Sowohl von der Wissenschaftsgeschichtsschreibung als auch in der breiteren Öffentlichkeit wurden weibliche Wissenschaftlerinnen lange vernachlässigt. Im Kino ist es nicht anders: Erzählt wird von männlichen Genies verschiedenster Fächer. Ohne Zweifel besteht Nachholbedarf. Der neue Film der französischen Regisseurin Anna Novion antwortet darauf.
Le théorème de Marguerite konzentriert sich auf eine begabte Mathematikdoktorandin (Ella Rumpf), die sich an einer französischen Universität am Goldbach-Theorem abarbeitet. Das ist eine Mammutaufgabe, der sie sich verbissen widmet, unterstützt von ihrem Professor (Jean-Pierre Darroussin), zu dem sie eine Beziehung wie zu einem strengen Vater unterhält. Nachdem sie einen unerwarteten Fehler macht, stellt sie ihren Werdegang in Frage und will mit der Mathematik brechen.
Die Regisseurin setzt in ihrem Film auf die gewohnt solide Darstellung Jean-Pierre Darroussins, mit dem sie bereits zusammengearbeitet hat. Bemerkenswerter ist darum die erstmalige Zusammenarbeit mit Ella Rumpf in der Rolle der Marguerite. Einmal mehr beweist die Schweizerin, wie wandlungsfähig sie ist. Ihr Repertoire ist seit Chrieg (2014) von Simon Jaquemet gewachsen, mittlerweile spielt sie in internationalen Produktionen und in vier Sprachen eine Bandbreite an Figuren.
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Für die Rolle hat sie sich in ein von Klischees nicht befreites «hässliches Entlein» verwandelt. In bequemer Freizeitkleidung, mit dicker Hornbrille und zusammengebundenem Haar schlurft sie in Hausschuhen durch die Gänge der Universität und antwortet trocken und uneitel einer Journalistin, von der sie als einzige weibliche Doktorandin ihres Jahrgangs befragt wird.
Es liegt an der schauspielerisch differenzierten Leistung von Rumpf, dass man über die doch recht einfache, stellenweise fast schon plakative Charakterisierung der Figur als Genie mit Sozialphobie hinwegsehen kann. Auch die Nebenfiguren sind nicht aussergewöhnlich, und die Geschichte im Film wartet mit nur wenigen originellen Handlungssträngen auf. Doch der Einblick in die hohe Mathematiktheorie zum einen und das Motiv des chinesischen Spiels Mahjong, das als Wendepunkt dient, zum anderen sorgen für die notwendige Spannung.
Das Genre des Geniedramas an sich erlaubt in der dramaturgischen Struktur kaum grosse Experimente. Das war schon bei A Beautiful Mind (2001) oder selbst dem inzwischen kultigen Good Will Hunting (1997) so. Die Handlung ist meist nach einem mehr oder weniger präzise voraussehbaren Bogen konzipiert, auch die Protagonist:innen ähneln sich: Dafür, dass sie etwas besonders gut können, fehlt es ihnen an anderen Fähigkeiten.
Diesem Grundschema folgt auch Le théorème de Marguerite, genauso wie eine andere aktuelle französisch-schweizerische Koproduktion, La voie royale von Frédéric Mermoud. Im Vergleich zu Mermouds Film liegt der Reiz von demjenigen Novions darin, dass sie auch mit dezentem Humor arbeitet, um den inszenierten wissenschaftlichen Alltag und die aufkommende Melodramatik etwas in Schwung zu versetzen. Ansonsten ist Le théorème de Marguerite präzise inszeniert und kurzweilig, auch wenn der Film inhaltlich wie visuell keine grösseren Überraschungen bietet.