«A queen who lost three kingdoms / A wife who lost three husbands / A woman who lost her head» – «Eine Königin, die drei Königreiche verlor / Eine Ehefrau, die drei Männer verlor / Eine Frau, die den Kopf verlor»: Mit diesen Schlagzeilen wird Thomas Imbachs Spielfilm Mary Queen of Scots beworben. Man möchte beim Schreiben über den Film die Loglines gerne etwa folgendermassen ändern: «Eine Frau, eine Kontrahentin, zwei Konfessionen, drei Ehemänner, vier Zofen.» Nicht Friedrich Schillers fünfaktiges Trauerspiel «Maria Stuart» von 1800, sondern Stefan Zweigs 1935 erschienene gleichnamige Biografie der unglücklichen schottischen Königin liegt Imbachs Film zugrunde. Seine Motivation, sich als Schweizer im Jahr 2013 in einem Film mit der 1542 geborenen und 1587 enthaupteten Monarchin Schottlands zu beschäftigen, sei purer Intuition entsprungen, sagt der Regisseur. Tatsächlich aber ist das, was auf den ersten Blick so abwegig scheint – dass Thomas Imbach zum ersten Mal einen historischen Kostümfilm dreht und erst noch in französischer und englischer Sprache –, so abwegig nicht. Im Gegenteil. Mary Queen of Scots reiht sich mit seinen farbsatten und prächtigen Bildern nahtlos in Imbachs von jeher von augenfälliger Bildlichkeit gekennzeichnetes filmisches Schaffen ein.
Rainer Klausmanns bedächtige Handkamera, Natur- und Kerzenlicht, ein im Gegensatz zu den bisweilen wildfliegenden Reitszenen gewissermassen verweilendes Erzählen prägen Mary Queen of Scots; auch gibt es Landschaftsfahrten, die Seelenzustände spiegeln: ebenerdige Steadycam-Runs über Moor, Gestrüpp und Strand. Auch über den Ton, die Tonspur, die von Sofia Gubaidulina komponierten eigenwilligen Akkordeonstücke lässt sich sinnieren; hinzu kommen – wie in anderen Imbach-Filmen, man erinnere sich etwa an I Was a Swiss Banker – auch gesungene (Volks-)Lieder.
Und dann muss man über die Farbe Rot reden. Das Rot, das symbolisch für die Titelheldin steht, für ihre Liebe, ihre glühende Leidenschaft. Das Rot des Kleides, das sie bei der Hinrichtung trägt, das bildliche Rot des Blutes an ihren Händen. Das Rot aber auch des Blutes, das sie, vergiftet, wieder ausspuckt um weiterzuleben, das Blut, das ihre nackte Schenkel herunterläuft, kurz bevor sie, keine fünfundzwanzig Jahre alt, von ihren eigenen Untergebenen überrannt und festgenommen wird, um entthront die restlichen Jahre ihres Lebens im Kerker zu verbringen.
Es ist das Kind der Liebe, ihr einziges Kind der Liebe, das sie da in Streitwirren nach wildem Ritt auf offenem Felde verliert. Weiss sind ihre Schenkel, weiss ihr Wams, weiss das Pferd. Mit ihrem dritten Gatten, dem Protestanten Earl of Bothwell hatte Mary dieses Kind gezeugt. Bothwell ist, so zumindest in Imbachs Film, die Liebe ihres Lebens, der Mann der sexuellen Ekstase, der einzige ihrer Ehemänner, der ihr geistig gewachsen ist. Knapp neun Jahre früher hat Mary – sie wird mit grossen Augen, weitem Gesicht und zartem Rücken von Camille Rutherford gespielt – fünfzehnjährig den Thronfolger Frankreichs geheiratet. Doch der Dauphin François II ist ein schwächelnder Junge, der Marys sexuellen Avancen wortwörtlich mit unterm Kissen verstecktem Gewehr den Garaus macht; er stirbt blutjung an den Folgen eines Jagdunfalls. Durch den Tod ihres Gatten verliert Mary ihren Anspruch auf den Titel der Königin von Frankreich. So kehrt sie, die dreizehn Jahre früher von der Mutter in einer Nacht- und Nebelaktion nach Frankreich geschickt worden war, nach Schottland zurück. Stolz und unbesonnen steht sie auf dem Deck des Schiffes, das prompt mit feindlichen Pfeilen empfangen wird: Angespannt sind die (politischen) Verhältnisse, die die junge Königin Schottlands bei ihrer Rückkehr antrifft.
Ein mit leerem Sattel heimkehrendes Pferd überbringt eine Todesbotschaft; ein Spielzeugschiffchen markiert die Reise übers Meer: Es gibt in Mary Queen of Scots eine verspielte und symbolisch aufgeladene Ebene. Und es gibt den vierten Mann in Marys Leben, den Puppenspieler Rizzio, der anfänglich real, nach seiner Ermordung als Traumgestalt anzutreffen ist. Der Schönling und Schwerenöter gewinnt früh das Vertrauen der blutjungen Mary, wird zu ihrem Berater und ihren vier Gefährtinnen, die – weil sie mit Vornamen alle Mary hiessen – als die «Four Marys» in die Annalen eingingen, ein charmant-unterhaltsamer Begleiter. Er trägt manchmal Frauenkleider, liebt Gesang und Spiel. Vor allem aber hat er zwei Puppen: eine mit rotem Haar, die die Queen Elizabeth I repräsentiert, und eine mit dunklem Haar, die für Mary steht – man fühlt sich nicht nur von ungefähr an die HasenpuppenEltern in Peter Liechtis Vaters Garten erinnert.
Es sind nicht, oder bloss in Ansätzen, die historischen Ereignisse, Schlachten und Streitereien, die Thomas Imbach auf die Leinwand bringt, vielmehr ist es Marys Innenwelt, sind es ihre Gefühle, ihre eigene, oft unangepasste Sicht der Dinge auch. Sie wird im Puppenspiel wiedergegeben, aber auch in nie abgesandten, aus dem Off vorgetragenen Briefen an Queen Elizabeth I, an die Cousine, der sich Mary, obwohl sie ihr nicht ein einziges Mal persönlich begegnet, fast wahnhaft ihr ganzes Leben lang schwesterlich verbunden fühlt. Mary Queen of Scots beginnt in der Nacht vor Marys Hinrichtung im Jahr 1587. Blendet zurück, rollt auf, dringt vor in verblendete weibliche Innenwelten und endet eindrücklich mit einem Traum: blutverschmierten Händen, einer nicht vom Kopf zu lösenden Krone, einem letzten Brief sowie der Bitte um eine scharfe Axt.