sofort auf den Betrachter überträgt.
Miloslaw Šmídmajer zeigt in seinem Dokumentarfilm «Miloš Forman – What doesn’t kill you» ein harmonisches Bild eines Vater, der mit seinen Söhnen vereint ist: Der Regisseur Miloš Forman kehrt nach vielen Jahren in seine Heimat, Tschechien zurück und begegnet seinen erwachsenen Söhnen aus erster Ehe wieder. Er wuchs 1932 in der Tschechoslowakei auf und emigrierte in den 60er Jahren wegen Auseinandersetzungen mit dem kommunistischen Regime in die USA. Dort genoss er als Filmemacher das Privileg in seinen Filmen Themen wie Freiheit, Politik und Unterdrückung zu thematisieren. In Amerika hatte er international Erfolg. Zu seiner Familie in Tschechien verlor er jedoch vor der Wende weitgehend den Kontakt.
Erst 2007 reiste Forman mit seiner neuen Familie, seiner Ehefrau und blonden Zwillingen im Alter von ungefähr 10 Jahren zurück in die Heimat. Šmídmajer begleitete ihn bei seiner Rückkehr über ein Jahr lang mit der Kamera. Dabei porträtierte er Forman nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Privatperson. Das Thema der Familie zieht sich als roter Faden durch den Film. Die Wiederbegegnung mit seinen Söhnen aus erster Ehe sowie sein Leben mit den Zwillingen aus zweiter Ehe sind bedeutsam. Aufnahmen, in denen der Fünfundsiebzigjährige seinen blonden Jungen von seiner Kindheit erzählt, oder Szenen aus einer gemeinsamen Inszenierung mit seinen erwachsenen Söhnen illustrieren dies.
Forman kehrt zuerst an die Orte seiner Kindheit zurück, an denen er über traumatische Ereignisse spricht. Während er vor Ort über sein Leben in der Tschechoslowakei erzählt, wird immer wieder filmisches Archivmaterial eingeblendet. Als Kind erlebte er, wie seine Eltern von der Gestapo verhaftet wurden. Beide starben in Konzentrationslagern. Die Aufnahmen, in denen der betagte Mann über den Verlust seiner Eltern redet, wirken erschütternd. Schade nur, dass diese berührenden Szenen mit überschwänglichen, melancholischen Klängen untermalt sind.
Eine Mischung aus Stolz und Wehmut schwingt bei den Interviews über seine frühesten Filme mit. In «Hoři, má panenko» (Der Feuerwehrball) steckt eine offensichtliche Kritik am kommunistischen System der CSSR. Der Spielfilm handelt von einem Fest, auf dem alles schiefläuft. Die Ursache für die misslungene Party ist die tölpelhafte Einmischung der Funktionäre. «Der Feuerwehrball» ist dann auch Formans letzte Produktion in der Tschechoslowakei. Die Zensur und rigide Ordnung schränkten den Filmemacher ein und veranlassten ihn, Tabus zu brechen und mit seinen Filmen zu provozieren. 1975 emigriert er und nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an.
Šmídmajer folgt dem Leben des Regisseurs nicht nur chronologisch, sondern auch geographisch. In einem nächsten Teil filmt er den Regisseur an Plätzen seines Lebens in New York. Beispielsweise besucht Forman das Chelsea Hotel in Greenwich Village wieder, in dem er lange Zeit lebte. Er schlendert durch das Quartier und schwelgt in Erinnerungen an seine Filme.
Ausführlich gewährt der Regisseur einen Einblick in den Film „One Flew Over the Cuckoo's Nest“: Man sieht einen jungen Mann, der mit vereinten Kräften versucht ein schweres Waschbecken zu heben. Dabei handelt es sich um den Betrüger Randall McMurphy, der sich als Patient in eine psychiatrische Anstalt einliefern lässt, um so einer Verurteilung wegen Verführung einer Minderjährigen zu entgehen. Dieser Ausschnitt trifft die Thematik des Spielfilms. Mit dem gleichen eisernen Willen, mit dem Randall McMurphy immer wieder das Waschbecken zu stemmen versucht, kämpft er auch gegen das quälerische Regime der sadistischen Krankenschwester Mildred Ratched an. Dieses Aufbäumen und Rebellieren eines Individuums gegen eine höhere Ordnung ist das zentrale Thema von Formans Filmen. Šmídmajer gelingt anhand von „Einer flog übers Kuckucksnest“ nicht nur die typische Grundthematik Formans zu beleuchten, sondern auch dessen Zusammenarbeit mit seinen Schauspielern aufzuzeigen. Ein Gespräch mit Louise Fletcher, welche die tyrannische Oberschwester spielt, verdeutlicht die genaue, gezielte Auswahl seiner Darsteller. Anders als viele damalige Schauspielerinnen, die nicht eine grausame Frau verkörpern wollten, sprach Fletcher mit Enthusiasmus für die Rolle vor. Die Idee, dass eine attraktive Frau, die von aussen Herzlichkeit ausstrahlt, eine bösartige Unterdrückerin spielt, hat Forman sofort überzeugt.
Im Gegensatz zu «One Flew Over the Cuckoo's Nest », der 1975 mit fünf Oskars ausgezeichnet wurde, stehen andere Filmausschnitte und Interviews mit Schauspielern lose im Raum und fügen sich nicht gleich organisch in die Gesamtstruktur des Dokumentarfilms ein. Neben diesem zusammengewürfelten Sammelsurium an Filmausschnitten stehen die meist redundanten Aussagen der Schauspieler und Filmemacher. Ob Natalie Portman, Javier Bardem oder Annette Bening, alle loben die Zusammenarbeit mit dem Regisseur und preisen seine einnehmende Art.
So trägt einem besonders gegen Ende Formans angenehme Stimme durch das Wirrwarr von Filmsequenzen und Interviews hindurch. Es ist der enge Zusammenhang zwischen Formans prägenden Erlebnissen in der Tschechoslowakei und seinen späteren, amerikanischen Filmen, der fasziniert. Daher spielt auch der letzte Teil des Dokumentarfilms wieder in Tschechien. Wie zu Beginn werden Aufnahmen des heutigen Familienlebens des Filmemachers gezeigt.
Nach einer gelungenen Arbeit an einer Oper wird der lächelnde Filmemacher von beiden Seiten von den braunhaarigen, schlaksigen Männern, seinen Söhnen, umarmt. Gleich danach: die beiden blonden Jungs, die mit strahlenden Engelsgesichtern ihren Vater umschlingen. Wenn man auch Forman nie mit seinen vier Söhnen gemeinsam sieht, spürt man dennoch die tiefe Bedeutung der Familie für diesen alten Mann. So erklärt er stolz mit einem Schmunzeln auf den Gesicht: «Wenn meine Buben mein Arbeitszimmer betreten wollen und ich sie streng auffordere, das Passwort zu sagen, dann rufen sie lauthals «Rodina», Familie.»
Franziska Fellner hat nach dem Gymnasium ein dreimonatiges Praktikum bei Filmbulletin absolviert.