Nicht viele Mädchen schmieren sich Tarnfarbe ins Gesicht, häckseln rohe Sardinen, um sie, ohne mit der Wimper zu zucken, gleich aus dem Pürierer zu schlürfen, oder predigen fremden Leuten beim Abendessen unterm Sternenhimmel den baldigen Weltuntergang. Madeleine, die kämpferische Heldin des Debütfilms von Thomas Cailley, fasziniert mit diesem Verhalten nicht nur den Protagonisten Arnaud, sondern auch das Publikum.
Les combattants, im Grund genommen eine zeitgenössische Neuinterpretation des Liebesfilms, lebt von extremen Gegensätzen. Der grösste Kontrast liegt zwischen Stärke und Schwäche, was sich am besten in der Figur von Madeleine zeigt. Adèle Haenel spielt sie eiskalt und todernst als ein Mädchen, das seinen Körper bis ans Limit trainiert. Dabei geht Madeleine Schminke wie Miniröcken, aber auch Menschen aus dem Weg und schaut meist miesepetrig in die Welt. Die seltsamen Verhaltensweisen der weltfremden jungen Frau wecken die Aufmerksamkeit des unkomplizierten Arnaud, der sich bei der ersten Begegnung, in der er von der Amazone erst einmal in den Sand der französischen Atlantikküste gedrückt wird, verliebt. Bald erfährt er dann auch die Gründe für ihr verbissenes Verhalten: Sie glaubt an eine baldige Apokalypse und bereitet sich auf das Ende der Welt vor.
In den Bildern des Kameramanns David Cailley, des Bruders des Regisseurs, steckt beim genauen Betrachten mehr Surrealität als von einem Coming-of-Age-Streifen erwartet. Die verschiedenen schnell wechselnden Wetterlagen bilden die symbolhaften Wendepunkte der Geschichte und leiten gegen Ende einen verheerenden Umbruch ein, in dem es ums nackte Überleben geht. Die Gewitterstürme und Waldbrände wirken hier unnatürlich inszeniert, bauschen sich in Sekundenschnelle zu lebensbedrohlichen Gefahren auf, als wollten sie den Zuschauer vorwarnen. Sie scheinen Madeleines Ansicht, dass das Universum bald einstürzen wird, zu bestätigen und rücken den Zuschauer in eine ungemütliche Befindlichkeit, lachte der einige Minuten vorher noch über die paranoiden Gedanken.
Die Angst vor der Katastrophe erinnert an Take Shelter von Jeff Nichols. Allerdings sieht Madeleine das Ende als Notwendigkeit, auf die sie sich lieber vorbereitet, statt sinnlose Satzhülsen zu lamentieren, während der Protagonist von Take Shelter den Weltuntergang unbedingt verhindern will, auch wenn er eine psychische Störung in sich vermutet, was dem Film Dramatik einhaucht. Les combattants bleibt indes immer erfrischend witzig, was daran liegt, dass die Komik direkt aus den Figuren kommt, da deren gegensätzliche Welten immer wieder aufeinanderprallen. Gleichzeitig drücken die nach dem Sturm nassen Kleider eine verspielte Sinnlichkeit aus, wie sie sich an den Körper der schönen Kämpferin schmiegen und den korrekten Arnaud verwirren.
Auch das französische Militär wird komödiantisch dargestellt. Allein die Werbetour, die die Armee veranstaltet, um die Jugend anzulocken, wirkt schrecklich hilflos und besitzt eine subtile Surrealität. Lieutnant Schliefer ist ein kaum ernst zu nehmender Wachhund, der weder bellt noch beisst, und das Training, das die Möchtegernsoldaten bewältigen, gleicht eher einem lustigen Sommercampprogramm als einem Vorbereitungskurs auf die Nationalarmee. Geschlafen wird auf Federbetten, und auf den Tisch kommen Pommes – zu verweichlicht für Madeleine. Gemeinsam mit Arnaud, dessen Annäherungsversuche Madeleine schmeicheln und ihre harte Hülle zum Bröckeln bringen, reisst sie in die weiten Wälder von Aquitaine aus. Dieser vorhersehbare Wendepunkt ändert den Charakter des Filmes auf wunderbarer Weise. David Cailley setzt die zunehmend vertraute Beziehung sensibel um, nimmt beide Figuren näher ins Visier und folgt Madeleine, die nun von Haenel fröhlich und verträumt gespielt wird. Lakonie nimmt Einzug, Blicke zählen mehr als Worte – Arnaud hat die zarte Seite aus Madeleine gekitzelt, die darin gipfelt, dass sie volles Vertrauen in den für sie anfangs unwichtigen Jungen setzt und sich in dessen Armen retten lässt.
In grossem Kontrast zu den Bildern steht die Filmmusik, zumeist Tracks von «Hit+Run». Die rasanten Electro-Beats, die einer Disco der Achtziger entstammen könnten, verleihen dem Film einen Hauch Abstraktion. So wirken die jungen Soldaten beim Geländespiel eher wie Figuren in einem Game. Die reale Welt existiert dennoch und zwar in der Kleinstadt an der Küste. Schnell wird klar, dass die paradiesische Landschaft von trügerischem Schein ist, denn was Madeleine und Arnaud erwartet, ist eine unsichere Zukunft. So fühlt sich Arnaud im Holzgeschäft seines verstorbenen Vaters zwar wohl, sieht aber, dass kaum Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen. Und auch Madeleine will nur eines – fliehen von der beengenden Küstenstadt und vorwärtskommen. So verleiht eine soziopolitische Komponente dem Film Aktualität, nimmt die Zukunftsangst der Heranwachsenden des heutigen Frankreichs auf und gibt Madeleine den Grund, in jugendlicher Naivität das Ende der Welt zu sehen.
Thomas Cailley ist ein vielversprechendes Erstlingswerk gelungen, das dank der komplex gezeichneten Figuren auf herrlich überraschende Weise unterhält und berührt. Und auch wenn die Welt am Ende doch nicht untergeht: Madeleine und Arnaud bleiben wachsam. Zusammen sind sie «les combattants», bekämpfen die Ängste und Verwirrung des Erwachsenwerdens, unentwegt «en garde».