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Mary & Johnny

Mary & Johnny verpflanzt Ödem von Horváths Stück «Kasimir und Karoline» sehr frei ins reale Dekor des Zürifäschts von 2010, als gleichzeitig auch noch Fussball-WM und Rave den öffentlichen Raum okkupierten und auf der laut pulsierenden Züri-Wiesn menschliche Sternschnuppen-Crashs provozierten.

Text: Martin Walder / 13. Juni 2012

Die Chilbi ist eine Emotionenzentrifuge per se. Da sind schon manche Zwei zueinander, aneinander und auseinander geraten – vielleicht sogar alles auf der gleichen Achterbahnfahrt. Der Dramatiker Ödön von Horváth hat mit «Kasimir und Karoline» dazu ein Stück geschrieben, das auf der Münchner Oktoberfestwiese, der berühmten Wiesn, während der grossen Wirtschaftskrise im Deutschland von 1930 spielt. Der Chauffeur Kasimir ist eben abgebaut worden, Karoline möcht’ sich dennoch vergnügen, Larmoyanz und Egoismus geben sich in sentimentaler Phrasendrescherei gereizt das Wort, und es kommt, wie es kommen muss: Die streunenden Profiteure des Seelischen und des Körperlichen auf dem Rummelplatz riechen Blut, und alsbald spult ein Geschlechterreigen wie ein Staffettenlauf ab. Am Ende geht das Leben weiter, «als wär man nie dabei gewesen».

Der Film Mary & Johnny verpflanzt Horváths Stück sehr frei ins reale Dekor des Zürifäschts von 2010, als gleichzeitig auch noch Fussball-WM und Rave den öffentlichen Raum okkupierten und auf der laut pulsierenden Züri-Wiesn menschliche Sternschnuppen-Crashs provozierten. Finanzwelt und Wirtschaft sind am Kollabieren, der Event behauptet aggressiv das Gegenteil, die Brücke zu damals ist also leicht geschlagen. Eine der Figuren, der Autoknacker Mischa und Freund von Johnny, ist im Knast gelandet. Da hockt er nun monologisierend im Dunkeln und erinnert sich die traurige Geschichte von Mary und Johnny nochmals zusammen. Als kleinen, dreckigen Film, möglichst mit dem Smartphone aufgenommen, müsste man das erzählen, sagt er. Das ist Mary & Johnny.

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Der Film gibt sich spontan, billig und ja, irgendwie schmutzig, wirkt improvisiert und ist es beim zweiten Hinschauen in vielem überhaupt nicht. Mischas regelrechter Bühnendialog, erklärend, situierend, gar noch Rilke zitierend (wozu nur?) – dieser Off-Voice-Kommentar, der sich immer wieder im Film hörbar macht, ist freilich -Geschmackssache, und man fragt nach dem Mehrwert. Aber sei’s: Mary & Johnny hat nichts am Hut mit den gediegen fabrizierten Deutschschweizer Spielfilmen «mit Thema». Insofern ist er ein erfrischender Rohling.

Und er ist Programm, wie der Autor und Co-Regisseur Samuel Schwarz im Interview erklärt. Mary & Johnny versteht sich als transmediales Paket, in dem der Kinofilm nur eine Plattform unter andern darstellt. Die Fussball-WM gibt den Überbau eines Prekariats-Dramas her, was in den Figuren zweier subalterner Funktionäre (Andrea Zogg wieder als lüsterner Schmierling vom Dienst) geschickt in die Handlung eingebaut wird.

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Im Stück sind es die aufgelesenen Redensarten, welche die Kommunikation in brillanter Stilisierung sprachlich-dramaturgisch in die Katastrophe treiben. Jene der Karoline etwa – mit einem dieser genialen Horváth-Sätze: «Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.» Ex-Miss Schweiz Nadine Vinzenz als heutige Mary in dem Film sagt bloss noch: «I tengge gar nüt.» Der kleine Unterschied signalisiert präzise, dass hier nicht primär Sprache auf dem Prüfstand steht – manche direkte Anleihen bei Horváth wirken im Ton denn auch eher importiert. Mary & Johnny ist ein banales Drama aus einem banalen Zürich von heute, mit banalen Geschöpfen von heute, die sich im medial aufgeputschten WM-Chilbi-Zirkus als people erleben. Dabei verliert bloss eine Mary ihren Johnny, und ein Johnny seine Mary. Und am Ende lässt der Film beide im Lettenkanal enden – Mary ermordet, Johnny ersoffen, weil er sie retten will und nicht schwimmen kann. Bei Horváth ist ein kleines Drama im Bildungsjargon gross aufgepumpt. Hier wird grosses Drama bewusst auf lauem Feuer gekocht. Nadine Vinzenz, hübsche Ex-Miss Schweiz, kriegt das in hübscher Schäbigkeit hin, ohne viel spielen zu müssen, und Philippe Graber hat sowieso den traurigsten Blick des Schweizer Films. Nils Althaus, der softe Romantiker, bei dem man nie weiss, spielt er oder ist er einfach so, entpuppt sich als der eigentliche Lump, wenn er sich Mary vornimmt.

Zumindest in der Festivalfassung geht Mary & Johnny mit der Zeit etwas die Luft aus. Dabei wird Marys Schicksal, auf das sie zusteuert, ausserhalb der Handlung in wiederholten, monochrom düsteren Inserts oder in luftig sprudelnden Wasser-Flashs vorweggenommen, als ob sie ihr Ende spürte. Was immerhin wieder ziemlich nahe bei den Horváth-Mädchen mit ihren Ahnungen wäre, und ins Wasser gehen sie ja oft ebenfalls. Mary wird reingeschmissen, eine grosse Sehnsucht wie bei Karoline wird da nicht mehr versenkt, das macht diesen kleinen Film so heutig triste.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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