In den jüngsten Filmen Philippe Garrels verdichten sich ähnliche Figuren- und Beziehungskonstellationen, Themen und Motive zu einem subjektiven Kosmos des französischen Filmemachers. Es scheint, als sei dessen jahrelanges Experimentieren und Dokumentieren in eine fast klassisch zu nennende Phase des Erzählens eingetreten, in der der Aussenseiter und Godard-Verehrer Garrel (Jahrgang 1948) zugleich das Erbe der Nouvelle Vague fortschreibt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch seine Zusammenarbeit mit den renommierten Bildgestaltern William Lubtchansky, Willy Kurant und Renato Berta, die für Garrel noch in Schwarzweiss und auf 35 mm drehen. Kreisblenden, Zwischentitel, eine gewisse Diskretion des Bildes sowie die Abwesenheit moderner Kommunikationsmittel und Ausstattungsgegenstände verlängern diesen liebenswerten Hang zur Tradition zudem bis in die Stummfilmzeit. Neben diesen Reminiszenzen steht die Reduktion der Schauplätze auf Strassen, Cafés, Kinos und vor allem immer wieder auf Mansardenzimmer.
In diesen städtischen Zeichen und Topografien spiegelt sich nicht nur eine Liebe zu Paris, sondern sie sind immer Ausweis prekärer Lebens- und Arbeitsverhältnisse, die wiederum mit labilen Liebesbeziehungen korrelieren. Angesiedelt sind diese bevorzugt im Künstler- und Theatermilieu, unter Schauspielern, Fotografen und Filmemachern. Un-spektakulär und völlig undramatisch erzählt, geht es in Philippe Garrels Filmen der letzten Jahre um nichts weniger als den Zusammenhang von Liebe, Arbeit und Alltag, was man sicherlich auch autobiografisch verstehen darf, zumal der Regisseur Hauptrollen immer wieder mit seinem Sohn Louis Garrel besetzt. Weitere Korrespondenzen ergeben sich aus der dezidiert elliptischen Erzählweise der Filme, einer lakonischen Figurenzeichnung und einer eher äusserlichen Handlungsbeschreibung. In ihr erscheinen die Beziehungen gesetzt und nicht etwa in einem psychologischen Sinne vertieft, dramatisch entwickelt oder problematisiert.
Schon aus Garrels poetischen Filmtiteln, die für sich selbst stehen und einem anderen Kontext entnommen scheinen, leuchtet das Unverbundene und Trennende, das dann aus dem Hinter- oder Untergrund der Filme seine dunklen Schatten und Lichtstreifen wirft. Von La frontière de l’aube (2008) über La jalousie (2013) bis zu L’ombre des femmes (2015) scheinen sich die Bilder von romantischer Liebessehnsucht und verzweifeltem Trennungsschmerz kontinuierlich aufzuhellen. Es ist dies eine (umgekehrte) Bewegung aus dem Dunkeln zum Licht, vom Tod zum Leben und aus der Unverbundenheit zur (vielleicht utopischen, aber doch sehr realistischen) Liebesgemeinschaft. Und stets gilt der Blick des französischen Regisseurs sowohl den männlichen als auch den weiblichen Figuren.
In L’ombre des femmes sind Pierre und Manon verheiratet und leben als Künstler in prekären Verhältnissen. Zu Beginn dringt der distanzlos-rabiate Vermieter in ihre Wohnung ein, um sich über deren desolaten Zustand sowie Mietschulden zu beklagen. Für Manon ist dieser abrupte Überfall ein Schock. Sie hat ihr Orientalistikstudium abgebrochen, um Pierre bei seiner finanziell wenig ertragreichen Arbeit als Dokumentarfilmemacher zu unterstützen. Auf die Sorgen ihrer skeptischen Mutter antwortet sie, es gebe für sie nichts Schöneres, als Arbeit und Liebe zu verbinden. Doch dann gerät die Liebe zu ihrem nachdenklich und schweigsam wirkenden Mann gleich in eine zweifache Krise: Pierre beginnt eine Affäre mit der Geschichtsstudentin Elisabeth, die im Filmarchiv als Praktikantin arbeitet; und Manon erlebt neues Liebesglück in ihrem heimlichen Verhältnis zu Fédir, einem «guten Mann».
Im Widerstreit der Gefühle sagt Manon einmal, sie habe ihre Orientierung verloren. Wenn ihr Fremdgehen von Elisabeth in einem Café bemerkt wird, visualisieren Garrel und sein erfahrener Bildgestalter Renato Berta dies indirekt und gebrochen über Spiegelblicke. Pierre hingegen, in passivem Ernst gefangen, nimmt seinen ehelichen Betrug als männliche Selbstverständlichkeit. Er könne nicht anders. Die Untreue der Männer und die Untreue der Frauen stehen in einem Missverhältnis. Während Manon nach der Entdeckung ihrer Affäre diese im Zustand heftigen Gefühlsaufruhrs abrupt beendet, scheint Pierres Gewissen weniger belastet. Nur sehr schlecht erträgt er allerdings den Gedanken, von seiner Frau betrogen worden zu sein, die er fortan ebenso schlecht behandelt wie seine Geliebte.
In Garrels neuem, von poetischer Zartheit und unterschwelliger Melancholie getragenem Film befindet sich der Mann in einer Liebes- und Arbeitskrise. Wie sich später herausstellt, ist auch Pierres filmische Beschäftigung mit einem angeblichen Résistancekämpfer von Lebenslügen unterwandert. Dagegen verkörpert Manon die aufrichtigere und souveränere Seite in einem prinzipiell gleichberechtigten Geschlechterverhältnis. Ihre unverstellten Gefühle und ihren Atem der Lebendigkeit fängt Altmeister Renato Berta ein in Bildern sommerlicher Leichtigkeit und Helle, deren luftige Klarheit förmlich aus dem verwendeten 35-mm-Material zu kommen scheint. Zudem ist L’ombre des femmes in Schwarzweiss und in Cinemascope gedreht, was die schöne Plastizität des Films noch erhöht. In einer überschaubaren Stadttopografie angesiedelt und elliptisch erzählt, meldet sich an den fast unmerklichen dramatischen Übergängen immer wieder ein Erzähler (Louis Garrel) zu Wort, der seine Kommentare nicht von ungefähr im lakonischen Duktus von Henri-Pierre Rochés «Jules und Jim» formuliert: Garrels Reminiszenz an François Truffaut und die Nouvelle Vague.