Ungebrochen ist die Faszination des Vampirfilms, der wie keine andere Spielart des Horrorgenres Liebe und Tod, Verführung und Gewalt, Romanze und sexuelle Gier zusammenbringt. Dass die Gattung so unsterblich ist, verdankt sie der Tatsache, dass sie sich immer wieder frisches Blut zugeführt hat, sei es, indem sie die Geschichten in der Gegenwart angesiedelt hat, in realen Grossstädten ebenso wie in obskuren Kleinstädten, die Blutsauger zu High-Tech-Vampiren machte (wie in der Blade-Trilogie), oder indem sie sich mit anderen Genres vermählte (etwa in Blacula einen schwarzen Vampir erschuf, Vampir-Western und Vampir-Biker präsentierte oder sich mit The Lost Boys den Teen-Film einverleibte). In ihrer Anpassungsfähigkeit gerieten die schlechteren Vertreter des Genres dabei allerdings oft zu modernistisch, was dazu führte, dass sie schnell veralteten – zumindest, wenn man die Musik der achtziger Jahre heute genau so nervtötend findet wie die damaligen Frisuren. Das wird dem schwedischen Let the Right One In nicht passieren, denn obwohl die Geschichte – wie schon die Romanvorlage – im Jahr 1982 angesiedelt ist (Breschnew ist noch Vorsitzender der KPdSU, der Rubik-Würfel ein gängiges Spielzeug), besticht die Inszenierung des dreiundvierzigjährigen Tomas Alfredson geradezu durch ihren Klassizismus, durch einen gelassenen Rhythmus aus starren, langen Einstellungen, die den Schrecken oft in der Totale zeigen und dadurch einiges der Imagination des Zuschauers überlassen. Es gibt keine überflüssigen Kamerabewegungen, die entleerten Bilder erinnern an die Filme von David Cronenberg, die menschenleere Winterlandschaft hat etwas Artifizielles.
Angesiedelt ist das Geschehen in einer trostlosen, mittlerweile in die Jahre gekommenen Neubausiedlung. Wer hier abends unterwegs ist, führt entweder seinen Hund aus oder wankt aus der Kneipe nach Hause. Hier lebt der zwölfjährige Oskar mit seiner Mutter. Als er einmal seinen Vater auf dem Lande besucht und ein Nachbar mit einer Flasche Schnaps auftaucht, kann der Zuschauer sich vorstellen, woran die Beziehung der Eltern zerbrochen sein könnte. Der Film begnügt sich da mit Andeutungen, erwartet vom Zuschauer ein genaues Hinsehen, um bestimmte Details wahrzunehmen, die in der über 600 Seiten starken Romanvorlage ausführlich beschrieben werden. Bleich und blond, mit einem Engelsgesicht und schulterlangen Haaren, deren Moppfrisur an den Darsteller von Astrid Lindgrens Michel aus Lönneberga erinnert, ist Oskar der geborene Aussenseiter – in der Schule wird er von einem gleichaltrigen Rowdytrio gequält. Seine Rachephantasien ihnen gegenüber lebt er aus, wenn er sein Jagdmesser in einen Baum rammt und dabei Worte am imaginären Gegenüber ausprobiert wie einst Travis Bickle vor dem Spiegel in Scorseses Taxi Driver.
Dabei lernt Oskar eines Nachts die gleichaltrige Eli kennen, die gerade in die Wohnung nebenan gezogen ist. Schwarzhaarig und schmächtig ist sie – und läuft draussen im Schnee barfuss herum und nur leicht bekleidet. Zur Schule geht sie nicht, und Oskar begegnet ihr ausschliesslich im Dunkel der Nacht.
Der Zuschauer ahnt, was es mit Eli auf sich hat, hat er doch in der Sequenz davor gesehen, wie ein älterer Mann auf einem Waldweg einen Jungen attackierte, ihn kopfüber an einem Baum hochzog und ihm das Blut abzapfte, um es in einen mitgebrachten Kanister zu füllen. Als er dabei jedoch von dem Pudel zweier Mädchen überrascht wurde, der plötzlich (in einer wunderbar surrealen Totale) neben ihm stand, lief er in Panik davon, den schon zu einem Drittel gefüllten Kanister zurücklassend. Dafür wird er von Eli in barschem und wütendem Tonfall zurechtgewiesen. Die Kamera konzentriert sich in dieser Szene ganz auf den eingeschüchtert wirkenden Mann, die Stimme Elis kommt von ausserhalb des Bildes. Daran denkt man, wenn sie sehr viel später auf Oskars Frage nach ihrem Alter antwortet, «zwölf – aber schon lange». Man stellt sich vor, dass der Alte nicht ihr Vater ist, sondern eher ihr Sklave, einer, der vielleicht auch einmal jung war, nun aber gealtert ist und zunehmend weniger in der Lage, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Daraus wird er später die Konsequenzen ziehen.
Let the Right One In ist ein Film über Zwölfjährige – aber kein Film für Zwölfjährige. Insofern formuliert der Film auch einen Gegenentwurf zu dem Überraschungserfolg Twilight (nach dem Bestseller von Stephenie Meyer). Der ist sehr spezifisch auf ein weibliches Teen-Publikum zugeschnitten, dessen Sehnsüchte er formuliert, dabei aber deren Erfüllung gänzlich ausspart. Dagegen ist Let the Right One In ein Film, der zwar die Gewalt, die Oskar in Gestalt seiner Mitschüler gegenübertritt, nicht weniger drastisch zeigt als den Überlebenstrieb des Vampirs. Mag dieser in seinem Blutrausch auf jüngere Zuschauer verstörend wirken, so nimmt diese Verstörung für den erwachsenen Kinogänger melancholische Züge an – als Abschied vom Behütetsein der Kindheit. Man darf dabei durchaus an George A. Romeros vor dreissig Jahren entstandenen Martin denken. Das war eine andere Vampirgeschichte, die das Dilemma des heranwachsenden Jugendlichen auf eindringliche Weise innerhalb der Konventionen des Genres erzählte. Let the Right One In endet zwar mit einem Aufbruch ins Licht, aber die Hoffnung ist trügerisch, weil man vermuten muss, dass Oskar künftig die Rolle des alten Mannes einnehmen wird.