Eric Bishop hat es nicht leicht. Zwar ist sein Job als Postbote die reinste Erholung, übersichtlich und mit netten Kollegen. Doch in seinem Privatleben hat sich einiges aufgestaut und droht zum unübersehbaren Chaos auszuwachsen. Als er nach einem unfallbedingten Klinikaufenthalt nach Hause kommt, haben seine pubertierenden Stiefsöhne Ryan und Jess den Flur mit Bauwerkzeug vollgestellt und das Wohnzimmer in ein Lager für elektronische Geräte, die Wohnung insgesamt in eine Jugendherberge verwandelt. Der fassungslose Papa wird geflissentlich ignoriert.
Allerdings ist Eric auch alles andere als eine dominante Persönlichkeit, nicht mehr der Jüngste und vom Leben derangiert. Sein Protest verpufft wirkungslos. Weil es Eric immer schon an Durchsetzungsvermögen und der väterlichen Autorität gefehlt hat, haben sich die beiden auch bei ihm einquartiert. Bei Mutter Lily ist es wesentlich ungemütlicher. Sie hat sich von Eric vor über sieben Jahren getrennt und weigert sich seitdem, mit ihm auch nur ein Wort zu wechseln. Alle Vermittlungsversuche der gemeinsamen Tochter Sam sind bisher gescheitert.
Das ganze Elend seiner privaten Existenz wird Eric bewusst, als er in seiner zugemüllten Küche vergebens nach einigermassen sauberem Geschirr sucht. Aus Verzweiflung bedient er sich aus Ryans Joint-Vorrat. Und da passiert es: Plötzlich sitzt ihm Stürmer-Legende Eric Cantona, von dem er als begeisterter Manchester-United-Fan ein Poster über dem Bett hängen hat, leibhaftig gegenüber und bietet sich als Seelentröster an. So wie der Hase in Henry Kosters Harvey.
Markant-männlich, sportlich-durchtrainiert und mit Sexappeal wie Cantona wäre Eric schon immer gern gewesen. Kein Problem, sagt sein Alter ego, gemeinsam sind wir stark. Aber das hat seinen Preis. Der gute Geist kann zwar Ratschläge erteilen, umsetzen muss sie Eric aber selber. Und siehe da, es funktioniert.
In ihren letzten Filmen The Wind that Shakes the Barley und It’s a Free World machten Ken Loach und sein ständiger Drehbuchautor Paul Laverty wenig Hoffnung auf bessere Zeiten beziehungsweise auf die Veränderung der menschlichen Natur zum Besseren. Mit Looking for Eric haben sie sich quasi eine Verschnaufpause bei ihrem «Rudern durch die See der Plagen» gegönnt und ein mit Selbstzitaten ironisch aufgepolstertes heiteres Kaleidoskop in Dur statt in Moll geschaffen. Die Boys erinnern an Sweet Sixteen, Erics Ehekrise an Raining Stones und seine netten Pöstler-Kumpel könnten Kollegen der Streckenarbeiter in The Navigators sein.
Neu ist die Einführung eines guten Engels in Gestalt von Eric Cantona. Der macht seine Sache ziemlich gut – im Vergleich zu andern Ex-Fussballstars wie etwa Paul Breitner, die sich in der Vergangenheit auf die Leinwand verirrt haben. Das liegt daran, dass Loach von ihm nicht mehr verlangt, als sich selbst zu spielen. Die entsprechenden Szenen hielt er ausserdem äusserst knapp. So liegt die darstellerische Hauptlast bei Steve Events, dem es grossartig gelingt, eine vom Leben geknickte Seele zu verkörpern, die nach langem Zaudern daran geht, reinen Tisch zu machen.
Looking for Eric bricht im Mittelteil dramaturgisch kurzfristig ein und droht ins Unverbindliche abzudriften, doch Loach findet gegen Ende des Films zu Höchstform. Dann, wenn Eric sich ans Aufräumen macht – des eigenen Psychomülls ebenso wie des Chaos der häuslichen Verhältnisse. Der Egoist entdeckt die Verantwortung – etwa gegenüber den jungen Leuten. In einer besonders schönen Sequenz geben Loach und Laverty Anschauungsunterricht in Sachen «Grenzen setzen». Eric bereitet das Frühstück, für sich allein und nicht dem Nachwuchs wie bisher – mit der Begründung: Nur wer aufräumt, bekommt etwas zu essen!
Bis anhin hat Eric aus Angst vor unliebsamen Entdeckungen auch tunlichst vermieden, genauer hinzusehen. Nun beginnt er sich zu fragen, woher das exotische Warenlager in seinem Haus stammt und warum Ryan in seinem Zimmer eine Pistole versteckt. Nach der wenig erfreulichen Erkenntnis, dass der Filius längst ins kriminelle Milieu von Manchester abgerutscht ist, hält sich Eric allerdings nicht lange mit Selbstvorwürfen auf. Das verdankt er seinem “Engel” Eric Cantona. Der macht Mut, rät aber gleichzeitig davon ab, allein mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Diese Methode führte bisher zu den diversen Desastern in Erics Leben. Diesmal ist es eine Solidargemeinschaft mit den Kollegen, die unerwartete Schlagkraft entwickelt.
Scheiterte Solidarität in den Filmen Ken Loachs häufig an den politischen Verhältnissen und am mangelnden Mut seiner proletarischen Helden, führt sie in Looking for Eric schliesslich zu einem fulminanten Erfolg. An diesem Punkt wird klar, um was es Ken Loach mit diesem Film geht. Die Verhältnisse sind inzwischen so ernst, dass individueller Protest gegen kriminelle Machenschaften nichts mehr hilft, die Gesellschaft als Ganzes ist zu gemeinsamem Handeln aufgerufen. So rückt in Looking for Eric am Ende eine Hundertschaft vom Fanclub Manchester United an, um die Mafia zu verprügeln. Das mag vordergründig ein naiver Lösungsansatz sein, aber er zeigt, was die Stunde geschlagen hat: Jammern nützt nichts!
Dazu konmt ein augenzwinkernder Humor, der nie auf Kosten der Protagonisten geht. Es wird gelacht, weil man sich in den komischen Momenten selbst erkennt. Es muss ja nicht unbedingt Hehler-Gut sein, über das man im Hausflur stolpert – ein Fahrrad oder Turnschuhe tun es auch …